JudikaturJustiz17Ob13/20s

17Ob13/20s – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon. Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Musger, Mag. Malesich, Dr. Kodek und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** H*****, vertreten durch Mag. Max Verdino und andere Rechtsanwälte in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei Dr. U***** R*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, als Insolvenzverwalterin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der N***** GmbH, wegen Feststellung von Insolvenzforderungen (Streitwert 23.916,51 EUR), Zahlung von 18.916,51 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über den (richtig) Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Februar 2019, GZ 3 R 2/19i 18, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. November 2018, GZ 6 Cg 60/18f 14, infolge Berufung der klagenden Partei aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, und es wird in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 8.184,08 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 887,18 EUR Umsatzsteuer, 2.861 EUR Barauslagen) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Insolvenzverwalterin eines österreichischen Luftfahrtunternehmens. Dieses Unternehmen hatte für die in Österreich ansässige Klägerin im Rahmen eines Pauschalreisevertrags einen Flug von Mallorca nach Wien durchzuführen. Wegen der Annullierung dieses Flugs erfolgte eine Umbuchung auf den Abend des nächsten Tages. Aus diesem Grund hatte das Unternehmen nach Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 (FluggastrechteVO) eine Hotelunterbringung anzubieten. Diese Pflicht erfüllte es durch Unterbringung der Klägerin in einem örtlichen Hotel.

Die Klägerin ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie machte am Folgetag mit ihrem Ehemann, der sie im Rollstuhl schob, einen Spaziergang. Bei der Rückkehr zum Hotel blieb der Rollstuhl mit den Vorderrädern in einer Querrinne im Asphalt des Weges hängen. Die Klägerin fiel nach vorne aus dem Rollstuhl und verletzte sich schwer.

Die Klägerin begehrt nach § 110 Abs 1 IO die Feststellung einer unbedingten Insolvenzforderung von 18.916,51 EUR für erlittene Schäden sowie einer bedingten Insolvenzforderung von 5.000 EUR für zukünftige Schäden. Weiters beantragt sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 18.916,51 EUR bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung der Insolvenzschuldnerin sowie, ebenfalls begrenzt mit dem Deckungsanspruch, die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Sie bringt vor, dass sich der Unfall auf dem Hotelgelände ereignet habe und die Mitarbeiter des Hotelbetreibers fahrlässig gehandelt hätten, weil sie die Querrinne im Weg weder beseitigt noch sonst abgesichert hätten. Die Beklagte hafte für die Hotelmitarbeiter als Erfüllungsgehilfen der Insolvenzschuldnerin.

Die Beklagte wendet ein, dass sich weder aus der FluggastrechteVO noch aus dem nationalen Recht eine Haftung des Luftfahrtunternehmens für fahrlässiges Verhalten der Hotelmitarbeiter ergebe. Vielmehr stehe die Verordnung einer solchen Haftung entgegen, weil sich die Pflichten des Luftfahrtunternehmens auf das Anbieten einer Unterkunft beschränkten. Eine auf nationales Recht gestützte Haftung würde die Einstandspflicht des Luftfahrtunternehmens überspannen. Im Übrigen hätten die Hotelmitarbeiter nicht fahrlässig gehandelt; die Klägerin müsse beweisen, dass sich die Querrinne am Hotelgelände befunden habe und nicht abgesichert gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Die Klägerin könne aus der FluggastrechteVO keine Ansprüche ableiten, da das Luftfahrtunternehmen nur verpflichtet gewesen sei, eine Unterkunft beizustellen; eine Haftung für Folgeschäden aufgrund angeblich fahrlässigen Verhaltens von Hotelmitarbeitern ergebe sich daraus nicht. Auch das nationale Recht biete keine Anspruchsgrundlage, weil zwischen der Klägerin und dem Luftfahrtunternehmen keine Vertragsbeziehung bestanden habe und im außervertraglichen Bereich nur eingeschränkt für Gehilfen gehaftet werde; insofern habe die Klägerin kein taugliches Vorbringen erstattet.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zu.

Das ausführende Luftfahrtunternehmen sei im konkreten Fall zur Leistung nach Art 9 Abs 1 lit b FluggastrechteVO verpflichtet gewesen. Hätte es diese Verpflichtung nicht erfüllt, so hätte es der Klägerin im Rahmen des Angemessenen und Zumutbaren Ersatz für dadurch verursachte Aufwendungen leisten müssen. Dieser Anspruch ergebe sich als Folge der Nichterfüllung aus dem nach Art 12 FluggastrechteVO neben dieser VO anwendbaren nationalen Recht. Gleiches müsse für den hier behaupteten Fall einer Schlechterfüllung durch den vom Luftfahrtunternehmen beauftragten Hotelbetreiber (bzw dessen Mitarbeiter) gelten. Auch eine solche Schlechterfüllung begründe einen Anspruch nach nationalem Recht, wobei das Luftfahrtunternehmen nach österreichischem Recht für fahrlässiges Verhalten der Hotelmitarbeiter hafte. Der Rekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Haftung des ausführenden Luftfahrtunternehmens bei Schlechterfüllung von nach Art 9 FluggastrechteVO zu erbringenden Betreuungsleistungen fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der (richtig) Rekurs der Beklagten , mit dem sie die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils anstrebt. Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung , den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig ; er ist auch berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1. Aus Anlass des Rekurses richtete der Senat zu 17 Ob 8/19d folgendes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union:

1. Haftet ein Luftfahrtunternehmen, das nach Art 5 Abs 1 lit b der VO (EG) Nr 261/2004 (FluggastrechteVO) Unterstützungsleistungen nach Art 9 Abs 1 lit b dieser VO zu erbringen hat, aufgrund dieser Verordnung für Schäden aufgrund einer Verletzung des Fluggasts, die dieser aufgrund fahrlässigen Verhaltens von Mitarbeitern des vom Luftfahrtunternehmen beigestellten Hotels erlitten hat?

2. Falls Frage 1 verneint wird:

Beschränkt sich die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens nach Art 9 Abs 1 lit b der VO (EG) Nr 261/2004 darauf, dem Fluggast ein Hotel zu vermitteln und die Kosten der Unterbringung zu übernehmen, oder schuldet das Luftfahrtunternehmen die Unterbringung als solche?

2. Der Gerichtshof beantwortete diese Fragen mit Urteil vom 3. September 2020, C 530/19, Niki Luftfahrt GmbH , wie folgt:

1. Art 9 Abs 1 Buchst b der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 ist dahin auszulegen, dass die dem Luftfahrtunternehmen nach dieser Vorschrift obliegende Pflicht, den in ihr genannten Fluggästen unentgeltlich eine Hotelunter-bringung anzubieten, nicht bedeutet, dass das Luftfahrtunternehmen die Unterbringungs-modalitäten als solche zu übernehmen hat.

2. Die Verordnung Nr 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen, das nach Art 9 Abs 1 Buchst b der Verordnung einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, eine Hotelunterbringung angeboten hat, nicht auf der alleinigen Grundlage dieser Verordnung verpflichtet sein kann, dem Fluggast die Schäden zu ersetzen, die durch ein Fehlverhalten des Hotelpersonals entstanden sind.

3. Damit besteht der den Klagebegehren zugrunde liegende Schadenersatzanspruch nicht zu Recht:

3.1. Punkt 2 der Vorabentscheidung schließt es aus, dass sich dieser Anspruch unmittelbar aus der Verordnung ergeben könnte. Die Rechtsprechung zur Entschädigung bei Nichterfüllung von Leistungen iSv Art 9 Abs 1 lit b FluggastrechteVO (EuGH C 83/10, Sousa Rodriguez ; C 12/11, McDonagh ) ist daher auf Ersatzansprüche wegen Mängeln in der Sphäre des vom Luftfahrtunternehmen angebotenen Hotels nicht anwendbar.

3.2. Der Anspruch kann aber auch nicht auf Regelungen des – kollisionsrechtlich anwendbaren (17 Ob 8/19d mwN) – österreichischen Rechts gestützt werden.

Zwar käme ein solcher Ersatzanspruch nach Art 12 FluggastrechteVO neben den Ansprüchen aus der Verordnung in Betracht. Dafür müsste aber ein allenfalls schuldhaftes Verhalten der Hotelmitarbeiter dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zugerechnet werden. Die Klägerin hat sich insofern nur auf § 1313a ABGB gestützt. Nach dieser Bestimmung wird das Verhalten einer Person dem Schuldner aber nur dann zugerechnet, wenn sie bei der Erfüllung der dem Schuldner obliegenden Pflichten tätig wurde (2 Ob 205/17m mwN; RIS Justiz RS0028729). Das traf hier nicht zu, weil das ausführende Luftfahrtunternehmen nach Punkt 1 der Vorabentscheidung nur zum unentgeltlichen Anbieten der Hotelunterkunft verpflichtet war, nicht aber zur Unterbringung als solcher. Damit haben die Hotelmitarbeiter nicht im Pflichtenkreis des Luftfahrtunternehmens gehandelt. Ihr Verhalten ist diesem Unternehmen daher nicht zuzurechnen.

Auf ein Auswahlverschulden des Luftfahrtunternehmens (vgl Punkt 29 der Vorabentscheidung) hat sich die Klägerin nicht gestützt, es ist auch ihrem Sachvorbringen nicht zu entnehmen.

4. Mangels Haftung der Insolvenzschuldnerin besteht keine Insolvenzforderung, und auch eine auf den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung beschränkte Ersatzpflicht der beklagten Insolvenzverwalterin kommt nicht Betracht. Die abweisende Entscheidung des Erstgerichts ist daher wiederherzustellen.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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