JudikaturJustiz14Os89/23d

14Os89/23d – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. März 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Strafsache gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie belangte Verbände wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 333 HR 151/19d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Anträge des Dr. * J* LL.M., der J* Rechtsanwalt GmbH, des Dr. * M* LL.M., der Mag. * L*, der Mag. * R*, des Mag. * W*, des Mag. * H* und des Mag. * M* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu AZ 62 St 1/19x gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie belangte Verbände ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts dem Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiteren strafbaren Handlungen subsumierter Taten. In diesem fanden am 23. März 2021 – von der Staatsanwaltschaft angeordnet und vom Landesgericht für Strafsachen Wien bewilligt – Durchsuchungen der Geschäftsräume (unter anderem) der J* Rechtsanwalt GmbH sowie der Geschäfts- und Privaträume des Dr. * J* LL.M. an den Adressen * sowie * und * statt (ON 1361), welche der Durchführung der von der Staatsanwaltschaft jeweils unter einem angeordneten Sicherstellung von Gegenständen (§ 109 Z 1 lit a StPO) dienten (ON 1168, 1247 und 1253 iVm ON 1 S 627). Gegen die Sicherstellungen erhob Dr. J* LL.M. unter Berufung auf das gesetzlich anerkannte Recht auf Verschwiegenheit nach § 157 Abs 1 Z 2 StPO Widerspruch nach § 112 Abs 1 StPO, sodass – soweit gegenständlich relevant – eine Versiegelung der sichergestellten Gegenstände (insb der schriftlichen Unterlagen und Datenträger samt Datenmaterial) erfolgte (ON 2273 S 26 f, 29 f iVm ON 1361 S 1–5, 19, 23, 35, 193 f).

[2] Sowohl gegen die Anordnungen der Sicherstellung als auch gegen deren Durchführung am 23. März 2021 brachten die acht Erneuerungswerber (gemeinsam ausgeführt) Einsprüche wegen Rechtsverletzung ein (ON 1321), welche das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschlüssen vom 16. August 2022 (ON 1999, 2001, 2003 und 2005) teils zurück- und teils abwies.

[3] Das Oberlandesgericht Wien gab den gegen diese Beschlüsse gerichteten (und gemeinsam ausgeführten) Beschwerden (ON 2025) der Genannten mit Beschluss vom 17. April 2023, AZ 21 Bs 239/22h (21 Bs 240/22f , 21 Bs 241 /22b, 21 Bs 242 /22z), nicht Folge (ON 2273).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen diesen (am 24. April 2023 rechtswirksam zugestellten) Beschluss richten sich die a m 21. August 2023 beim Obersten Gerichtshof eingebrachten, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten und gemeinsam ausgeführten Anträge von Dr. J* LL.M., der J* Rechtsanwalt GmbH, Dr. M* LL.M., Mag. L*, Mag. R*, Mag. W*, Mag. H* und Mag. M* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

[5] Diese reklamier en Verletzungen von Art 8 MRK und Art 1 1. ZPMRK im Wesentlichen mit der Behauptung, d ie gegenständlichen Sicherstellungen sowie die darauf bezogenen Anordnungen seien „weder unverzichtbar noch verhältnismäßig“ gewesen, weil kein dringender Tatverdacht gegen Dr. J* LL.M. bestanden habe und sich die Sicherstellungsanordnungen „undifferenziert auf alle denkbar in den Räumlichkeiten auffindbaren Unterlagen jeglicher Art“ erstreckt hätten . S ie erläutern dabei umfangreich, warum aus ihrer Sicht im Zeitpunkt der Anordnungen der Sicherstellungen und deren Durchführung kein dringender Tatverdacht gegen Dr. J* LL.M., die J* Rechtsanwalt GmbH und die R* GmbH vorgelegen habe.

[6] Voranzustellen ist, dass sich die Behandlung eines Erneuerungsantrags im (wie hier) erweiterten Anwendungsbereich (vgl RIS Justiz RS0122228) auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (vgl RIS Justiz RS0129606 [T2, T3], RS0132365). Die behauptete Grundrechtsverletzung ist dabei vom Antragsteller deutlich und bestimmt in Auseinandersetzung mit der kritisierten Entscheidung und auf Basis deren Tatsachenannahmen darzulegen, soweit nicht (nach dem vergleichbaren Maßstab des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO) Begründungsmängel oder erhebliche Bedenken geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0124359, RS0125393 [T1]; Rebisant , WK StPO § 363a–363c Rz 84). Eine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen oder Verfügungen nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz erfolgt hingegen durch den Obersten Gerichtshof nicht (erneut RIS Justiz RS0129606 [T3]).

[7] Vorliegend zielt das umfangreiche Antragsvorbringen primär darauf ab, eine Überprüfung der im Zeitpunkt der Ermittlungsmaßnahmen gegen Dr. J* LL.M. bestehenden Verdachtslage zu erwirken. U nter dem Aspekt einer Verletzung von Art 8 MRK legen die Antragst eller aber nicht dar , weshalb bereits durch die Sicherstellung, welche gegenständlich aufgrund des erhobenen Widerspruchs nach § 112 Abs 1 StPO mit einer Versiegelung der Gegenstände einherging, eine (vom Oberlandesgericht nicht aufgegriffene) Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens bewirkt worden sein sollte. Denn der (nach dem Vorbringen hier alleine maßgebliche) Schutz des Berufsgeheimnisses wird für alle von der Sicherstellung umfassten Gegenstände (hier insb Aufzeichnungen und Datenträger) über das zur Anwendung gelangte Verfahren nach § 112 StPO gewährt. Darüber hinaus sind von der Staatsanwaltschaft letztlich nur solche Unterlagen zum Akt zu nehmen, die im weiteren Verfahren als relevante Beweismittel in Frage kommen und nicht dem (in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtenden) Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 (§ 144 Abs 1) StPO unterliegen. Gegen eine in der vorliegenden Konstellation erst dabei denkbare Verletzung des durch Art 8 MRK gewährleisteten Berufsgeheimnisschutzes kann sodann gerichtlicher Rechtsschutz durch Erhebung eines Einspruchs nach § 106 Abs 1 StPO gegen rechtswidrige Entscheidungen oder Anordnungen der Anklagebehörde und – im Fall eines ablehnenden Gerichtsbeschlusses – eine Beschwerde an das Oberlandesgericht erlangt werden (14 Os 68/21p mwN; 14 Os 48/21x [14 Os 50/21s]).

[8] Die im Erneuerungsverfahren unumgängliche Darlegung eines bereits durch die Sicherstellung am 23. März 2021 erfolgten Eingriffs in das durch Art 8 MRK gewährleistete Berufsgeheimnis zeigen die Antragsteller daher auch nicht dadurch auf, dass sie die Sicherstellung einerseits einer Kopie der gesamten E Mail Korrespondenz zwischen Dr. J* LL.M. und der Leiterin der Rechtsanwaltskanzlei * K* sowie andererseits jeweils zweier Laptops von Mag. R* und von Dr. J* LL.M. speziell beanstanden (vgl dazu ON 2273 S 26 ff) und als unverhältnismäßig erachten .

[9] Soweit die Anträge isoliert den Umfang der in den Anordnungen auf Sicherstellung beschriebenen Gegenstände als exzessiv kritisieren, legen sie im Übrigen (erneut) nicht offen, durch die Sicherstellung welcher Beweismittel (bereits) in das Berufsgeheimnis eingegriffen worden sein soll . Die Ausführungen zu aus Sicht der Antragsteller wünschenswerten Konsequenzen im Fall der Rechtswidrigkeit einer Sicherstellungsanordnung bedürfen demnach keiner inhaltlichen Erwiderung.

[10] Den Einwand eines Eingriffs in das Grundrecht auf Schutz des Eigentums nach Art 1 des 1. ZPMRK haben die Antragsteller erstmals im gegenständlichen Erneuerungsantrag vorgebracht, jedoch weder in ihren Einsprüchen wegen Rechtsverletzung noch in ihren gegen die erstinstanzlichen Beschlüsse erhobenen Beschwerden deutlich und bestimmt erhoben, sodass es insoweit an der Zulässigkeitsvoraussetzung der horizontalen Erschöpfung des Instanzenzugs mangelt. Die (isolierte) Beschwerdebehauptung, das Erstgericht habe „unter Berufung auf den erfolgten Widerspruch auch Eingriffe in die Eigentumsrechte der Beschwerdeführer gerechtfertigt, die keineswegs verhältnismäßig erscheinen“ (ON 2025 S 32), genügt den diesbezüglichen Anforderungen, die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach im Instanzenzug vorzubringen, nicht (RIS Justiz RS0122737 [T13]).

[11] Davon abgesehen ist das mit den hier maßgeblichen Sicherstellungen im Zusammenhang stehende Sichtungsverfahren nach § 112 StPO nicht Gegenstand des (vorliegend ausschließlich relevanten) Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien vom 17. April 2023 und unterliegt daher keiner Prüfung im Rahmen des gegenständlichen Erneuerungsantrags. Darauf bezogene Kritik, insbesondere an behaupteten Verzögerungen, welche zu einem die Eigentumsrechte der Antragsteller berührenden Wertverlust der sichergestellten Gegenstände geführt hätten, ist somit unbeachtlich. Zulässigkeit der Geltendmachung einer daraus resultierenden Grundrechtsverletzung mit Erneuerungsantrag hätte im Übrigen die vorherige (erfolglose) Stellung eines Fristsetzungsantrags nach § 91 GOG zur Voraussetzung (erneut RIS Justiz RS0122737 [T7 und T18]).

[12] Gleiches gilt für das umfangreiche Vorbringen, welches sich auf die Anordnung und Durchführung der am 23. März 2021 erfolgten Durchsuchungen der Geschäftsräume der J* Rechtsanwalt GmbH sowie der Geschäfts- und Privaträume des Dr. J* LL.M. richtet (vgl dazu vielmehr die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 29. April 2022, AZ 21 Bs 118/21p ua [ON 1852], und die Entscheidung des Obersten Gerichtshof vom 24. Jänner 2023, AZ 14 Os 118/22t).

[13] Die im Erneuerungsantrag mehrfach enthaltene, nicht auf die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 17. April 2023 Bezug nehmende Kritik an behördlichem Vorgehen im gegenständlichen Ermittlungsverfahren, insbesondere jene an der Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft, die gegen Dr. J* LL.M. und die J* Rechtsanwalt GmbH geführten Ermittlungsverfahren nicht zur Gänze einzustellen , ist einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich. Denn ein Antrag auf Verfahrenserneuerung eröffnet (auch) nicht die Möglichkeit, allgemein das Vorgehen von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichten in einer bestimmten Strafsache einer höchstgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen (vgl zuletzt 14 Os 1/22m mwN).

[14] Die Anträge auf Verfahrenserneuerung waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

Rechtssätze
3
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.