JudikaturJustiz14Os83/18i

14Os83/18i – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen DI Andreas S***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 St 9/14i der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, über den Antrag des Josef Sc***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Im gegen DI Andreas S***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Verfahren, AZ 4 St 9/14i der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, bestellte die Staatsanwaltschaft am 23. Juni 2014 Dr. Matthias K***** zum Sachverständigen aus den Fachgebieten Buchführung, Bilanzierung, Jahresabschluss, Unternehmensplanung und Unternehmensführung und beauftragte ihn, Befund und Gutachten über Finanzierungsmodelle, Zahlungsflüsse und Verlustzuweisungen betreffend die in der Bestellung genannten Gesellschaften zu erstatten (ON 5).

Über Antrag des Beschuldigten Josef Sc***** auf Bestellung im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme nach § 126 Abs 5 erster Satz StPO (ON 174) bestellte die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 26. September 2017, AZ 332 HR 219/14i, Dr. Markus Kn***** zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Informationstechnik und beauftragte ihn, Befund und Gutachten zu den im Beschluss detailliert angeführten Fragen zu erstatten (ON 197). Unter einem wurde der Sachverständige aufgefordert, „allenfalls erforderliche“ (über den Akteninhalt hinausgehende) Unterlagen „direkt“ anzufordern, und wurden „sämtliche vom Sachverständigen kontaktierten Behörden, Personen oder Unternehmen [...] angewiesen, ihm die von ihm erbetenen Unterlagen umgehend auszuhändigen“ (ON 197 S 4).

In einem Schreiben vom 25. Oktober 2017 teilte Dr. K***** der Staatsanwaltschaft mit, dass Dr. Kn***** im Oktober 2017 mit ihm „Kontakt zur Übermittlung von Unterlagen aufgenommen“ habe und „eine physische Sichtung“ der beim Sachverständigen Dr. K***** „vorhandenen Unterlagen (in elektronischer und physischer Form) [...] im Rahmen einer Besprechung am 4. Dezember 2017 avisiert“ werde (ON 199 S 7).

Am 27. November 2017 beantragte der Beschuldigte Sc*****, ihm die Teilnahme an dieser Besprechung zu ermöglichen, weil Dr. K***** aufgrund seiner umfangreichen Ermittlungstätigkeit als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft zu werten sei, daher eine Besprechung ohne Ermöglichung seiner Teilnahme dem Grundrecht auf Waffengleichheit nach Art 6 MRK widersprechen würde (ON 205).

Diesen Antrag wies der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 30. November 2017 zurück (ON 207). Der dagegen erhobenen Beschwerde des Antragstellers (ON 209) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 22. Februar 2018 im Wesentlichen mit der Begründung nicht Folge, dass ein Recht auf Teilnahme an der Stoffsammlung des Sachverständigen gesetzlich nicht vorgesehen sei (ON 215).

Dagegen richtet sich der Antrag des Beschuldigten Sc***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, der auf die Behauptung einer Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit und des Rechts auf effektive Verteidigung nach Art 6 MRK gestützt ist.

Rechtliche Beurteilung

Bei einem nicht auf ein Erkenntnis des EGMR gestützten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, dessen Zulässigkeit von der vorherigen Erschöpfung des Instanzenzugs abhängt (RIS-Justiz RS0122737). Daraus folgt die Unzulässigkeit eines Antrags, der sich (bloß) auf die Verweigerung von Beschuldigtenrechten im Ermittlungsverfahren stützt, die im Hauptverfahren (noch) wirksam (vgl Art 13 MRK) durchgesetzt werden können (RIS Justiz RS0126370; vgl Ratz , Überprüfung von Entscheidungen durch den OGH in Strafsachen, ÖJZ 2010, 983 [984]).

Dass durch die angebliche Verkürzung von Rechten des Beschuldigten anlässlich der Befundaufnahme des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Ermittlungsverfahren das reklamierte Grundrechtsziel eines zur Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage führenden fairen Verfahrens endgültig vereitelt worden wäre, der Antragsteller somit – ungeachtet seiner Möglichkeiten im allfälligen weiteren (Haupt- und Rechtsmittel )Verfahren, Befangenheit des Sachverständigen nach § 126 Abs 4 StPO geltend zu machen oder Anträge nach § 238 StPO zu stellen, das Gutachten aus dem Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung nicht vorkommen zu lassen sowie ein neues Gutachten in Auftrag zu geben – Opfer im Sinn des Art 34 MRK sei, legt der Erneuerungsantrag nicht dar (RIS-Justiz RS0122737 [T17]; vgl 13 Os 67/16a mwN, 17 Os 19/16x).

Er war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

Rechtssätze
2
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.