JudikaturJustiz15Os113/01

15Os113/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. September 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Auslandsrechtshilfesache im Ermittlungsverfahren gegen Anton M***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des Mordes, AZ 19 Hs 21/00p des Bezirksgerichtes Josefstadt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 16. Oktober 2000, GZ 19 Hs 21/00p 5, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Dezember 2000, AZ 13a Bl 612/00 (= ON 11 des Hs Aktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, und des Verteidigers Dr. Wagner zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 16. Oktober 2000, GZ 19 Hs 21/00p 5, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Dezember 2000, AZ 13 a Bl 612/00 (= ON 11 des Hs Aktes des Bezirksgerichtes Josefstadt), verletzen Art VI Abs 1 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl Nr 36/1977, in Verbindung mit Art 6 Abs 3 lit d EMRK.

Text

Gründe :

In dem bei der Staatsanwaltschaft München I anhängigen Ermittlungsverfahren gegen Anton M***** wegen des Verbrechens des Mordes wurde über (allerdings nur auf Veranlassung der Zeugenvernehmung durch die zuständige Polizeibehörde in Anwesenheit des ermittelnden Staatsanwaltes und zweier Beamter des Bayrischen Landeskriminalamtes sowie Gestattung der Akteneinsicht abzielendes) Ersuchen dieser Staatsanwaltschaft am 16. Oktober 2000 beim Bezirksgericht Josefstadt als Rechtshilfegericht zum AZ 19 Hs 21/00p die Vernehmung eines in Österreich wohnhaften Zeugen durchgeführt, an der mit Genehmigung der Richterin (welche zuvor die Zustimmung des Bundesministeriums für Justiz eingeholt hatte; S 11) ein deutscher Staatsanwalt und ein deutscher Kriminalbeamter teilnahmen (S 29 ff). Den Antrag des (vom deutschen Vertreter des Beschuldigten mit Untervollmacht versehenen) österreichischen Verteidigers, ebenfalls der Zeugenvernehmung beiwohnen zu dürfen, lehnte das Bezirksgericht Josefstadt hingegen (der "Anregung" des deutschen Staatsanwaltes folgend) im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass gemäß § 97 Abs 2 StPO weder der Ankläger noch der Verteidiger bei einer Zeugenvernehmung anwesend sein dürfe, im konkreten Fall jedoch die Anwesenheit der ermittelnden (ausländischen) Beamten zur sachgemäßen Erledigung des Rechtshilfeersuchens gemäß § 59 (Abs 1) ARHG erforderlich sei, weshalb dem Ersuchen, insoweit einen vom ausländischen Strafprozessrecht abweichenden Vorgang einzuhalten, gemäß § 58 ARHG zu entsprechen sei (ON 5, 6).

Der vom (österreichischen) Verteidiger dagegen erhobenen Beschwerde (ON 8) gab das Landesgericht für Strafsachen Wien unter Hinweis auf die Bestimmung des § 97 Abs 2 StPO sowie auf die "Ausnahmebestimmung" der §§ 58, 59 ARHG nicht Folge (ON 11). Auf Grund seiner Auffassung, dem Antrag des Beschwerdeführers auf neuerliche nunmehr kontradiktorische Vernehmung sei infolge Abschlusses der Rechtshilfevernehmung und Übermittlung des Protokolles an die ersuchende Behörde der Boden entzogen, ging es auf das Beschwerdevorbringen, der Ausschluss lediglich einer (der Beschuldigten )Seite von der Vernehmungstagsatzung widerspreche der Waffengleichheit, und auf den Eventualantrag, diese Gesetzesverletzung durch den angefochtenen Beschluss festzustellen, nicht ein.

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Josefstadt und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 58 iVm § 9 Abs 1 des Auslieferungs und Rechtshilfegesetzes (ARHG) ist Rechtshilfe nach den im Inland geltenden Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren unter sinngemäßer Anwendung der Strafprozessordnung 1975 zu leisten.

Nach § 97 Abs 2 StPO darf "in der Regel" weder der Ankläger noch der Verteidiger bei der Vernehmung des Beschuldigten oder Zeugen anwesend sein. Korrespondierend dazu bestimmt § 162 Abs 1 StPO, dass jeder Zeuge vom Untersuchungsrichter "in der Regel" ohne Beisein des Anklägers, des Privatbeteiligten, des Beschuldigten, ihrer Vertreter oder anderer Zeugen einzeln vernommen wird.

Als eine Ausnahme von dieser Regel sieht § 59 Abs 1 ARHG vor, dass bei Rechtshilfehandlungen dem zuständigen ausländischen Richter, Staatsanwalt und anderen am Verfahren beteiligten Personen sowie ihren Rechtsbeiständen (stets dann) die Anwesenheit und Mitwirkung zuzugestehen ist, wenn dies zur sachgemäßen Erledigung des Rechtshilfeersuchens erforderlich scheint.

Allerdings finden laut § 1 ARHG die Bestimmungen dieses Gesetzes nur insoweit Anwendung, als in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist.

In Ansehung des Rechtshilfeverkehrs zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland gelangen demnach die erwähnten Regelungen des ARHG nicht zur Anwendung. Verpflichtet doch Art VI Abs 1 des zwischen beiden Ländern abgeschlossenen Vertrages über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl Nr 36/1977) die Vertragsteile, (ohne inhaltliche Einschränkung) den Vertretern der im Strafverfahren beteiligten Behörden und den sonst daran beteiligten Personen sowie deren Vertretern die Anwesenheit bei der Vornahme von Rechtshilfehandlungen im ersuchten Staat zu gestatten. Während es zur Dienstverrichtung der Behördenvertreter in der Republik Österreich gemäß Art VI Abs 2 des genannten Vertrages der Zustimmung des Bundesministers für Justiz bedarf, ist eine solche Genehmigung in Ansehung des (ausländischen) Verteidigers des Beschuldigten nicht erforderlich, sondern sind diese zu gestatten (vgl Abs 1 des genannten Vertrages). Damit wurde gegen Art VI Abs 1 des bezeichneten Übereinkommens in Verbindung mit seiner verfassungsrechtlichen Grundlage verstoßen.

Denn gemäß Art 6 Abs 1 EMRK hat "jedermann (...) Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich (...) gehört wird, und zwar von einem (...) Gericht, das (...) über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat".

Gemäß Art 6 Abs 3 lit d der Konvention hat jeder Angeklagte weiters das Recht, (ua) "Fragen an den Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen".

Zwar sind Amtshandlungen, die ein um Rechtshilfe ersuchtes österreichisches Gericht im Auftrag einer ausländischen Justizbehörde durchführt, nicht Teil jenes (im ersuchenden Staat anhängigen) gerichtlichen Strafverfahrens, in dem über die Stichhaltigkeit der Anklage entschieden wird, sodass Art 6 Abs 1 EMRK auf solche Rechtshilfehandlungen von vornherein keine Anwendung findet.

Das Bezirksgericht Josefstadt hätte jedoch ungeachtet des Umstandes, dass über die Anklage in einem deutschen Gericht zu entscheiden war, und ungeachtet einer bloßen "Anregung" des Vertreters der deutschen Staatsanwaltschaft vor allem weil fallbezogen nicht absehbar ist, inwieweit es in einem Strafverfahren vor einem Gericht der BRD möglich sein wird, den Zeugen unter Wahrung der Minimalrechte wie in Art 6 Abs 3 (hier lit d) MRK neuerlich zu vernehmen, dafür Sorge tragen müssen, dass das Fragerecht des Beschuldigten an die Belastungszeugen gewahrt bleibt.