JudikaturJustiz15Os142/19z

15Os142/19z – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Peter K***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 28. August 2019, GZ 18 Hv 28/19h 31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter K***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad (anhaltend wahnhafte Störung in Verbindung mit beginnender Demenz) beruhte,

am 11. April 2019 in G*****

1./ einschreitende Polizeibeamte „durch gefährliche Drohung mit dem Tod und“ mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Abklärung des Sachverhalts nach erfolgter Anzeigeerstattung zu hindern versuchte, indem er vorerst Hansjörg Kö***** wegzustoßen, den heraneilenden Markus G***** die Stiege hinabzustoßen und Kö***** sodann zu treten versuchte sowie anschließend mit einem (halbgeöffneten) Klappmesser mehrfach Stichbewegungen gegen die Oberkörper beider Polizisten vollführte, wobei zumindest G***** zwei- bis dreimal im Brustbereich getroffen wurde,

2./ durch das zu 1./ dargestellte Einstechen den Polizeibeamten eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versuchte,

sohin Taten begangen hat, die als Verbrechen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 „zweiter“ Fall StGB und der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen; sie verfehlt ihr Ziel.

Mit Verfahrensrüge (Z 3 iVm § 430 Abs 4 StPO) kritisiert der Rechtsmittelwerber, dass der dem Verfahren beigezogene psychiatrische Sachverständige zwar in der Hauptverhandlung am 9. Juli 2019 (ON 24), nicht aber in jener am 28. August 2019 (ON 30) anwesend gewesen sei.

Gemäß § 430 Abs 4 StPO ist der Hauptverhandlung im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB ein Sachverständiger aus dem Gebiet der Psychiatrie „beizuziehen“. Es begründet aber keine Nichtigkeit, wenn dieser Sachverständige nicht während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung anwesend ist. Dem Betroffenen und seinem Verteidiger muss lediglich die Möglichkeit gegeben werden, zu den Ausführungen des Sachverständigen Stellung zu nehmen (RIS Justiz RS0101664), was vorliegend geschehen ist (ON 24 S 14 f).

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang aus einer – isoliert zitierten – Aussagepassage (ON 30 S 2) folgert, es habe Anzeichen für eine „Verhandlungsunfähigkeit“ des Betroffenen in der Hauptverhandlung am 28. August 2019 gegeben, Gericht und Verteidiger hätten den (abwesenden) Sachverständigen dazu aber nicht befragen können, legt sie nicht dar, wodurch der Verteidiger gehindert gewesen wäre, eine entsprechende Abklärung durch den (neuerlich zu ladenden) Sachverständigen zu beantragen (zum Begriff der Beteiligungsunfähigkeit s RIS-Justiz RS0098974; zur Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen vgl im Übrigen § 430 Abs 5 StPO).

Dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) und der Sanktionsrüge (Z 11), die die vom Erstgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose bekämpfen, ist voranzustellen:

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341). Eine Bekämpfung der Sachverhaltsgrundlage (durch analoge Anwendung der Verfahrens-, Mängel- oder Tatsachenrüge) ist in diesem Rahmen nicht zulässig (RIS-Justiz RS0099869).

Die Tatrichter haben ihre die Person des Betroffenen, seinen Zustand und die Art der Tat berücksichtigende (US 5) Gefährlichkeitsprognose auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (ON 14 und 24), die – historische wie aktualisierte – Krankengeschichte, die stationären Dekurse (ON 27 und 29) und den persönlichen Eindruck gegründet (US 6). Weshalb „in der Person des Betroffenen gelegene Umstände gänzlich außer Betracht, geblieben“ seien und es der Prognoseentscheidung an einer „ausreichenden Feststellungsgrundlage“ mangeln sollte, sie somit willkürlich wäre, vermag die Beschwerde nicht darzulegen.

Dass dem Nichtigkeitswerber die Begründung unzureichend erscheint und er auch bestimmte Details weiterer Zeugenaussagen erörtert haben möchte, stellt lediglich ein Berufungsvorbringen dar.

Entgegen der weiteren Kritik wurden auch die Prognosetaten ausreichend konkretisiert (RIS-Justiz RS0118581 [T3]; vgl US 5: „Körperverletzungen, die entweder an sich schwer sind oder mit einer 24 Tage übersteigenden Berufsunfähigkeit oder Gesundheits-schädigung bei den Opfern einhergehen wie etwa Stichverletzungen“).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).