JudikaturJustiz14Os8/22s

14Os8/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 3. November 2021, GZ 79 Hv 58/21t 19, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

Teils in Stattgebung, teils aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit seiner Punkt II des Schuldspruchs betreffenden Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (I) sowie je eines Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 15, 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 18. November 2020 in S*

I/ * R* außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er „mit seiner rechten Hand auf ihren linken hinteren Oberschenkel griff, von dort seine Hand zu ihrer linken Gesäßhälfte nach oben bewegte, die Hand auf ihr Gesäß legte, anschließend seine rechte Hand von ihrem Gesäß über den linken Oberschenkel nach vorne führte in der Folge neuerlich mit seiner rechten Hand ihre linke Hand erfasste und diese zu seinem bekleideten Geschlechtsteil führte und versuchte, sie unsittlich zu berühren“, wobei R* ihre Hand wegzog, sodass es beim Versuch blieb;

II/ mit der minderjährigen R*, die seiner Ausbildung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung als „Lehrlingsausbilder“ durch das zu I/ beschriebene Verhalten eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen versucht;

III/ eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen durfte, nämlich einen von R* im (richtig [vgl US 3]) November 2020 geschriebenen und von K* mit „Nicht genügend“ beurteilten Test durch Zerreißen mit dem Vorsatz vernichtet, zu verhindern, dass dieser im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist in Bezug auf den Schuldspruch zu I/ und III/ im Recht.

[4] Im Wesentlichen zutreffend zeigt der Beschwerdeführer im Rahmen der Subsumtionsrüge (Z 10, der Sache nach Z 9 lit a) auf, dass der Urteilssachverhalt den Schuldspruch zu I/ nicht trägt.

[5] Nach den Feststellungen habe der Beschwerdeführer R* zunächst mit seiner rechten Hand „auf den hinteren Bereich des linken Oberschenkels“ gegriffen, „von dort seine Hand zu ihrer linken Gesäßhälfte nach oben“ bewegt und „die Hand auf ihr Gesäß“ gelegt, „wo sie einige Zeit verweilte“. „Als die Schülerin zurückwich, führte der Angeklagte anschließend seine rechte Hand von ihrem Gesäß über den linken Oberschenkel nach vorne“. Nachdem R* gesagt habe, dass „sie das nicht will“, habe der Beschwerdeführer erwidert, er glaube, „zu weit gegangen zu sein“. In weiterer Folge habe er gesagt, wenn ich „etwas gemacht hätte, dann hätte dies wohl so ausgesehen“, wobei er mit seiner rechten Hand die linke Hand von R* erfasst und „mit festem Griff in Richtung seines bekleideten Geschlechtsteiles“ gezogen habe. „Noch bevor die Hand der Schülerin jedoch die Hose des Ausbilders berührte, konnte sich diese aus seinem Griff befreien, indem sie die Hand des Angeklagten wegzog“. Zur subjektiven Tatseite konstatierten die Tatrichter, der Beschwerdeführer „setzte damit bewusst und gewollt Gewalt ein“, um R* „zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen und sie unsittlich zu berühren“ (US 4 f).

[6] Dem Urteilssachverhalt ist solcherart in objektiver Hinsicht eine geschlechtliche Handlung im Sinn des § 202 Abs 1 StGB nicht zu entnehmen. Das Erstgericht ging deshalb (an sich konsequent) von bloß versuchter Tatausführung aus. Dazu hätte es jedoch konkreter Feststellungen bedurft, auf welche geschlechtliche Handlung der Vorsatz des Beschwerdeführers gerichtet war. Die bloße Verwendung der verba legalia ohne sachverhaltsmäßige Umschreibung der intendierten Handlung (näher dazu RIS Justiz RS0095733; Philipp in WK 2 StGB § 202 Rz 9 ff; Hinterhofer , SbgK § 202 Rz 24 ff) wird diesen Anforderungen ebenso wenig gerecht (vgl RIS Justiz RS0119090) wie die nicht näher konkretisierte Formulierung, der Beschwerdeführer habe das Opfer „unsittlich zu berühren“ getrachtet.

[7] Der Schuldspruch zu I/ erweist sich daher als verfehlt. Auf dieser Sachverhaltsbasis ist – wie mit Blick auf das Vorbringen der Subsumtionsrüge klargestellt wird – ebenso wenig der Tatbestand des „§ 218 Abs 1 StGB“ (der ebenfalls eine geschlechtliche Handlung voraussetzt) verwirklicht.

[8] Gleiches gilt für den Schuldspruch zu II/, weil auch der Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 2 StGB an die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung anknüpft und das Urteil insoweit (zur subjektiven Tatseite) keine weiterführenden Feststellungen enthält (vgl US 5).

[9] Im Recht ist schließlich auch das zu III/ erstattete Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), soweit es darauf verweist, dass das (hier inkriminierte) Vernichten einer Urkunde nicht nach § 229 Abs 1 StGB strafbar ist, wenn der Täter allein über die Urkunde verfügen darf. Eine solche (alleinige) Verfügungsbefugnis besteht etwa dann nicht, wenn die Urkunde Beweiszwecken eines berechtigten Dritten dient (vgl RIS Justiz RS0095694), den Täter insbesondere (aus solchen Beweisgründen bestehende) Herausgabe , Vorlage- oder Aufbewahrungspflichten treffen ( Kienapfel/Schroll in WK 2 StGB § 229 Rz 8; Bugelnig , SbgK § 229 Rz 33 ff). Im Ergebnis zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, dass mangels näherer Feststellungen zum organisatorischen Rahmen der von ihm entfalteten Unterrichtstätigkeit (vgl US 3) und zur Beschaffenheit des gegenständlichen „Tests“ nicht beurteilt werden kann, ob ihn eine derartige, in Gesetz oder Verordnung (vgl etwa für Berufsschulen § 8 Abs 10 LeistungsbeurteilungsVO) normierte Aufbewahrungs- oder Ausfolgungspflicht traf. Konstatierungen zu einer dahingehenden, (vertraglichen) Vereinbarung finden sich ebenso wenig (vgl RIS-Justiz RS0130194 [insb T5]; vgl auch die im Urteil [US 9 iVm ON 14a S 6] sinngemäß wiedergegebene Aussage des Zeugen * M* [es bleibe dem Trainer überlassen, „ob er die Testnoten einzeln einträgt oder nicht“; „schriftliche Aufzeichnungen, wann wer einen Test geschrieben hat, sind nur insoweit vorhanden, als dies der Trainer eingetragen hat“]). Die zur subjektiven Tatseite (im Sinn eines Gebrauchsverhinderungsvorsatzes) getroffenen Urteilsannahmen (US 5) bleiben demnach abermals ohne Sachverhaltsbezug (erneut RIS-Justiz RS0119090).

[10] Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung des gesamten Urteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO, teils [in Bezug auf Punkt II/ des Schuldspruchs] iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[11] Auf diese Entscheidung war der Beschwerdeführer mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich auf Punkt II/ des Schuldspruchs bezieht, und seiner Berufung zu verweisen.