JudikaturJustiz15Os21/20g

15Os21/20g – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. April 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Andreas S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 19. November 2019, GZ 15 Hv 11/19t 49, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (verbleibenden) Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen – auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthaltenden – Urteil wurde Andreas S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (A./I./), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A./II./), des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (A./III./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (B./), des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (C./), des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (D./), „des“ Vergehens der gefährlichen Drohung nach §107 Abs 1 StGB (E./) und „des“ Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (F./ und G./) schuldig erkannt.

Danach hat er

A./ am 3. August 2019 in V***** Monika H*****

I./ mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, indem er sie auf ein Sofa drückte, versuchte, ihr die Hose auszuziehen und ihr Schläge zu versetzen und dabei äußerte, „Du bist eh eine Hure, jetzt kannst du es mir auch noch besorgen“, wobei es aufgrund der Gegenwehr der Monika H***** beim Versuch blieb;

II./ durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung genötigt, indem er ihr ein Brotmesser mit einer Gesamtlänge von 30 cm an den Hals hielt und sie anwies, eine Nachricht mit dem Inhalt, dass sie ihm Geld für den Moto GP geben werde, per WhatsApp an ihn zu übermitteln;

III./ im Anschluss an die unter A./I./ und A./II./ angeführten Taten widerrechtlich gefangen gehalten, indem er die Wohnungstür versperrte und sie über einen Zeitraum von zumindest einer Stunde am Verlassen der Wohnung hinderte;

B./ im Zeitraum von Frühjahr 2018 bis Jänner 2019 in K***** und anderen Orten gegen Monika H***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

I./ sie in zahlreichen Angriffen zumindest einmal im Monat an den Haaren packte und heftig daran zog, ihr büschelweise Haare ausriss, sie zu Boden stieß und ihr Schläge, unter anderem gegen ihren Kopf versetzte, wodurch sie Hämatome erlitt;

II./ ihr am 21. Jänner 2019 einen heftigen Schlag gegen den Kopf versetzte, wodurch sie eine traumatische Trommelfellruptur erlitt;

C./ im Dezember 2018 in K***** Monika H***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung verleitet, die diese in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte, nämlich durch die Vorspiegelung, Geld als Anzahlung für ein gemeinsames Reihenhaus zu benötigen, zur Übergabe von 15.000 Euro;

D./ zwischen 5. August 2019 und 9. August 2019 in K***** fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, nämlich zwei Parfums in nicht mehr feststellbarem Wert zum Nachteil der Monika H*****, Bargeld in Höhe von 650 Euro sowie eine Spardose samt Münzen im Wert von 30 Euro zum Nachteil des Rene H*****, und Bargeld in Höhe von 450 Euro zum Nachteil der Karina H*****;

E./ in V***** von Frühjahr 2016 bis November 2016 Helene Z***** in zwei Angriffen mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ankündigte, er bringe sie und ihre Kinder um, er kaufe sich ein Gewehr und bringe alle um, er „verräume“ sie;

F./ am 3. April 2018 in V***** Helene Z***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr einen Stoß versetzte und mit den Füßen gegen ihren Körper trat, wodurch sie leichte Verletzungen, nämlich Prellungen im Bereich der linken Flanke und des rechten Sprunggelenks, erlitt;

[richtig: vgl US 3, 10 f, 21, 24] G./ am 2. März 2018 Pascal Z***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er seinen Pkw vorsätzlich gegen dessen Beine lenkte, wodurch Genannter eine Prellung im Bereich des linken Knies erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Die zu D./ ausgeführte Verfahrensrüge (Z 4) verabsäumt schon die Bezeichnung von Fundstellen der Antragstellung und bezughabenden Entscheidung des Gerichts im Protokoll der sich über mehrere Tage erstreckenden Hauptverhandlung (RIS Justiz RS0124172).

Abgesehen davon erfolgte die Abweisung (ON 48 S 17) des Antrags auf „daktyloskopische Untersuchung der Spardosen zum Beweis dafür, dass der Angeklagte […] keinerlei Bargeld aus den Spardosen in der Wohnung der Zeugin H***** entnommen hat“ (ON 38a S 39; ON 48 S 17), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten. Auch bei einem Fehlen von Fingerabdrücken wäre dessen Täterschaft keineswegs auszuschließen (vgl 13 Os 79/10g). Der Beweisantrag war somit nicht auf einen erheblichen Umstand gerichtet (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO).

Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird keine Nichtigkeit aufgezeigt (RIS Justiz RS0102162).

Entgegen der Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) wurden die Feststellungen zu G./ nicht offenbar unzureichend begründet, sondern vom Gericht logisch nachvollziehbar und empirisch einwandfrei aus Aussagen der Helene Z***** und der Monika H***** abgeleitet und dabei auch die Darstellung des Angeklagten berücksichtigt (US 21 f).

Zu B./ strebt der Angeklagte in seiner nominell zugleich als Rechts- (Z 9 lit a) und Subsumtionsrüge (Z 10; der Sache nach nur Z 10) ausgeführten Beschwerde eine rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nach § 83 Abs 1 StGB an. Er vermisst Feststellungen dazu, dass die Tathandlungen zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der „persönlichen Freiheit“ geeignet gewesen seien, und verweist diesbezüglich einerseits auf seine Einschätzung, die Zeugin Monika H***** habe nicht den Eindruck vermittelt, in einen permanenten Zustand der Angst versetzt gewesen zu sein, sowie andererseits auf den Umstand, dass sie den weiteren Kontakt zu ihm nicht gemieden habe.

Er legt jedoch nicht dar, weshalb die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen für die Bejahung der – als Rechtsfrage zu beurteilenden (RIS Justiz RS0132824) – Eignung der konkret gesetzten Gewalthandlungen, die Lebensführungsfreiheit des Opfers gravierend zu beeinträchtigen (zum geschützten Rechtsgut und zur objektiven Eingriffsintensität von anknüpfungstauglichen Tathandlungen vgl etwa Winkler SbgK § 107b Rz 7, 37, 108 f), nicht ausreichen sollten (vgl RIS-Justiz RS0127377; Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 107b Rz 3 f; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8).

Insofern der Beschwerdeführer über die getroffenen Feststellungen hinaus Konstatierungen zum (tatsächlichen) Vorliegen eines „permanenten Zustands der Angst“ bei Monika H***** vermisst, wird nicht klar, weshalb solche Konstatierungen für das als abstraktes Gefährdungsdelikt angelegte Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB erforderlich sein sollten (vgl auch 12 Os 93/19x; Winkler SbgK § 107b Rz 110; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8).

Im Übrigen ist die rechtliche Ableitung der entsprechenden Eignung der konstatierten Tathandlungen aufgrund der einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung nicht zu beanstanden (vgl Winkler SbgK § 107b Rz 21 f; RIS Justiz RS0127377). Denn die zumindest monatlichen Angriffe erstreckten sich über fast ein Jahr und erschöpften sich nicht in – bereits tatbestandsmäßigen bloßen – Misshandlungen, sondern gingen mit vorsätzlich herbeigeführten Verletzungen am Körper in Form von Hämatomen und einer Trommelfellruptur einher und waren kausal für eine erforderliche psychotherapeutische Behandlung.

Zu C./ behauptet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Fehlen von Feststellungen zum Vorliegen eines im Täuschungszeitpunkt bestehenden Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatzes, orientiert sich dabei jedoch nicht an den getroffenen Feststellungen in ihrer Gesamtheit (RIS Justiz RS0117247). Danach verleitete der Beschwerdeführer Monika H***** durch Täuschung über Tatsachen zur Übergabe des Geldes, „wusste und wollte“ dies ebenso wie die Genannte in diesem Umfang am Vermögen zu schädigen, nahm „ihren Schaden in dieser Höhe billigend in Kauf“, „um diesen Betrag für sich [zu] verwenden, um sich damit unrechtmäßig zu bereichern“. „Dabei“ – somit zeitgleich – wusste er, keinen Anspruch auf das Geld zu haben (US 9; Ratz , WK StPO § 281 Rz 19).

Weshalb diese Konstatierungen (in objektiver und subjektiver Hinsicht) die rechtliche Unterstellung des Tatgeschehens unter § 134 Abs 2 und Abs 3 StGB anstatt unter §§ 146, 147 Abs 2 StGB mit sich bringen sollten, lässt die Subsumtionsrüge (Z 10) offen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Ebenso war mit der vom Angeklagten angemeldeten „vollen“ Berufung zu verfahren, soweit diese eine Berufung wegen Schuld miteinschließt. Ein solches Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile ist in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehen (RIS Justiz RS0098904 [T23]).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (verbleibenden) Berufungen (des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft; § 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO).