JudikaturJustiz15Os1/24x

15Os1/24x – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Flickinger im Verfahren zur Unterbringung der * F* in einem forensisch therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 8. November 2023, GZ 41 Hv 39/23f 51.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil ordnete das Landesgericht Wiener Neustadt die Unterbringung der Betroffenen * F* nach § 21 Abs 1 StGB in einem forensisch therapeutische n Zentrum an.

[2] Nach dem Inhalt des Urteilsspruchs hat sie unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer chronischen paranoiden Schizophrenie mit einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ, wegen der sie zum Zeitpunkt der Taten zurechnungsunfähig war, Polizeibeamte mit Gewalt und gefährlicher Drohung an Amtshandlungen zu hindern versucht, und zwar

I./ am 18. Februar 2023 in M* L* und * P* durch Faustschläge gegen die Beamten an der Durchführung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht gemäß § 19 SPG und dem Ergreifen von Maßnahmen nach der StVO,

II./ am 1. März 2023 in Mö* ** B* durch die Ankündigung „Gib die scheiß Maske aus der Fresse, damit ich dir die Nase brechen kann“ sowie durch versuchte Schläge gegen die Beamtin an ihrer Vorführung in die psychiatrische Abteilung des LK Baden,

somit Taten begangen, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur Berechtigung zukommt.

[4] Am 7. November 2023 fasste der Vorsitzende den Beschluss auf Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Betroffenen, weil diese – auf Basis der Einschätzungen des Sachverständigen und des persönlichen Eindrucks des Vorsitzenden – zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht fähig sei (ON 49).

[5] Dabei ging das Gericht davon aus, dass durch den ersatzlosen Entfall der Bestimmung des § 430 Abs 5 StPO aF mit Inkrafttreten des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes BGBl I 2022/223 eine planwidrige Lücke entstanden sei, die durch Anwendung dieser (nicht mehr in Geltung stehenden) Bestimmung zu schließen sei.

[6] Eingangs der in Abwesenheit der Betroffenen durchgeführten Hauptverhandlung am 8. November 2023 stellte der Verteidiger den Antrag, die Hauptverhandlung gemäß „§ 278 StPO“ zu vertagen, weil die Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen könne und nach der durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 geänderten Rechtslage „nicht mehr vorgesehen“ sei, dass in Abwesenheit der Betroffenen verhandelt werde (ON 51.3 S 2 f).

[7] Der Schöffensenat wies den Antrag unter Verweis auf die Erwägungen im Beschluss vom 7. November 2023 und die Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, wonach es voraussichtlich noch länger dauern werde, bis die Beteiligungsfähigkeit der Betroffenen hergestellt sei, ab (ON 51.3 S 17).

[8] Die Verfahrensrüge (Z 4) macht zu Recht geltend, dass die Betroffene durch die Abweisung des Vertagungsantrags (und die Durchführung der Hauptverhandlung in ihrer Abwesenheit samt Urteilsfällung) in ihrem – von Art 6 MRK geschützten (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 24 Rz 119 ff) – Recht auf persönliche Teilnahme am Verfahren und Präsenz in der Hauptverhandlung (vgl § 6 StPO) verletzt wurde (vgl Wiederin , WK StPO § 6 Rz 36).

[9] § 430 Abs 5 StPO idF vor BGBl I 2022/223 sah die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen vor, soweit dessen Zustand eine Beteiligung an der Hauptverhandlung innerhalb angemessener Frist nicht gestattete oder von einer solchen Beteiligung eine erhebliche Gefährdung seiner Gesundheit zu besorgen war. Mit dem Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 wurde diese Bestimmung (ersatzlos) beseitigt, wobei in den Materialien ausdrücklich festgehalten wurde, dass „eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des:der Betroffenen nicht mehr zulässig sein soll“ (EBRV 1789 BlgNR XXVII. GP 15). In Hinblick darauf bleibt für die Annahme einer planwidrigen Lücke kein Raum.

[10] Ein nachteiliger Einfluss des von der Beschwerde zutreffend aufgezeigten Verfahrensmangels auf die Entscheidung kann – worauf die Nichtigkeitswerberin ebenfalls hinweist – zumindest nicht ausgeschlossen werden (§ 281 Abs 3 StPO).

[11] Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen das angefochtene Urteil bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 285e StPO), eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt zu verweisen.

[12] Mit ihrer Berufung war die Betroffene auf diese Entscheidung zu verweisen.