JudikaturJustiz15Os68/02

15Os68/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kubina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Radoje D***** und einen weiteren Verurteilten wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten (§ 15 StGB) gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das den Verurteilten Boris L***** betreffende Urteil und den zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO verkündeten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. November 2001, GZ 11 c Vr 7049/01 75, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Verteidigers Dr. Kandler, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren 11 c Vr 7047/01, Hv 4134/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzen betreffend den Verurteilten Boris L*****

1. das Urteil vom 20. November 2001, GZ 11 c Vr 7049/01 75, §§ 31 und 40 StGB;

2. der gleichzeitig gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO verkündete Beschluss (US 10) § 53 Abs 1 StGB.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden das Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Boris L***** treffenden Strafausspruch sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen sowie der Widerrufsbeschluss aufgehoben. Dem Landesgericht für Strafsachen Wien wird die neuerliche Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung aufgetragen.

Text

Gründe :

Mit (gemäß § 488 Z 7 StPO in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31. Juli 2000, GZ 1 c E Vr 5572/00 52, wurde Boris L***** des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 7. August 2000 wurde er gemäß § 46 Abs 2 StGB mit Wirkung vom 31. Juli 2000 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren aus der Freiheitsstrafe bedingt entlassen (S 89 f bei ON 56).

Wegen des am 29. März 2000 (A II. 2. des Urteilssatzes) und am 3. April 2000 (B II. des Urteilssatzes) - also noch vor dem oben erwähnten Urteil der Einzelrichterin - begangenen Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten (§ 15 StGB) schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB wurde L***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. November 2001, GZ 11 c Vr 7049/01 75, schuldig erkannt (im Urteilsspruch - US 3 - wird ihm entgegen der anderslautenden Begründung - US 17 und 21 - versehentlich "gewerbsmäßiges" Handeln angelastet) und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Eine Bedachtnahme auf das erstbezeichnete Urteil der Einzelrichterin gemäß §§ 31, 40 StGB unterblieb, obwohl die Akten 1 c E Vr 5572/00, Hv 3422/00 verlesen worden waren (S 237/IV). Gleichzeitig verkündete die Vorsitzende - dem Antrag des Staatsanwaltes entsprechend (S 237/IV) - gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluss auf Widerruf der gewährten bedingten Entlassung aus der fünfmonatigen Freiheitsstrafe (US 10).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt das Vorgehen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht im Verfahren 11 c Vr 7049/01, Hv 4134/01 das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:

1. Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon im früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, so ist eine Zusatzstrafe zu verhängen oder von einer solchen abzusehen (§§ 31 Abs 1 erster Satz, 40 letzter Satz StGB). Da die dem Urteil vom 20. November 2001, GZ 11 c Vr 7049/01 75, zugrunde liegenden Taten vor dem zu GZ 1 c Vr 5572/00 52 gefällten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien begangen worden waren, hätte auf dieses Vor Urteil gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht genommen werden müssen.

2. Wird der Rechtsbrecher wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung verurteilt, so hat das Gericht die bedingte Strafnachsicht oder die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe zu widerrufen und die Strafe, den Strafteil oder den Strafrest vollziehen zu lassen, wenn dies in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 erster Satz StGB). Wie dargelegt, wurden die vom Urteil GZ 11 c Vr 7049/01 75 umfassten Taten vor Beginn der zu GZ 1 c E Vr 5572/00 56 gewährten Probezeit begangen, weshalb die zeitlichen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 StGB für den Widerruf der bedingten Entlassung nicht gegeben waren.

Es scheitert aber auch die Anwendung des § 55 StGB, weil diese Bestimmung den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung gemäß § 31 StGB nur betreffend die bedingte Nachsicht einer Strafe, eines Strafteils und der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher vorsieht, nicht aber auch hinsichtlich der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen wirken sich zum Nachteil des Verurteilten aus. Der bekämpfte Strafausspruch sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen sowie der Widerrufsbeschluss war demnach zu kassieren und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung in diesem Umfang aufzutragen.