JudikaturJustiz15Os78/17k

15Os78/17k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Daniel P***** wegen des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 15 St 40/16s der Staatsanwaltschaft Graz, über den Antrag des Beschuldigten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 15 St 40/16s (nunmehr einbezogen zu AZ 9 St 133/16x der Staatsanwaltschaft Klagenfurt) ein Ermittlungsverfahren unter anderem gegen Daniel P***** wegen des Verdachts der Vergehen der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens beauftragte die Staatsanwaltschaft das Landesamt für Verfassungsschutz, den Beschuldigten zu vernehmen.

Nachdem ein Ladungsversuch erfolglos geblieben war und der Beschuldigte auch telefonisch nicht erreicht werden konnte, versuchten die Beamten, ihm die Ladung unmittelbar an seinem Arbeitsplatz zu übergeben. Da das Firmengelände nur unter Aufsicht betreten werden darf, wurde der Beschuldigte in Begleitung von Mitarbeitern der Werkssicherheit kontaktiert, wobei er sowohl die Annahme der Ladung als auch die Vereinbarung eines Termins verweigerte.

Mit Einspruch vom 14. Juni 2016 beantragte Daniel P***** – soweit hier von Bedeutung – festzustellen, dass er durch den Versuch der unmittelbaren Übergabe der Ladung an seinem Arbeitsplatz in seinen subjektiven Rechten verletzt worden sei. Die Staatsanwaltschaft legte den Einspruch dem Haft und Rechtsschutzrichter zur Entscheidung vor, der diesen mit Beschluss vom 8. August 2016 abwies.

Der dagegen erhobenen, ausschließlich gegen die „Art der Kontaktaufnahme“ gerichteten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 10. November 2016, AZ 1 Bs 108/16s, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Mit Antrag gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS Justiz RS0122228) begehrt der Beschuldigte nunmehr die Erneuerung „des Strafverfahrens 9 St 133/16x, Staatsanwaltschaft Klagenfurt“. In seinem Erneuerungsantrag releviert er eine Verletzung der Art 6 Abs 1 und Abs 2 sowie Art 8 MRK und weiterer „verfassungsrechtlich garantierter Rechte“, weil „zur Ladung eine gesetzwidrige Variante gewählt“ worden sei.

Die Bestimmung des § 363a StPO knüpft an eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts an (RIS Justiz RS0128957). Soweit der Antrag auf Erneuerung „des Strafverfahrens 9 St 133/16x der Staatsanwaltschaft Klagenfurt“ gerichtet ist, verfehlt er daher von vornherein sein Ziel.

Weiters hat ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – gerichtliche Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359).

Indem der Beschwerdeführer vorliegend nur die Art der Zustellung der Ladung durch die Polizei kritisiert, spekulativ behauptet, durch die „Vorführung“ (gemeint: die Kontaktaufnahme der Kriminalbeamten über den Sicherheitsdienst) gelte er an seinem Arbeitsplatz als Verbrecher, und die Entscheidung des Oberlandesgerichts als rechtlich verfehlt bezeichnet, ohne aber nachvollziehbar einen Bezug zum reklamierten Grundrecht des Art 8 MRK (vgl zu den – hier nicht gegebenen – Voraussetzungen für einen Schutz des guten Rufs durch Art 8 MRK Meyer Ladewig/Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 8 Rz 43) herzustellen und insofern einen Rechtsfehler prozessförmig aufzuzeigen (vgl zu den Anforderungen RIS Justiz RS0128393), wird er den Antragserfordernissen nicht gerecht.

Zudem kann der Oberste Gerichtshof erst nach Rechtswegerschöpfung angerufen werden. Diesem Erfordernis wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl RIS Justiz RS0122737 [T13]), soll dem Staat doch materiell Gelegenheit gegeben werden, die behauptete Rechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen (zur Rechtswegerschöpfung vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 28 ff, 36 ff).

Der Erneuerungswerber hat aber weder in seinem Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 StPO) noch in seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz eine Verletzung von Art 6 Abs 1 oder Abs 2 MRK oder einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (der Sache nach Art 14 MRK; vgl auch Art 1 12. ZPMRK) auch nur der Sache nach geltend gemacht, sodass sich der Antrag auch insoweit als unzulässig erweist.

Im Übrigen vermag der Antrag nicht darzulegen, weshalb der Beschuldigte durch die Art der Zustellung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK oder auf Wahrung der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK verletzt worden sein sollte. Nichts anderes gilt für die unsubstantiierte Behauptung einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, enthält der Antrag doch kein Vorbringen, aus welchem Grund „das Gesetz“ „beim Beschuldigten unsachlich differenziert“ und „Willkür“ geübt worden sein soll.

Der Antrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
4
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.