JudikaturJustiz15Os103/22v

15Os103/22v – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Seidenschwann als Schriftführerin in der Strafsache gegen * Z* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 30. Mai 2022, GZ 21 Hv 3/21p 48a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * Z* mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./), eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./2./) sowie eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I./ von etwa Mitte April 2010 bis etwa April/Mai/Juni 2016 in M*

1./ mit der am * 2003 geborenen, somit unmündigen * S* dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er in beinahe wöchentlichen Angriffen intensiv mit der Hand ihren Vaginalbereich unter der Unterhose rieb und einen Finger in ihre Vagina einführte,

2./ wobei bereits die erste Tat etwa Mitte April 2010 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatte;

II./ zu einem nicht genau bekannt gewordenen Zeitpunkt nach Dezember 2011 in der Türkei außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der am * 2003 geborenen, somit unmündigen * S* vorgenommen, indem er sie intensiv unter der Unterhose im Genitalbereich betastete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Mit Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert der Beschwerdeführer die Abweisung seines in der Hauptverhandlung am 14. Juni 2021 gestellten und (nach Verzicht auf die Wiederholung der Verhandlung, § 276a StPO aE) am 30. Mai 2022 aufrecht erhaltenen Antrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hinsichtlich * S* (ON 30 S 92, ON 48 S 5 f; siehe auch ON 44).

[5] Die Rüge scheitert schon daran, dass im Antrag nicht dargetan wurde, dass * S* die Zustimmung zu einer psychologischen Untersuchung erteilen würde (RIS-Justiz RS0097584; zur ausdrücklichen Verweigerung einer solchen vgl ON 30 S 92, ON 48 S 6).

[6] Zudem ist eine Hilfestellung durch einen Sachverständigen bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin nur aufgrund konkreter Bedenken gegen deren allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder ihre vom Einzelfall unabhängige Aussageehrlichkeit sowie bei Anhaltspunkten für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder einen sonstigen erheblichen Defekt der Zeugin erforderlich (RIS Justiz RS0097576; RS0097733).

[7] Da der Antrag keine solchen Anhaltspunkte darlegte, sondern sich vielmehr in allgemeinen Ausführungen zur „Thematik aussagepsychologisches Gutachten“ und dessen Stellenwert in Deutschland bzw Österreich erging, verfiel er zu Recht der Abweisung.

[8] Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes und des damit auch für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

[9] Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) und der Tatsachenrüge (Z 5a) ist voranzustellen, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS Justiz RS0115902). S ich aus einer – wie hier – gemeinsamen Ausführung ergebende Unklarheiten gehen zu Lasten des Beschwerdeführers (RIS Justiz RS0100183).

[10] Soweit sich die Beschwerde auf beweiswürdigende Erwägungen des Erstgerichts (US 10) bezieht und diese als unzureichend begründet kritisiert (Z 5 vierter Fall), spricht sie keine entscheidenden Tatsachen an (RIS Justiz RS0117499).

[11] Die von der Verteidigung vorgelegten WhatsApp Nachrichten der * S* (ON 40; betreffend Kontakte zu anderen männlichen Personen) haben die Tatrichter nicht übergangen (US 13; Z 5 zweiter Fall).

[12] Mit der Behauptung, diese seien mit den Aussagen der Zeugin „nicht einmal ansatzweise in Einklang zu bringen“, zeigt die Beschwerde keinen nichtigkeitsbegründenden Widerspruch auf (Z 5 dritter Fall; vgl dazu RIS-Justiz RS0119089). Ebensowenig gelingt es ihr damit, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen zu erwecken (Z 5a).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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