JudikaturJustiz15Os159/23f

15Os159/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Mag. Flickinger als Schriftführer in der Strafsache gegen A* S* wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 13 Hv 29/23y des Landesgerichts Linz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 18. Oktober 2023, AZ 10 Ns 19/23d (ON 18.1 der Hv Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 13 Hv 29/23y des Landesgerichts Linz verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 18. Oktober 2023, AZ 10 Ns 19/23d, § 37 Abs 3 iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird ausgesprochen, dass für die Durchführung des Strafverfahrens über den von der Staatsanwaltschaft Linz am 9. Mai 2023, AZ 1 St 6/23a, gegen A* S* eingebrachten Strafantrag das Landesgericht Steyr zuständig ist.

Text

Gründe:

[1] Am 16. Jänner 2023 brachte die Staatsanwaltschaft Steyr gegen A* S* eine Anklageschrift beim Landesgericht Steyr als S chöffengericht, AZ 11 Hv 5/23z, ein. Am 28. Februar 2023 wurde die Rechtswirksamkeit dieser Anklageschrift festgestellt.

[2] Am 9. Mai 2023 brachte die Staatsanwaltschaft Linz den hier relevanten Strafantrag (ON 8) gegen S* beim Landesgericht Linz, AZ 13 Hv 29/23y, ein. Mit Verfügung vom 13. Mai 2023 ordnete der Einzelrichter hinsichtlich dieses Strafantrags die Hauptverhandlung für den 30. Juni 2023 an (ON 1.5).

[3] Am 5. Juni 2023 erging gegen S* das Urteil im Verfahren AZ 11 Hv 5/23z des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht, welches sogleich in Rechtskraft erwuchs.

[4] Am 26. Juni 2023 verfügte der Einzelrichter im Verfahren AZ 13 Hv 29/23y des Landesgerichts Linz die Abberaumung der Hauptverhandlung (ON 1.10) und am 29. Juni 2023 die Abtretung dieses Verfahrens an das Landesgericht Steyr als Schöffengericht zur Einbeziehung in dessen Verfahren AZ 11 Hv 5/23z (ON 1.11).

[5] Das sich für nicht zuständig erachtende Landesgericht Steyr legte die Strafsache gemäß § 38 StPO dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts vor.

[6] Mit Beschluss vom 18. Oktober 2023, AZ 10 Ns 19/23d, sprach das Oberlandesgericht Linz aus, dass das Landesgericht Linz für die Führung des Verfahrens über den bezeichneten Strafantrag zuständig sei (ON 18.1).

[7] Es begründete seine Entscheidung damit, dass das Strafverfahren des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht im Zeitpunkt der Abtretungsverfügung des Einzelrichters des Landesgerichts Linz bereits abgeschlossen gewesen sei. Das einzubeziehende Strafverfahren bzw dessen bevorstehende Abtretung sei für das Landesgericht Steyr im Zeitpunkt der Erledigung des eigenen Verfahrens auch nicht erkennbar gewesen; eine Nachforschungspflicht habe nicht bestanden. Solcherart hätte dieses Gericht keine Möglichkeit und demzufolge keine Kompetenz gehabt, diese Verfahren zu verbinden und gemeinsam zu führen; die objektiven Voraussetzungen dafür hätten nicht mehr vorgelegen (BS 2 f).

Rechtliche Beurteilung

[8] Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, dass dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:

[9] Sind gegen einen Angeklagten mehrere rechtswirksame Anklagen gleichzeitig anhängig, ist das für alle diese Verfahren zuständige Gericht nach § 37 Abs 3 iVm Abs 2 StPO zu ermitteln. Für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung in Bezug auf die hier relevante örtliche Zuständigkeit genügt, dass die Voraussetzungen der Verfahrensverbindung nach § 37 Abs 3 StPO zu irgendeinem Zeitpunkt objektiv vorlagen (RIS Justiz RS0132460).

[10] O b diese V oraussetzungen auch noch im Zeitpunkt der Abtretungsverfügung vorliegen, ist dagegen nicht von Bedeutung. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob für die beteiligten Gerichte erkennbar ist, dass zu verbindende Strafverfahren geführt werden oder eine Abtretung bereits verfügt wurde, weil für die örtliche Zuständigkeit die objektiv vorliegenden Umstände maßgebend sind.

[11] Unterbleibt eine Verfahrensverbindung, etwa weil das für die Zuständigkeit ausschlaggebende Verfahren davor erledigt wurde , bleibt dennoch jenes Gericht auch für das „einzubeziehende“ Verfahren örtlich zuständig, in dessen Kompetenz die Verbindung und gemeinsame Verfahrensführung gefallen wäre (erneut RIS Justiz RS0132460).

[12] Aufgrund der rechtswirksamen Anklageschrift und des positiven, durch die Anordnung der Hauptverhandlung dokumentierten Abschlusses der Vorprüfung des Strafantrags durch den Einzelrichter (RIS Justiz RS0132157), waren gegen S* ab 13. Mai 2023 gleichzeitig zwei rechtswirksame Anklagen anhängig. Das Landesgericht Steyr als Schöffengericht wäre als höherrangiges Gericht zur Verbindung und gemeinsamen Führung der Verfahren zuständig gewesen (§ 37 Abs 3 letzter Satz iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO). Da die zwischenzeitige Erledigung des Schöffenverfahrens an der bereits begründeten örtlichen Zuständigkeit nichts ändert, ist das Landesgericht Steyr weiterhin auch für das Verfahren über den Strafantrag örtlich zuständig.

[13] Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz verletzt daher § 37 Abs 3 iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO.

[14] Da ein dem Angeklagten nachteiliger Einfluss dieser Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, war deren Feststellung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtssätze
2
  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.