JudikaturJustiz15Os106/21h

15Os106/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Schriftführers Mag. Casagrande im Verfahren zur Unterbringung des Mag. * B* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 605 Hv 2/19b des Landesgerichts Korneuburg, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO in Bezug auf die Beschlüsse des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 7. April 2021, AZ 29 Ns 12/21p, und 6. Mai 2021, AZ 29 Ns 17/21y, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 24. September 2020, GZ 605 Hv 2/19b 138, wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Mag. * B* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2] Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Genannten wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 18. Februar 2021, AZ 14 Os 2/21g, zurückgewiesen, über dessen Berufung hat das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht (AZ 31 Bs 81/21w) noch nicht entschieden.

[3] In diesem Berufungsverfahren zeigte die Vorsitzende des zuständigen Senats, Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. S*, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien ihre auf § 43 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Ausgeschlossenheit an.

[4] Mit Beschluss vom 7. April 2021, AZ 29 Ns 12/21p, entschied der Präsident des Oberlandesgerichts Wien, dass die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. S* nicht ausgeschlossen sei.

[5] Mit Schriftsätzen vom 28. und vom 30. April 2021 stellte der Betroffene – unter anderem – den Antrag auf Ablehnung der Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. S* wegen Ausschließung (§ 44 Abs 3 StPO).

[6] Diesen Antrag wies der Präsident des Oberlandesgerichts Wien mit Beschluss vom 6. Mai 2021, AZ 29 Ns 17/21y, unter Hinweis auf den oben genannten Beschluss wegen res iudicata zurück.

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen die beiden Beschlüsse des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien richtet sich der Antrag des Betroffenen Mag. B* auf Erneuerung des V erfahrens ( § 363a StPO per analogiam) , der eine Verletzung von Art 6 MRK geltend macht .

[8] Der Antrag ist unzulässig.

[9] Bei einem – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen ( Art 34 sowie 35 MRK) sinngemäß auch für derartige Anträge (RIS Justiz RS0122737). Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substanziiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 16), hat ein Antrag auf Erneuerung deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS Justiz RS0124359).

[10] Der strafrechtliche Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK bezieht sich auf Verfahren über die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“ (zur autonomen Interpretation dieses Begriffs im Sinn der MRK siehe RIS Justiz RS0120945), wobei die Konventionsgarantie auch im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB Anwendung findet ( Rebisant , WK StPO §§ 363a–363c Rz 58 mwN).

[11] Verfahrensgegenstand muss aber die Entscheidung über eine „strafrechtliche Anklage“ selbst, also über die „Schuld oder Nichtschuld“ des Angeklagten sein. Verfahren, innerhalb derer Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses überprüft werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 24 Rz 27 mwN). Das Verfahren nach § 45 Abs 1 erster Satz iVm § 44 Abs 2 StPO zur Entscheidung über die Ausschließung von Richtern betrifft gerade nicht die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“, sodass es auch nicht in den Schutzbereich des Art 6 MRK fällt (12 Os 65/11t; 11 Os 41/14k).

[12] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).

[13] Den für den Fall des Erfolgs des Erneuerungsantrags (teils eventualiter) beantragten Entscheidungen nach § 45 Abs 1 erster Satz iVm § 44 Abs 2 StPO ist dadurch die Grundlage entzogen. Sie fallen zudem nicht in die Kompetenz des Obersten Gerichtshofs.

[14] Im Übrigen sei angemerkt, dass die im Antrag vorgebrachte spekulative und pauschale Behauptung, es sei „nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen“, dass die genannten Organwalter „unbeeinflusst von dieser persönlichen Betroffenheit eine objektive Entscheidung fällen“ könnten, nicht geeignet ist, deren Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO).