JudikaturJustiz15Os180/13d

15Os180/13d – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Oktober 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Einberger als Schriftführer in der Rechtshilfesache gegen Alfons B***** und andere wegen Handels und Ausfuhr von weichen Drogen nach Art 3 des niederländischen Betäubungsmittelgesetzes und Geldwäsche nach Art 420bis des niederländischen Strafgesetzbuchs über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 3. Jänner 2011, AZ 11 HR 203/10i (ON 4) im Verfahren AZ 5 HSt 95/10a der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 3. Jänner 2011, AZ 11 HR 203/10i (ON 4 im Akt AZ 5 HSt 95/10a der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis), verletzt § 137 Abs 3 erster Satz StPO.

Text

Gründe:

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 und (ergänzend) vom 2. November 2010 ersuchte die Bezirksstaatsanwaltschaft Arnhem (Niederlande) um Genehmigung der Verwendung der im PKW des Alfons B***** während dessen Aufenthalts auf österreichischem Hoheitsgebiet aufgezeichneten Kommunikation als Beweis im in den Niederlanden gegen den Genannten und andere wegen des Verdachts des Handels mit und der Ausfuhr von weichen Drogen nach Art 3 des niederländischen Betäubungsmittelgesetzes (unter Strafe gestellt in Art 11 des niederländischen Betäubungsmittelgesetzes) und der Geldwäsche nach Art 420bis des niederländischen Strafgesetzbuchs geführten Strafverfahren.

Über Antrag der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis vom 30. Dezember 2010, AZ 5 HSt 95/10a, bewilligte das Landesgericht Ried im Innkreis mit Beschluss vom 3. Jänner 2011, AZ 11 HR 203/10i, die „Anordnung einer akustischen Überwachung von Personen“, mit welcher nachträglich die akustische Überwachung des PKW Mercedes ML mit dem spanischen Kfz Kennzeichen ***** des Beschuldigten Alfons B*****, geboren am *****, für den Zeitraum vom 27. Oktober 2010 bis einschließlich 17. November 2010, währenddessen sich dieser PKW auf österreichischem Hoheitsgebiet befunden hat, „gemäß § 136 Abs 1 Z 3 lit a StPO“ verfügt wurde (ON 4).

In der Begründung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung auf die die Einzelrichterin verwies (vgl RIS Justiz RS0124017) wurde im Wesentlichen (soweit hier von Relevanz) ausgeführt:

Die Beschuldigten Alfons B***** (sen), geboren am *****, Alfons B*****, geboren am *****, und Jakoba B***** seien gemäß den Rechtshilfeersuchen der Bezirksstaatsanwaltschaft Arnhem unter anderem des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB dringend verdächtig. Sie sollen unter Verwendung von mehreren (in der Anordnung näher angeführten) Unternehmen eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Anzahl von Personen gegründet bzw sich an einer solchen Verbindung als Mitglied beteiligt haben; diese Verbindung sei auf die wiederkehrende und geplante Begehung von schwerwiegenden strafbaren Handlungen im Bereich der Vermögensdelinquenz (§ 165 Abs 1, 2, 3 und 4 StGB) und der Suchtmittel-kriminalität (Verbrechen des Suchtgifthandels) ausgerichtet gewesen und es sei eine Bereicherung in großem Umfang angestrebt worden. Durch die Errichtung einer Vielzahl von Unternehmen und die teilweise Verschleierung des Wohnorts sei versucht worden, die Verbindung auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen.

Es sei eine Ermächtigung des niederländischen Untersuchungsrichters zur Aufzeichnung vertraulicher Informationen im PKW des Alfons B***** sen. für den Zeitraum vom 20. Oktober 2010 bis 17. November 2010 vorgelegen, aufgrund welcher der zuständige niederländische Staatsanwalt dem zuständigen Ermittlungsteam die entsprechende Genehmigung erteilt habe.

Der akustischen Überwachung des vom Beschuldigten Alfons B***** sen benutzten PKW mit dem spanischen Kennzeichen ***** (auch auf österreichischem Hoheitsgebiet) habe es bedurft, um die gegenständlichen Vorwürfe „bzw“ die im Rahmen der von den Beschuldigten geleiteten kriminellen Organisation begangenen oder geplanten strafbaren Handlungen aufzuklären; andernfalls wäre die Aufklärung der den Beschuldigten vorgeworfenen strafbaren Handlungen wesentlich erschwert „bzw“ aussichtslos gewesen. Auch zur Bedeutung der Sache, der Strafandrohung sowie zum Grad des Verdachts sei die akustische Überwachung nicht außer Verhältnis gestanden.

Da es sich bei einem akustischen Lauschangriff „um eine abgewandelte Form der Überwachung der Telekommunikation“ handle, sei fallbezogen unter analoger Anwendung des Art 20 EU RHÜ (Übereinkommen gemäß Art 34 des Vertrags über die EU vom Rat erstellt über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU [BGBl III 2005/65]) die auf österreichischem Hoheitsgebiet im PKW „aufgezeichnete Kommunikation [...] nachträglich zu genehmigen“ gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der genannte Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 137 Abs 3 erster Satz StPO darf eine Ermittlungsmaßnahme nach § 136 StPO, somit auch die im bezeichneten Beschluss bewilligte akustische Überwachung von Personen im Sinn der Definition des § 134 Z 4 StPO selbst bei Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitskriterien des § 136 StPO nur für einen künftigen Zeitraum angeordnet werden.

Die Überwachung von Äußerungen von Personen, die nicht zur unmittelbaren Kenntnisnahme Dritter bestimmt sind, unter Verwendung technischer Mittel zur Tonübertragung oder Tonaufnahme ohne Kenntnis der Betroffenen im Sinn einer akustischen Überwachung gemäß § 134 Z 4 zweiter Fall StPO („ Lauschangriff “) ist von einer Überwachung von Nachrichten gemäß § 134 Z 3 StPO, also der Ermittlung des Inhalts von Nachrichten, die über ein Kommunikationsnetz oder einen Dienst der Informationsgesellschaft ausgetauscht oder weitergeleitet werden („ Inhaltsüberwachung “), zu unterscheiden. Die erstgenannte Ermittlungsmaßnahme ist an strengere Voraussetzungen gebunden (§ 136 Abs 1 StPO im Vergleich zu § 135 Abs 3 StPO) und unterliegt auch einer weitergehenden Kontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten (vgl § 147 Abs 1 Z 3 und 5 StPO).

Gemäß § 5 Abs 1 StPO darf bei der Ausübung von Befugnissen und bei der Aufnahme von Beweisen nur soweit in Rechte von Personen eingegriffen werden, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Aus dieser Bestimmung (vgl auch Art 8 Abs 2 MRK, wonach Eingriffe in das [Grund ]Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ausdrücklich gesetzlich vorgesehen sein müssen) ist ein Analogieverbot für Grundrechtseingriffe abzuleiten (vgl 13 Os 83/08t mit Anm von Schütz , JBl 2009, 527 und Pilnacek/Pscheidl , Das Strafverfahren und seine Grundsätze, ÖJZ 2008, 66). Da sich Art 20 EU-RHÜ bloß auf die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs einer Person bezieht, kommt die nachträgliche Bewilligung der Durchführung [vgl Art 20 Abs 4 lit a) i) EU RHÜ] eines von ausländischen Behörden angeordneten Lauschangriffs auf Grundlage dieser Regelung nicht in Betracht.

Die gerichtliche Bewilligung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung einer akustischen Überwachung für die Vergangenheit findet keine Deckung in § 137 Abs 3 StPO (iVm § 134 Z 4 StPO und § 136 Abs 1 Z 3 lit a StPO), weshalb im Sinn des Antrags der Generalprokuratur eine Verletzung dieser Bestimmung festzustellen war.

Zur Anordnung konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, zumal der angefochtene Beschluss lediglich eine per se wirkungslose inländische Beweisaufnahme zum Gegenstand hatte. Die Rechtmäßigkeit der davon zu unterscheidenden allein vom Rechtshilfeersuchen umfassten (ON 2 S 45) Genehmigung der Verwertung der Ergebnisse einer abgeschlossenen niederländischen Beweisaufnahme im dortigen Verfahren durch die Staatsanwaltschaft (ON 11) war nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen des § 292 StPO.