JudikaturJustiz15Os41/07d

15Os41/07d – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Mai 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jürgen I***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 31 U 78/05x des Bezirksgerichtes Linz, über die vom Generalprokurator gegen 1. das Urteil vom 11. Oktober 2006, 2. das den Inhalt des am 11. Oktober 2006 verkündeten Urteils nicht wiedergebende Hauptverhandlungsprotokoll erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren zu AZ 31 U 78/05x des Bezirksgerichtes Linz verletzen

1. das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 11. Oktober 2006, GZ 31 U 78/05x-23, im Schuldspruch des Jürgen I***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB auch für den Tatzeitraum ab 14. Dezember 2004 § 459 StPO iVm Art 6 MRK und

2. die Unterlassung der Aufnahme des Spruches des am 11. Oktober 2006 verkündeten Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll § 271 Abs 1 Z 7 StPO.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Zeitraum ab 14. Dezember 2004 betreffenden Teil des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und dem Bezirksgericht Linz im Umfang der Aufhebung die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Bestrafungsantrag vom 13. Dezember 2004 (ON 3) legte die Bezirksanwältin beim Bezirksgericht Linz-Land Jürgen I***** das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB gegenüber seinem minderjährigen Sohn Marcel K***** „im Zeitraum 27. Jänner 2004 bis laufend (die Ausdehnung des DZ in der HV bleibt vorbehalten)" zur Last.

In der Hauptverhandlung vom 27. März 2006 bestritt der Beschuldigte im Rahmen seiner Verantwortung zum schriftlichen Bestrafungsantrag seine Unterhaltspflicht (S 46), was zur Vertagung der Hauptverhandlung führte. Da der Beschwerdeführer ungeachtet der ihm persönlich am 26. August 2006 ausgefolgten (RS nach S 81) Ladung zur Hauptverhandlung am 11. Oktober 2006 nicht erschien (S 87), wurde diese gemäß § 459 StPO in seiner Abwesenheit durchgeführt. In dieser Hauptverhandlung dehnte die Bezirksanwältin in ihrem Schlussantrag „den Deliktszeitraum aus bis auf den 11. Oktober 2006" (S 89). Jürgen I***** wurde daraufhin in Abwesenheit mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 11. Oktober 2006, GZ 31 U 78/05x-23, im Sinne des ausgedehnten Strafantrages schuldig erkannt. Dies ist allerdings nur der Urteilsausfertigung zu entnehmen; der Inhalt des mündlich verkündeten Urteiles ist im Hauptverhandlungsprotokoll nicht festgehalten (S 89).

Dem Einspruch gegen dieses Abwesenheitsurteil, den der Beschuldigte mit seiner Verpflichtung, am Nachmittag des Tages der Hauptverhandlung arbeiten zu müssen und mit fehlendem Geld für die Anreisekosten von Vöcklabruck nach Linz begründete (ON 25), gab das Bezirksgericht Linz mit Beschluss vom 12. Jänner 2007 (ON 26) nicht Folge.

Über eine dagegen rechtzeitig erhobene Beschwerde (ON 28), mit der Jürgen I***** „auf Grund der Fakten eine Neuaufrollung des Falles K***** gegen I*****" begehrt, wurde noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend darlegt, stehen der Schuldspruch des Jürgen I***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht auch für die Zeit nach dem 13. Dezember 2004 (Tag der Verfassung des Bestrafungsantrages) bis zum 11. Oktober 2006 (Tag der Urteilsfällung) sowie das den Inhalt des am 11. Oktober 2006 verkündeten Urteils nicht wiedergebende Hauptverhandlungsprotokoll mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Wird der (schriftliche) Bestrafungsantrag in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten vom Ankläger ausgedehnt (hier in der Hauptverhandlung vom 11. Oktober 2006 durch Erweiterung des Tatzeitraumes der Unterhaltsverletzung vom Tag des Bestrafungsantrages bis zum Tag der Hauptverhandlung), so darf über den ausgedehnten Teil kein Abwesenheitsurteil gefällt werden. Ungeachtet des vorliegend erfolgten Hinweises im Bestrafungsantrag auf eine beabsichtigte, jedoch nicht näher präzisierte Ausdehnung des Deliktszeitraumes war eine Urteilsfällung unzulässig, weil der Beschuldigte im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen, und der Schuldspruch im Umfang der Ausdehnung daher gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 MRK) verstößt (RIS-Justiz RS0111828; Rainer, WK-StPO § 459 Rz 15).

§ 271 Abs 1 Z 7 StPO sieht vor, dass das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten hat. Der Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll vom 11. Oktober 2006, wonach „die Richterin das Urteil samt den wesentlichen Entscheidungsgründen" verkündet, genügt diesen Anforderungen nicht und verstößt damit gegen

§ 271 Abs 1 Z 7 StPO.

Da sich die zu 1. aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war das bezeichnete Urteil in diesem Umfang aufzuheben und dem Erstgericht insoweit die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen. Zuvor wird das Landesgericht Linz über die Beschwerde gegen den den Einspruch abweisenden Beschluss zu entscheiden haben.

Rechtssätze
1
  • RS0111828OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Unzulässigkeit im Abwesenheitsverfahren. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wurde im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht der Bestrafungsantrag erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung auf einen weiteren Deliktszeitraum ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen. War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.