JudikaturJustiz15Os146/10z

15Os146/10z – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer in der Strafsache gegen Ersel D***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Juli 2010, GZ 24 Hv 110/10f 82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ersel D***** zu I./1./ und 2./b./ der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, zu I./2./a./ der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, zu II./ des Vergehens (richtig: der Vergehen) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB, zu III./ der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB, zu IV./ der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB, teilweise als Beteiligter nach § 12 zweite Alternative StGB sowie zu V./ des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Innsbruck

I. / an, von und mit der am 2. Juli 1995 geborenen, mithin unmündigen Ahu D*****

1./ von zumindest Anfang 2005 bis Ende Juni 2009 in wiederholten, teils wöchentlichen Angriffen außer zeitlicher Konnexität zu den unter I./2./ dargestellten Tathandlungen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und an sich vornehmen lassen, und zwar dadurch, dass er ihren Scheidenbereich intensiv betastete und streichelte, ihre entblößten bereits entwickelten sowie noch nicht entwickelten Brüste bei begonnener Pubertät intensiv betastete, sich die Hoden massieren ließ, sich am entblößten Penis küssen ließ, sich am entblößten Penis mit der Hand betasten ließ, sich am entblößten erigierten Penis Masturbationsbewegungen, teils bis zum Samenerguss, durchführen ließ sowie seinen entblößten erigierten Penis ohne Penetrationsvorsatz an ihrem entblößten Scheidenbereich intensiv rieb;

2./ außer zeitlicher Konnexität zu den unter I./1./ dargestellten Tathandlungen ab Fruhjahr 2008 bis Ende Juni 2009

a./ in wiederholten, teils wöchentlichen, teils sogar mehrmals wöchentlichen Angriffen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar dadurch, dass er sich von ihr an seinem Penis einen Mundverkehr, teils bis zum Samenerguss, durchführen ließ;

b./ in zumindest einem weiteren Fall geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er seinen entblößten erigierten Penis ohne Penetrationsvorsatz an ihrem entblößten Scheidenbereich intensiv rieb und an ihrer Scheide ansetzte, wodurch es zu einem Kontakt seines Penis mit ihrer Vagina kam;

II./ durch die zu I./1./ und 2./ beschriebenen Tathandlungen sowie dadurch, dass er die zu I./1./ und 2./ beschriebenen Tathandlungen nach Vollendung des 14. Lebensjahres (am 2. Juli 2009) durch Ahu D***** bis einschließlich Dezember 2009/Anfang Jänner 2010 fortsetzte, und in diesem Tatzeitraum in ca sechs Angriffen an ihr den Analverkehr vollzog, mit seiner minderjährigen Tochter eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und an sich von ihr vornehmen lassen;

III./ ab Frühjahr 2008 bis Ende 2009 dadurch, dass er in Gegenwart seiner am 2. Juli 1995 geborenen Tochter Ahu D***** wiederholt Pornofilme und selbst erstellte Videos darstellend Geschlechtsakte zwischen ihm und seiner Ehegattin Hülya D***** abspielte und kommentierte, Handlungen, die geeignet waren, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, von einer zunächst unmündigen, letztlich vor einer seiner Erziehung unterstehenden Person unter 16 Jahren vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen;

IV./ von 2005 bis Ende Dezember 2009/Jänner 2010 pornographische Darstellungen einer minderjährigen Person (§ 207a Abs 4 Z 1 und Z 3 lit a) und b) StGB) hergestellt, und zwar:

1./ mehrere digitale Bild und Videodateien genannten Inhalts mit der Digitalkamera seines Mobiltelefons durch Abfotografieren und Abfilmen der unter I./ und II./ dargestellten geschlechtlichen Handlungen an Ahu D*****;

2./ indem er Ahu D***** durch die Aufforderung, sie solle Ablichtungen aus unmittelbarer Entfernung ihres entblößten Vaginalbereichs mit der Digitalkamera seines Mobiltelefons anfertigen, dazu bestimmte;

V./ im Jahr 2009, Ahu D***** durch einen Biss in den rechten Oberschenkel, was ein Hämatom zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Die Verfahrensrüge nach Z 3 behauptet, die Verlesung der Aussage der Zeugin Ahu D***** bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung und die Vorführung des Videobands über die Vernehmung seien zu Unrecht erfolgt, weil eine Zeugnisverweigerung iSd § 252 Abs 1 Z 2a StPO nicht vorgelegen, die Zeugin vielmehr aussagebereit gewesen sei. Dies habe sie der Haft und Rechtsschutzrichterin erklärt, weiters ergebe sich dies auch aus der Aussage des Zeugen Salih D*****.

Dem zuwider hat die Zeugin eingangs der kontradiktorischen Vernehmung unmissverständlich erklärt, auf ihr Aussagebefreiungsrecht bezüglich ihres Vaters (ersichtlich gemeint: bei dieser Vernehmung) zu verzichten, aber vom genannten Recht (ersichtlich gemeint: in einer allfälligen späteren Hauptverhandlung) Gebrauch machen zu wollen und damit einverstanden zu sein, dass in der Hauptverhandlung die DVD über die kontradiktorische Vernehmung vorgespielt werde (ON 45, S 3). In der Hauptverhandlung wiederum hat die Vertreterin der nunmehr als Privatbeteiligten angeschlossenen Zeugin ausdrücklich angegeben, dass Ahu D***** weiterhin von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch mache (ON 81, S 3).

Indem der Nichtigkeitswerber mit der Äußerung gemäß § 24 StPO ein Chat Protokoll der Zeugin vorlegt, das ihre angebliche Aussagebereitschaft belegen soll wovon nach dem Protokollinhalt im Übrigen nicht die Rede sein kann verstößt er gegen das Neuerungsverbot.

Mit der in diesem Zusammenhang in der Beschwerde auch aufgestellten abstrakten Behauptung (der Sache nach aus Z 2), die Belehrung durch die Haft und Rechtschutzrichterin über das Entschlagungsrecht habe nicht dem Gesetz entsprochen, versäumt es der Beschwerdeführer darzutun, worin der vorgebliche Fehler der tatsächlich aber gesetzeskonform erfolgten (ON 45, S 3 erster Abs) Belehrung zu erblicken sei.

Schließlich ist entgegen der Beschwerde die Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung iSd § 165 Abs 1 StPO nicht unzulässig, wenn ein Zeuge anlässlich seiner Belehrung nach Abs 5 leg cit vor ihrem Beginn erklärt, auch in einer allfälligen Hauptverhandlung aussagen zu wollen. Denn die in Abs 1 leg cit genannte Besorgnis des Unterbleibens einer Aussage in der Hauptverhandlung ist nicht nur im Sinn einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit zu verstehen; die bloße Möglichkeit, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr aussagen werde, genügt ( Kirchbacher , WK StPO § 165 Rz 8). Im Übrigen entspräche auch eine Vernehmung im Ermittlungsverfahren, an der sich Staatsanwaltschaft und Angeklagter trotz Fehlens der in § 165 Abs 1 StPO genannten Besorgnis beteiligten durften, den in § 252 Abs 1 Z 2a StPO normierten Verlesungsvoraussetzungen.

Die Verfahrensrüge (Z 4) legt mit der Kritik an der Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugin Ahu D***** in der Hauptverhandlung durch die bloße Bezugnahme auf die vage Aussage des Vaters des Angeklagten über ein ihm geäußertes Bekenntnis der Zeugin zur Wahrheit (ON 81, S 11) nicht dar, warum ungeachtet der aktuellen Deposition des Willens der Zeugin durch ihre Rechtsvertreterin in der Hauptverhandlung dennoch zu erwarten sei, dass die Zeugin auf ihre Befreiung von der Aussagepflicht nunmehr verzichten werde.

Gegenstand des Inhalts einer Mängelrüge nach Z 5 vierter Fall ist das Fehlen einer Begründung der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (§ 270 Abs 1 Z 5 zweiter Satz StPO). Mit der Behauptung des Fehlens einer Begründung eines Teils des Urteilstenors (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) macht die Beschwerde weder die reklamierte noch eine andere Urteilsnichtigkeit geltend.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) entbehrt mit der bloßen Behauptung, das Gericht hätte den Angeklagten bei richtiger rechtlicher Beurteilung freisprechen müssen, jeglicher Ableitung aus dem Gesetz und ist daher einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Soweit die Beschwerde behauptet, die Körperverletzung zu V./ sei „durch die Taten zu I./ und II./ als Begleit bzw Nachtat nicht eigens zu strafen“, orientiert sie sich abgesehen vom erneuten Fehlen juristischer Argumentation nicht an den Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte im Jahr 2009 ohne Bezugnahme auf zu dieser Zeit erfolgte geschlechtliche Handlungen den Ungehorsam seiner sich ihm widersetzenden Tochter bestrafte, indem er sie in den Oberschenkel biss (US 13).

Mit der Behauptung, die als Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren beurteilte Tat (III./) wäre als „nicht eigenständig strafbare Vorbereitungshandlung zu den Delikten nach I./ und II./“ zu beurteilen gewesen, weil „nach der Aussage der Ahu D*****“ Zweck der Tat gewesen sei, dem Tatopfer zu zeigen, wie es sich bei den geschlechtlichen Handlungen verhalten solle, zieht die Beschwerde mangels Bezugnahme auf den festgestellten Sachverhalt nicht den gebotenen Vergleich zwischen diesem und dessen rechtlicher Beurteilung. Zu einer Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO bestand in diesem Zusammenhang kein Anlass.

Die Subsumtionsrüge (Z 10, der Sache nach Z 9 lit a) bestreitet die Feststellungen zur Art der Fotos zu IV./2./ mit der Behauptung, diese seien „aktenwidrig“, weil es für sie keine Beweise gebe. Sie verfehlt damit mangels Festhaltens an den Urteilskonstatierungen ebenso eine prozessordnungsgemäße Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.