JudikaturJustiz15Os151/12p

15Os151/12p – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Wilfried N***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen §§ 6, 7a, 8a Abs 6, 34 MedienG, AZ 92 Hv 148/11z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 26. September 2012, AZ 17 Bs 269/12a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag der A***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, sowie des Vertreters des Antragstellers, Dr. Korn, und des Vertreters der Antragsgegnerin und Erneuerungswerberin, Dr. Rami, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Dem Antrag auf Erneuerung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Der Medienrechtssache des Antragstellers Wilfried N***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen §§ 6, 7a, 8a Abs 6, 34 MedienG, AZ 92 Hv 148/11z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, lag ein (mit gleicher Überschrift und gleichem Inhalt) auf S 9 des periodischen Druckwerks „H*****“ vom 3. November 2011 und auf der Website www.h*****.at am 2. November 2011 mit der Überschrift „Hat der Polizist des Jahres Beweise gefälscht?“ erschienener Artikel mit folgendem Text zu Grunde:

„Weil er Ex-L*****-Chef Andre R***** geholfen haben soll, Geld außer Landes zu schaffen, verlor der junge Wiener Anwalt Michael Lö***** seine Existenz: Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt (eines davon unbedingt) und darf seinen Beruf nicht mehr ausüben.

Gegengleich ein Aufstieg im selben Fall: Weil er die 'SOKO L*****' bravourös zu Erfolgen führte (80.000 Aktenordner, 32 Hausdurchsuchungen) bekam Chefermittler Wilfried N***** den Ritterschlag der Exekutive _ 'Kriminalist des Jahres 2*****'. Jetzt könnte der Top-Cop allerdings hart landen.

Denn Verlierer Lö***** bekam die beschlagnahmten Dateien zurück. Und nun glaubt er belegen zu können, dass Fahnder N***** erfolgshungriger war, als die Polizei erlaubt.

Folge: In Lö*****'s Auftrag hat Spitzenanwalt Elmar K***** den 'Kriminalisten des Jahres' wegen Beweisfälschung und Amtsmissbrauch angezeigt (Akt 8 St 222/11p).

Die Vorwürfe: Notizbücher, die Lö***** entlastet hätten, sind verschwunden. Dafür wurde sein versiegelter Laptop rechtswidrig geöffnet. Schlimmer noch: Aktenvermerke sollen verändert, falsch datiert oder gar konstruiert worden sein. K*****: 'Bei Manipulationen hört sich der Spaß auf'. Also soll das Verfahren gegen Lö***** neu aufgerollt werden“.

Dem Beitrag war unter anderem ein Lichtbild von Wilfried N***** unter Nennung seines vollen Namens beigefügt.

Mit Urteil vom 13. April 2012, GZ 92 Hv 148/11z 10, sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien aus, dass durch die inkriminierten Veröffentlichungen mit dem Inhalt, gegen den Antragsteller sei wegen der Vorwürfe, Beweismittel gefälscht und Amtsmissbrauch begangen zu haben, Strafanzeige erstattet worden, jeweils in einem Medium bezüglich des Antragstellers der objektive Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt wurde. Die Antragsgegnerin wurde gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung von Entschädigungen in der Höhe von 2.500 Euro und 1.000 Euro an den Antragsteller, gemäß (richtig:) § 8a Abs 6 MedienG iVm § 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung im periodischen Druckwerk „H*****“ und auf der Website www.h*****.at sowie gemäß § 8a (Abs 1) MedienG iVm § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Das Erstgericht stellte im Wesentlichen fest (US 3 f), dass in der periodischen Druckschrift „H*****“ der Antragsgegnerin vom 3. November 2011 auf S 9 und auch auf ihrer Website www.h*****.at der von 2. bis zumindest 14. November 2011 abrufbare Artikel auf dessen Wortlaut es im Urteil unter Anführung der beigeschlossenen Beilage (A./) verwies publiziert wurde, der über die Einbringung einer Strafanzeige gegen den Antragsteller Wilfried N*****, seinerzeit Ermittler in der Strafsache „L*****“, wegen des Vorwurfs der Beweismittelfälschung und des Amtsmissbrauchs berichtete.

Nach den weiteren Konstatierungen entnimmt der konkret angesprochene Leserkreis diesem Artikel, dass der Verdacht besteht, der Antragsteller habe Beweise gefälscht und Amtsmissbrauch begangen, weshalb gegen ihn Strafanzeige erstattet worden sei und derzeit ein Ermittlungsverfahren geführt werde, das noch nicht abgeschlossen sei. Der Antragsteller ist aufgrund des dem Artikel beigefügten Lichtbilds und der Nennung seines Vor- und Nachnamens für mehr als zehn nicht unmittelbar über den Verdacht informierte Personen erkennbar. Das Bezug habende Ermittlungsverfahren zu AZ 8 St 222/11g war von der Staatsanwaltschaft W***** tatsächlich bereits am 24. Oktober 2011 eingestellt worden.

Im Hinblick darauf verneinte das Erstgericht eine zum Zeitpunkt der Berichterstattung real bestehende Verdachtslage (US 5). In rechtlicher Hinsicht sah es die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 6 Abs 1 MedienG als erfüllt an, weil (auch) der Bericht über den bloßen Verdacht der Begehung einer Tat, durch die ein mit gerichtlicher Strafe bedrohter Tatbestand verwirklicht wird, den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede herstelle.

Die Ausschlussgründe des § 6 Abs 2 Z 2 lit a oder b MedienG lägen nicht vor, weil das Ermittlungsverfahren bereits eine Woche vor der Berichterstattung eingestellt worden sei, was die Antragsgegnerin durch Anfrage bei der Staatsanwaltschaft in Erfahrung zu bringen unterlassen habe. Das Anstellen von Nachforschungen beim Antragsteller habe sie nicht behauptet.

Ein Anspruch auch nach § 7a Abs 1 MedienG kam für den Einzelrichter demgegenüber nicht in Betracht, weil angesichts der beruflichen Tätigkeit des Antragstellers eine abstrakte Gefahr unverhältnismäßiger Beeinträchtigung dessen Fortkommens (§ 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG) ebenso wenig anzunehmen sei, wie eine konkrete Gefährdung (sonstiger) schutzwürdiger Interessen des Antragstellers.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit (nominell § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, der Sache nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und § 41 Abs 1 MedienG) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 26. September 2012, AZ 17 Bs 269/12a (ON 19 des Hv Aktes), Folge, indem es „feststellte, dass durch die identifizierende Berichterstattung in den inkriminierten Veröffentlichungen auch das Tatbild des § 7a Abs 1 MedienG erfüllt wurde“, das angefochtene, im Übrigen unberührt bleibende Urteil „im Strafausspruch“ aufhob und die dem Antragsteller zuerkannte Entschädigung für die Veröffentlichung in der Print- und in der Onlineausgabe von „H*****“ auf 5.000 und 3.000 Euro erhöhte.

Der Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld gab es nicht Folge; mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe verwies es die Antragsgegnerin auf die Neubemessung der Entschädigung.

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Entschädigungen nach § 6 Abs 1 MedienG bestätigte das Berufungsgericht insbesondere dadurch, dass es deren Berufungsausführungen zur Schuld die Eignung absprach, Bedenken gegen die erstrichterlichen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Artikels zu wecken, und deren einen Feststellungsmangel behauptender Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) entgegenhielt, einzig und allein maßgeblich sei, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zu AZ 8 St 222/11g noch vor der gegenständlichen Veröffentlichung eingestellt habe, was in den inkriminierten Publikationen nicht angeführt worden sei. Der Verständigung des Anzeigers von der Einstellung komme demgegenüber ebenso wenig Relevanz zu, wie dessen allenfalls geplantem Antrag auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 StPO.

Der nominell auf Z 9 lit a, der Sache nach auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit erkannte das Berufungsgericht Berechtigung zu, indem es die idealkonkurrierende Verwirklichung des Tatbestands des Schutzes vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen nach § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG annahm. Dazu führte es aus, dass dem Leser untermauert durch Anführung des Aktenzeichens der Staatsanwaltschaft eine unverändert fortbestehende Verdachtslage „präsentiert“ worden sei, zumal die bereits erfolgte Verfahrenseinstellung unerwähnt blieb. Tatsächlich wäre diese Verfahrenseinstellung im Hinblick auf die dem Opfer noch offenstehende Möglichkeit, einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens zu stellen, „noch nicht rechtskräftig“, der Tatverdacht also „noch nicht ausgeräumt“ gewesen, woraus sich die Antragslegitimation der Antragstellerin ergebe (ON 19 S 6 f).

Das Berufungsgericht nahm ferner an, die gegenständlichen Publikationen seien geeignet, den Antragsteller, einen unbescholtenen Polizisten, in seinem beruflichen Fortkommen zu beeinträchtigen; sie würden nicht nur eine abstrakte Gefahr unverhältnismäßiger Beeinträchtigung des Fortkommens des Antragstellers, sondern auch eine konkrete Gefährdung mit sich bringen, weil dessen berufliche Tätigkeit „nicht nur zu strafrechtlichen Verurteilungen diverser Manager“ geführt, sondern auch „erhebliche finanzielle Nachteile für diese Personen“ nach sich gezogen habe, sodass es „naheliegend erscheint, dass diese Personen aus Rache versuchen werden, zumindest dem Ruf des Antragstellers, allenfalls auch seiner Person (Karriere) Schaden zuzufügen“. Deshalb sei „auch zusätzlich eine konkrete Gefährdung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen“ durch die identifizierende Berichterstattung gegeben.

Unbeschadet des Umstands, dass der Antragsteller zum „Polizisten des Jahres“ gewählt worden war, verneinte das Berufungsgericht „ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an den Veröffentlichungen“, zumal „ein aufgrund der Ermittlungstätigkeit des Antragstellers rechtskräftig verurteilter Straftäter diesen knapp zwei Wochen vor den Veröffentlichungen“ angezeigt habe „und das Ermittlungsverfahren zum jeweiligen Zeitpunkt der (erstmaligen) Veröffentlichung sogar schon mehrere Tage eingestellt“ gewesen sei.

In ihrer auch in der Berufungsverhandlung vorgetragenen (ON 18 S 1) Berufungsschrift hatte die Antragsgegnerin ihr Vorbringen zur „Entstehungsgeschichte des inkriminierten Artikels“ aus ihrer Stellungnahme im erstinstanzlichen Verfahren (ON 6 S 3) wiederholt (ON 14 S 4), darunter auch, dass die Ermittlungen des Antragstellers zur Strafsache L***** zur rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des (namentlich genannten) ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der L***** AG und zweier (namentlich genannter) Rechtsanwälte, darunter des in den inkriminierten Publikationen erwähnten Anzeigers geführt haben; letztere sind in der Folge mit einem Berufsverbot für Rechtsanwälte belegt worden.

Gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. April 2012 und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2012 richtet sich - gestützt auf die Behauptung einer Verletzung (1./) im Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK durch Überraschung von ihr unbekannter Gerichtsnotorietät in Bezug auf den Ausspruch nach § 7a Abs 1 MedienG sowie (2./) im durch das Günstigkeitsprinzip nach Art 53 MRK iVm Z 2 des Beschlusses der Provisiorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 (StGBl 1918/3) verfassungsrechtlich geschützten Recht auf „volle Freiheit der Presse“ in Bezug auf jenen nach § 6 MedienG - der Antrag der Antragsgegnerin A***** GmbH auf Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG (RIS-Justiz RS0122228).

Die von der Generalprokuratur gegen das erwähnte Urteil des Oberlandesgerichts Wien erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes macht eine Verletzung von § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG geltend.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur:

Die Generalprokuratur führte aus:

Werden in einem Medium der Name, das Bild oder andere Angaben veröffentlicht, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist (1./) oder einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist oder wegen einer solchen verurteilt wurde (2./), und werden hiedurch schutzwürdige Interessen dieser Person verletzt, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat, so hat der Betroffene nach § 7a Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber einen Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung.

Diese Bestimmung bietet also wie schon aus dem Titel hervorgeht „Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen“. Eine identifizierende Kriminalberichterstattung ist demnach nur dann zulässig, wenn es für eine solche wegen der Bedeutung der Tat oder wegen der in das Geschehen verwickelten Personen oder aus einem anderen Grund überwiegende Informationsinteressen gibt, die sich auch auf die Identität von Opfer und/oder Täter bzw Verdächtigen richten. § 7a MedienG wurde durch die Mediengesetznovelle 1992 geschaffen, um den Rechtsschutz der von der Kriminalberichterstattung betroffenen Personen auszubauen. Die Erläuterungen betonen die präventive Funktion (auch) dieser Bestimmung: Durch die Statuierung des Entschädigungsanspruchs soll zum einen verhindert werden, dass „Opfer einer strafbaren Handlung noch ein zweites Mal Opfer werden, nämlich Opfer einer ausufernden (Persönlichkeitsrechte verletzenden) Berichterstattung. Zum anderen soll in Ansehung Verdächtiger oder Verurteilter hintangehalten werden, dass sie in Form eines 'Medienprangers' anstelle oder neben einer gerichtlichen Bestrafung eine soziale Ersatz- oder Zusatzbestrafung erfahren“ (vgl RV Mediengesetznovelle 1992, 11).

Wird der gesetzliche Rahmen überschritten, so bietet diese Bestimmung dem medial identifizierten Betroffenen eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung des immateriellen Schadens (zum Ganzen Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ § 7a Rz 1 f, 40).

Grundvoraussetzung für einen Anspruch nach § 7a MedienG ist der tatsächliche Bezug zu einer Straftat. Einer Person, die in Wahrheit nicht Opfer einer bestimmten Straftat geworden ist, von der dies aber fälschlicherweise medial transportiert wird, steht kein Entschädigungsanspruch nach dieser Bestimmung zu, weil sie eine wesentliche Voraussetzung, nämlich Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung zu sein , nicht erfüllt. Ihren Persönlichkeitsrechten bietet nur, aber immerhin § 7 MedienG Schutz.

Eine Person, von der in einem Medium lediglich behauptet wird, sie habe eine strafbare Handlung begangen, ohne dass tatsächlich Gründe für eine solche Annahme vorliegen, die also nur unsubstanziiert verdächtigt wird , kann aus § 7a MedienG keinen Entschädigungsanspruch ableiten. Tatsächlich tatverdächtig und damit anspruchsberechtigt im Sinn der leg cit ist eine Person nämlich (erst) dann, wenn überhaupt Anhaltspunkte für ihre Täterschaft vorliegen, also Beweise oder Indizien, aus denen die Tatbegehung zumindest ableitbar wäre (vgl 4 Ob 395/97i). Zweck des § 7a MedienG ist nämlich der Identitätsschutz als solcher, nicht der Schutz vor falscher Darstellung ( Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG 3 § 7a Rz 8).

Ein ohne entsprechendes Substrat in einem Medium geäußerter „Verdacht“, jemand habe eine gerichtlich strafbare Tat begangen, begründet demgegenüber (nur) einen Anspruch nach § 6 MedienG:

Die Rechtsprechung anerkennt nämlich, dass tatbestandsmäßig im Sinn des § 6 Abs 1 MedienG nicht nur der Vorwurf der Begehung einer eine gerichtlich strafbare Handlung verwirklichenden Tat ist, also die Behauptung, jemand hat eine Straftat tatsächlich begangen, sondern schon die Äußerung eines dementsprechenden Tatverdachts, mithin die Behauptung, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass der Betreffende eine solche Tat begangen habe. Gelingt der korrespondierende Wahrheitsbeweis für einen geäußerten Tatverdacht nicht (§ 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG), können also Umstände, die eine solche Schlussfolgerung zuließen, nicht bewiesen werden, so haftet der Medieninhaber unbeschadet sonstiger Ausschlussgründe nach § 6 Abs 1 MedienG (vgl 15 Os 106/10t [15 Os 49/11m, 15 Os 50/11h] mwN, 15 Os 130/10x).

Mit anderen Worten: Bei identifizierender medialer Berichterstattung über einen bloßen Tatverdacht kommt ein Entschädigungsanspruch des Betroffenen grundsätzlich nur nach § 6 Abs 1 MedienG oder nach § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG in Betracht, und zwar, jeweils bezogen auf den Äußerungszeitpunkt, im Fall eines iSd § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG nicht erweislichen, also haltlosen Verdachts nach § 6 Abs 1 MedienG, im Fall eines durch entsprechende Indizien einigermaßen fundierten Tatverdachts nach § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ § 7a Rz 8, aM Rami in WK² MedienG § 7a Rz 14, allerdings [noch] ohne Berücksichtigung von 15 Os 106/10t [15 Os 49/11m, 15 Os 50/11h]).

Fallbezogen gründete das Erstgericht rechtsrichtig den Zuspruch von Entschädigungen nach § 6 Abs 1 MedienG auf die Feststellungen, dass dem Leser durch die inkriminierten Veröffentlichungen ein gegen den Antragsteller gerichteter Verdacht auf Beweismittelfälschung und Amtsmissbrauch, der Gegenstand eines anhängigen Ermittlungsverfahrens ist, transportiert wurde, obwohl ein solcher Verdacht tatsächlich („real“) nicht (mehr) bestanden hatte. Zu dieser Auffassung war es mängelfrei aufgrund wörtlicher und den Kontext beachtender Interpretation des Artikels einerseits und der von der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt bereits a limine vorgenommenen Einstellung des Bezug habenden Ermittlungsverfahrens andererseits gelangt. Damit verneinte es unter einem das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG, nämlich dass die Veröffentlichung insofern wahr wäre, als es entsprechende Indizien für den geäußerten Verdacht gäbe (US 4 f). Dass solche Indizien je, also etwa vor der Einstellung des Ermittlungsverfahrens, vorgelegen wären, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen.

Diesen Ausspruch hat das Berufungsgericht bestätigt, indem es der dagegen gerichteten Berufung der Antragsgegnerin den Erfolg versagte.

Die in Stattgebung der Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit der Sache nach aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO vom Oberlandesgericht dennoch angenommene idealkonkurrierende Verwirklichung des Tatbestands des Schutzes vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen nach § 7a Abs 1 Z 2 zweiter Fall MedienG ist hingegen verfehlt. Die hiefür ins Treffen geführte Möglichkeit einer fristgerechten Antragstellung gemäß § 195 StPO, durch die die Einstellung des Ermittlungsverfahrens einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann, reicht nämlich nach dem Vorgesagten zur Begründung einer Anspruchsberechtigung des Antragstellers im Sinn des § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG, also als einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist , und ihrer nicht bloß substratlos verdächtigt wird, per se nicht hin. Dazu wären vielmehr die Anführung konkreter Sachverhaltsannahmen, aus welchen sich die Verwirklichung eines gerichtlich strafbaren Tatbestands ergäbe, und die Nennung entsprechender Beweisergebnisse erforderlich. Solche Feststellungen zu treffen hat das Erstgericht aber generell abgelehnt, indem es gegenteilig vom Berufungsgericht gebilligt von einer „real nicht (mehr) bestehenden Verdachtslage“ ausging.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass § 6 Abs 1 MedienG dem Schutz des guten Rufs von Personen dient (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ Vor §§ 6-8a Rz 9; Rami in WK 2 MedienG § 6 Rz 1a), § 7a MedienG hingegen jenem der Achtung der Privatsphäre und berechtigter Anonymitätsinteressen (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ Vor §§ 6-8a Rz 13 f und § 7a Rz 2). Unter dem Gesichtspunkt verschiedener Schutzrichtungen ist die idealkonkurrierende Verwirklichung beider Tatbestände nach dem Gesetz somit nicht ausgeschlossen, zumal § 7a MedienG auch nicht (wie § 6 MedienG) darauf abstellt, ob die inkriminierte Äußerung den (objektiven) Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung herstellt oder wahr ist.

Anspruchsberechtigt im Sinn des § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG ist eine Person, die im Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung steht („verdächtig ist“). Nach ihrem Wortlaut besagt diese Bestimmung nicht, dass dieser Verdacht auch objektiv begründet sein muss. „Verdächtig“ sein in diesem Sinn bedeutet nicht, dass der Betroffene (bereits oder noch immer) behördlich verfolgt werden muss; ein Verdacht kann auch aus anderen Gründen bestehen. Auch eine Verdachtserzeugung durch bloße Medienberichterstattung ist denkbar (vgl Rami in WK 2 MedienG, § 7a Rz 13 ff; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG 3 § 7a Rz 8). Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks dieser Bestimmung, die primär den Rechtsschutz der von der „Kriminalberichterstattung“ betroffenen Personen ausbauen sollte (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ § 7a Rz 1), ist unter „verdächtig“ im Sinn des § 7a Abs 1 Z 2 erster Fall MedienG daher auch eine Person zu verstehen, gegen die in einer der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gebrachten Sachverhaltsdarstellung oder Anzeige ob nun objektiv berechtigt oder nicht der Vorwurf der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung erhoben wurde, der die Staatsanwaltschaft zum Tätigwerden im Sinn einer Bewertung und Prüfung des Vorbringens verpflichtet, ob sie den Sachverhalt zum Anlass für Ermittlungen zur Aufklärung des insoweit behaupteten Verdachts nimmt (vgl § 1 Abs 2 StPO und § 2 StPO). Auch wenn diese Prüfung zur a-limine-Zurücklegung der Anzeige geführt hat, ist dem Betroffenen - ebenso wie einer rechtskräftig freigesprochenen Person, die in einer Publikation losgelöst von der Berichterstattung über den Freispruch (neuerlich oder erstmalig) als „verdächtig“ bezeichnet wird unabhängig von einem allfälligen Anspruch nach § 6 MedienG auch die Anspruchsberechtigung nach § 7a MedienG zuzubilligen. Ob die Frist zur Stellung eines (allenfalls zulässigen) Antrags auf Fortführung des Verfahrens (§ 195 StPO) offensteht, ist in diesem Zusammenhang im Übrigen ohne Bedeutung, weil das Verfahren jedenfalls bis zu einer allfälligen Fortführung durch die Staatsanwaltschaft rechtskräftig eingestellt ist (vgl RIS-Justiz RS0124802; Nordmeyer , WK-StPO § 190 Rz 22 f; Marek in WK 2 § 58 Rz 22 f; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher StPO 1 § 190 Rz 13).

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur war daher zu verwerfen.

Zum Erneuerungsantrag der Antragsgegnerin:

Für einen nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß (RIS Justiz RS0122737).

Demnach hat weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 16) auch ein Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO per analogiam deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Antragsteller mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.

Vorbringen zur Beeinträchtigung von Grundrechten der Antragsgegnerin durch das Erstgericht enthält der Erneuerungsantrag nicht, weshalb er insoweit schon mangels prozessordnungskonformer Darstellung von vermeintlichen Rechtsfehlern zurückzuweisen war (RIS-Justiz RS0124359).

Mit der Behauptung einer vom Berufungsgericht bewirkten Verletzung in seinem Recht, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden, verkennt der Beschwerdeführer, dass ein Verstoß gegen das Fair-Trial-Gebot des Art 6 MRK nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs etwa dann nicht vorliegt, wenn die gerichtskundige Tatsache bereits in der in der Hauptverhandlung vorgetragenen Anklageschrift dargestellt wurde oder sonst eine Erörterung in der Hauptverhandlung stattfand. Erforderlich ist die Ermöglichung der Erörterung der der Verantwortung des Angeklagten zuwider laufenden Verfahrensergebnisse (vgl RIS-Justiz RS0119094). Nachdem die Antragsgegnerin (und Erneuerungswerberin) selbst zuletzt in ihrer Berufung auf die auf den Ermittlungsergebnissen des Antragstellers basierende rechtskräftige Verurteilung mehrerer Personen und das in der Folge über zwei der Betroffenen verhängte Berufsverbot hingewiesen hatte, kann sie sich im vorliegenden Fall insoweit nicht durch die Annahme einer ihr unbekannten Gerichtsnotorietät durch das Berufungsgericht beschwert erachten.

Schließlich genügt zur Argumentation, Z 2 des Beschlusses der Provisiorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 (StGBl 1918/3) verbiete jegliche Einschränkung der Pressefreiheit, der Hinweis, dass diese Bestimmung die Vorzensur, nicht aber jegliche repressive Maßnahmen untersagt (VfSlg 6615; 8461; Walter/Mayer/Kucsko Stadlmayer , Bundesverfassungsrecht 10 Rz 1463 f; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar MedienG³ Präambel Rz 26 f; 4 Ob 199/12m; 15 Os 115/12s). Damit erweist sich aber auch das Vorbringen, die Antragsgegnerin sei nicht bloß auf die Ausschlussgründe des § 6 Abs 2 MedienG beschränkt und Art 10 Abs 2 MRK habe aufgrund von Art 53 MRK die ihrer Ansicht nach günstigere innerstaatliche, im Verfassungsrang stehende Vorschrift „nicht beseitigt“, als offenbar unbegründet.

Rechtssätze
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  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.