JudikaturJustiz15Os101/11h

15Os101/11h – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers DI Vladimir Z***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH Co KG wegen §§ 9 ff MedienG, AZ 93 Hv 104/10k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2010, GZ 93 Hv 104/10k-9, wurde die K***** GmbH Co KG als Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „K*****“ über Antrag des DI Vladimir Z***** verpflichtet, nachstehende Gegendarstellung zu veröffentlichen:

„Gegendarstellung

In Ihrem periodischen Druckwerk 'K*****' geben Sie in der Ausgabe vom 7. August 2010 auf Seite 10 in der Kolumne 'K***** inoffiziell' die Behauptung des Nationalratsabgeordneten Peter P***** wieder, Vladimir Z***** sei geschützt von den österreichischen Nachrichtendiensten im Mürztal und in Kärnten versteckt gewesen.

Diese Behauptung ist insoweit unwahr, als DI Vladimir Z***** zwar nach seiner Übersiedlung von Kroatien nach Österreich zunächst in der Steiermark gelebt hat, weil Freunde ihm dort Unterkunft und Arbeit gegeben haben, er aber weder im Mürztal noch in Kärnten jemals versteckt gewesen ist, schon gar nicht unter dem Schutz irgendwelcher Nachrichtendienste.“

Die Entscheidung über den Antrag auf Verhängung einer Geldbuße wurde gemäß § 18 Abs 2 zweiter Satz MedienG dem allenfalls fortgesetzten Verfahren vorbehalten.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde am 7. August 2010 im periodischen Druckwerk „K*****“ auf Seite 10 in der Kolumne „K***** inoffiziell“ ein Artikel mit der Überschrift „M***** unter Verdacht: Wann traf er S*****? / Grüne wollen die Akten über Ex General Z***** / G***** will jetzt in Privatkonkurs“ veröffentlicht, welchem der angesprochene, sich letztendlich lediglich überblicksartig über das aktuelle Geschehen in der Politik informierende Leserkreis betreffend den Antragsteller entnehme, dass der Nationalratsabgeordnete der „Grünen“, Peter P*****, im Zuge einer Pressekonferenz behauptet habe, der kroatische Ex-General Vladimir Z***** sei mit Hilfe der österreichischen Nachrichtendienste im Mürztal und in Kärnten untergetaucht und habe sich dadurch einer nicht näher ausgeführten staatlichen bzw behördlichen Verfolgung entziehen können.

Zum Hintergrund dieser Berichterstattung konstatierte das Erstgericht, der Nationalratsabgeordnete Dr. Peter P***** habe tatsächlich bei einer Pressekonferenz am 6. August 2010 in Klagenfurt erklärt, dass Vladimir Z***** geschützt von den österreichischen Nachrichtendiensten im Mürztal und in Kärnten versteckt gewesen sei.

Nicht festgestellt werden könne, ob, wo, wann und warum sich der Antragsteller in Österreich aufgehalten, ob er sich versteckt gehalten habe bzw untergetaucht sei und ob er unter dem Schutz der österreichischen Nachrichtendienste gestanden sei.

Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Gegendarstellung nach § 9 MedienG vorlagen. Eine entgegnungsfähige Tatsachenmitteilung könne auch in der richtig wiedergegebenen Äußerung eines Dritten bestehen, weil im Gegendarstellungsrecht „kein absolut geschützter Zitatenschutz“ bestehe. Der von der Tatsachenmitteilung des Dritten Betroffene dürfe in seiner Gegendarstellung zum Inhalt der Äußerung Stellung nehmen, es sei ihm jedoch verwehrt zu behaupten, der Zitierte habe die Äußerung nicht oder anders abgegeben. Auch wenn daher das Beweisverfahren ergeben habe, dass die Aussage des Nationalratsabgeordneten Dr. Peter P***** im inkriminierten Artikel korrekt wiedergegeben worden sei, schließe dies den Gegendarstellungsanspruch des Antragstellers nicht aus.

Die Gegendarstellung sei ausreichend informativ, den Ausschlussgrund der Unwahrheit der Gegendarstellung nach § 11 Abs 1 Z 4 MedienG sah das Erstgericht aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens als nicht erfüllt an.

Dagegen richtete sich eine wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldete (ON 8), jedoch nur wegen Nichtigkeit ausgeführte (ON 15) Berufung der Antragsgegnerin, der vom Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 6. Juni 2011, AZ 18 Bs 98/11k (ON 23), nicht Folge gegeben wurde.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und wies insbesondere soweit für den Erneuerungsantrag von Relevanz darauf hin, dass § 9 MedienG bloß auf die Verbreitung von Tatsachenmitteilungen abstelle, weshalb der davon Betroffene diesen auch dann entgegnen könne, wenn sie in der Form eines korrekten Zitats eines Dritten veröffentlicht werden. Diesen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK habe der Medieninhaber zu dulden, dem es jederzeit unbenommen bleibe, im Vorfeld dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme betreffend die im Rahmen eines Zitats aufgestellte Tatsachenbehauptung zu geben und dessen allfällige Äußerung in der Primärmitteilung gleichwertig wiederzugeben, wodurch der Medieninhaber in weiterer Folge einen etwaigen Gegendarstellungsanspruch durch die Einwendung der entsprechenden Ausschlussgründe abwenden könne.

Mit der Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK beantragt die K***** GmbH Co KG nun die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG.

Im Wesentlichen bringt sie vor, dass auch die Wiedergabe fremder Äußerungen durch Art 10 MRK geschützt sei, weil die neutrale Wiedergabe fremder Äußerungen eine berufstypische Aufgabe all jener sei, die an der inhaltlichen Gestaltung eines Mediums beteiligt sind. Es bedürfe daher eines besonders dringenden Grundes im Sinn von Art 10 Abs 2 MRK, gerade diese Vorgangsweise zu sanktionieren.

Der Oberste Gerichtshof habe in zwei Entscheidungen (AZ 15 Os 28/10x und 15 Os 21/11v) ausgesprochen, dass die §§ 33 ff MedienG in der Fassung vor der Mediengesetznovelle 2005 nicht auf die wahrheitsgetreue Wiedergabe von Äußerungen anzuwenden waren. Dies müsse auch für die Gegendarstellung gelten, weil deren Anordnung in gleicher Weise in das Grundrecht auf Äußerungsfreiheit eingreife.

Rechtliche Beurteilung

Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.

Für einen wie hier vorliegenden nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und Abs 2 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737).

Demnach hat weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter , EMRK 4 § 13 Rz 13) auch ein Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO per analogiam deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinne des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Antragsteller mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht:

Einleitend ist festzuhalten, dass die Gegendarstellung dem von einer in einem periodischen Medium veröffentlichen Tatsachenmitteilung Betroffenen die Möglichkeit eröffnen soll, alsbald in diesem Medium mit derselben Publizität vor demselben öffentlichen Forum mit einer eigenen berichtigenden und ergänzenden Darstellung zu Wort zu kommen. In Verwirklichung des Grundsatzes beiderseitigen Gehörs soll sie als Gegenrede zur Veröffentlichung wirken und so dem Medienpublikum Aufklärung darüber bieten, inwieweit die entgegnete Tatsachenmitteilung unrichtig oder irreführend unvollständig war ( Brandstetter/Schmid MedienG² § 9 Rz 1; Höhne in Berka/Höhne/Noll/Polley ² Vor §§ 9 bis 21 Rz 4 ff). Dies steht auch im Einklang mit der Empfehlung Rec (2004) 16 des Ministerkomitees des Europarats (Recommendation [2004] 16 on the right of reply in the new media environment). Die aktive Informationsfreiheit der Presse (etwa wie hier durch Wiedergabe der Äußerungen Dritter) wird dadurch in keiner Weise eingeschränkt oder gar zensuriert.

Aus den im Antrag zitierten Urteilen des Obersten Gerichtshofs AZ 15 Os 28/10x und 15 Os 21/11v ist für den Standpunkt der Erneuerungswerberin schon deshalb nichts zu gewinnen, weil diese Entscheidungen die für den vorliegenden Fall nicht relevante gerichtlich aufgetragene Veröffentlichung eines Strafurteils wegen eines Medieninhaltsdelikts (§ 34 MedienG) bzw die Haftung des Medieninhabers nach § 35 MedienG idF vor BGBl I 2005/151 betreffen.

Vom Schutz des Art 10 MRK im Bereich der Pressefreiheit (als Teil der Freiheit der Meinungsäußerung) umfasst ist auch die inhaltliche Gestaltungsfreiheit von Medien und damit deren Entscheidungsfreiheit, welche Informationen auf welche Weise veröffentlicht werden (vgl Grabenwarter , EMRK 4 § 23 Rz 8). Eine durch das Gericht (staatlich) aufgetragene Veröffentlichung nach § 9 MedienG greift daher in diese durch Art 10 Abs 1 MRK abgesicherte Gestaltungsfreiheit unmittelbar ein ( Renzl , Die Veröffentlichungsansprüche - Konsumtion oder Kumulation? MR 2004, 87 [89]; Rami in WK 2 MedienG § 9 Rz 2). Solche unter „Formvorschriften Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen“ im Sinne des Art 10 Abs 2 MRK fallende Anordnungen sind worauf der Antragsteller im Ergebnis zutreffend hinweist nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft aufgrund von in dieser Bestimmung aufgezählten Interessen notwendig sind. Die einen Eingriff in die Pressefreiheit normierende Vorschrift des § 9 MedienG muss demnach dergestalt angewendet werden, dass die Vorgaben des Art 10 Abs 2 MRK erfüllt sind. Der grundrechtsinvasive Auftrag zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung ist zur Beurteilung seiner Rechtfertigung daher einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl 13 Os 155/07d).

Grundsätzlich ist bei strafrechtlichen Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit Zurückhaltung geboten und bei der Prüfung solcher Eingriffe in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit schon wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit ein strenger Maßstab anzulegen; denn naturgemäß stellt die strafrechtliche Sanktionierung der Ausübung der Meinungsfreiheit den schärfsten Eingriff in das Grundrecht dar ( Mayer , B-VG 4 Art 10 MRK Anm III.2 f; Grabenwarter , EMRK 4 § 23 Rz 12).

Der ganz allgemein dem Informationsinteresse des Gegendarstellungswerbers dienende Anspruch nach § 9 MedienG ist dem Wesen nach jedoch zivilrechtlicher Natur im Sinne von Art 6 Abs 1 MRK ( Rami in WK² MedienG § 9 Rz 3; Hager/Zöchbauer , Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht 4 , 68), sodass ein abgestufter Maßstab an die prüfende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs anzulegen ist. Eine grundrechtskonforme Auslegung der Gesetzesbestimmung verlangt zwar dessen ungeachtet den bereits angesprochenen sparsamen Umgang auch mit diesem Veröffentlichungsinstrument (vgl Renzl aaO MR 2004, 89), zu berücksichtigen ist aber auch, dass der in Rede stehende Veröffentlichungsauftrag ausschließlich der Verwirklichung des Grundsatzes beiderseitigen Gehörs dient.

Weshalb aber die hier vom Gericht aufgetragene, gesetzlich vorgesehene und dem Kontradiktions- und Knappheitsgebot des § 9 Abs 3 MedienG entsprechende Gegendarstellung in ihrer konkreten Ausgestaltung den Rahmen der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Schranke der Verhältnismäßigkeit überschritten haben soll, wird von der Antragstellerin nicht näher dargelegt, sondern bloß unsubstantiiert behauptet. Das Vorbringen genügt daher den oben aufgezeigten Zulassungsvoraussetzungen nicht. Ein Ausschlussgrund im Sinne des Punkt 5. der Empfehlung Rec (2004) 16 des Ministerkomitees des Europarats liegt ebenfalls nicht vor.

Schließlich lässt der Antrag nicht erkennen, weshalb die vom Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung aufgezeigte Möglichkeit, die Pflicht zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung durch eine rechtzeitige gleichwertige Veröffentlichung einer Stellungnahme des Betroffenen abzuwenden, einen vom Antrag postulierten in die Äußerungsfreiheit des Art 10 MRK eingreifenden Zwang zur Veröffentlichung bestimmter Inhalte darstellen soll. Auch dieser Einwand ist somit einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.

Der offenbar unbegründete Erneuerungsantrag war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Erneuerungswerbers bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
5
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.