JudikaturJustiz15Os150/03

15Os150/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alfonso B***** wegen § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 16. Juli 2003, GZ 420 Hv 2/03d-137, nach öffentlicher Verhandlung, in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten Alfonso B***** und seiner Verteidigerin Rechtsanwältin Dr. Barki, zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Der Angeklagte wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Alfonso B***** des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er sich am 8. Oktober 2002 in Wien in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Barbara E***** zu töten, indem er sie bis zur Bewusstlosigkeit würgte und sodann in der Neuen Donau ertränkte.

Von den Geschworenen wurde die Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB stimmenmehrheitlich verneint und die Eventualfrage nach Totschlag gemäß § 76 StGB bejaht. Die Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 StGB und nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB) blieben demgemäß unbeantwortet.

Das Urteil bekämpfen der Angeklagte aus Z 4, 5, 6, 8, 10a und 13 und die Staatsanwaltschaft aus Z 6 des § 345 Abs 1 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerden.

Rechtliche Beurteilung

Dem Vorbringen der Staatsanwaltschaft gegen die Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag (Z 6) kommt Berechtigung zu. Eine Eventualfrage ist – abgesehen von hier nicht bedeutsamen anderen Fällen (vgl § 314 Abs 1 und 2 StPO) – dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (§ 314 Abs 1 StPO). Im vorliegenden Verfahren wäre eine Eventualfrage nach Totschlag demnach nur bei einem Tatsachenvorbringen zulässig gewesen, auf dessen Grundlage die rechtliche Annahme getroffen werden könnte, der Angeklagte habe sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Barbara E***** zu töten. Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, wurden derartige Tatsachen in der Hauptverhandlung nicht vorgebracht. Der Angeklagte gab an, Barbara E*****, die nach Zeugenaussagen sehr religiös war (S 107, 113/IV), habe ihm Vorhalte wegen der Abtreibungen, die sie vornehmen ließ, gemacht. Auch er sei schuld daran, er solle ein richtiger Mann und kein Schwächling sein. Er solle sich den Dingen stellen. Da sei er "ein bisschen außer Kontrolle geraten" (S 29-33/IV). Er habe nicht verkraften können, „dass sie ständig das Thema mit der Abtreibung vorbringt". Der Streit sei, wie der Angeklagte weiter angab, "außer Kontrolle geraten". Sie habe ihm eine Ohrfeige gegeben und er habe zurückgeschlagen. Dann habe er sie am Hals gepackt (S 35/IV).

Demnach mag der Angeklagte im Affekt gehandelt haben, doch fehlt es an dessen allgemeiner Begreiflichkeit. Diese läge vor, wenn das Verhältnis zwischen dem Anlass und dem Ausnahmezustand allgemein verständlich wäre, dh wenn sich ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch vorstellen könnte, unter den besonderen Umständen des Falles in eine solche Gemütsverfassung zu geraten. Der Affekt muss in Relation zum Anlass sittlich verständlich sein (Fabrizy StGB8 Rz 2; Leukauf/Steininger Komm³ Rz 11 f; Moos in WK2 Rz 30 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 Rz 29 ff; je zu § 76 StGB mwN). Der Staatsanwaltschaft ist darin beizupflichten, dass weder die vom Angeklagten genannten Äußerungen des Opfers noch andere Beweisergebnisse auf einen Affekt hinweisen, der allgemein begreiflich wäre. Damit fehlt es aber an einem für eine Beurteilung als Totschlag essentiellen Merkmal der behaupteten heftigen Gemütsbewegung. Die Stellung einer Frage nach § 76 StGB war daher durch die Verfahrensergebnisse nicht indiziert und deshalb verfehlt. Wegen der demnach - in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erfolgten Äußerung des Angeklagten - gebotenen Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen und des Urteils erübrigt sich eine Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten. Im zweiten Rechtsgang wird auf die Vorschriften über die Tilgung der Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Tutlingen zu achten sein (vgl § 7 Abs 1 und 2, § 3 Abs 1 Z 3 TilgG). Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.