JudikaturJustiz14Os69/13y

14Os69/13y – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafsache gegen Aslambek D***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 15, 105 Abs 1) StGB, AZ 093 Hv 20/11h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen mehrere Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 093 Hv 20/11h des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen das Gesetz:

1./ das Unterbleiben der Zustellung des Strafantrags der Staatsanwaltschaft Wien vom 14. Februar 2011 an die Verteidigerin des Angeklagten

§ 83 Abs 4 StPO iVm § 484 zweiter Satz StPO;

2./ das Unterbleiben der Ladung der Verteidigerin zur Hauptverhandlung am 21. März 2011 sowie am 11. April 2011

§ 221 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO;

3./ die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 11. April 2011 in Abwesenheit der Verteidigerin

§ 274 iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO.

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. April 2011, GZ 093 Hv 20/11h 40, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 10. Mai 2010, GZ 311 HR 168/10d 5, verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien in der Strafsache gegen Aslambek D***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB über den Genannten die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit d StPO. Über Antrag des Beschuldigten (ON 4 S 5) gab das Erstgericht diesem mit Beschluss vom selben Tag einen Verteidiger gemäß § 61 Abs 2 StPO für das gesamte weitere Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss sowie für ein allfälliges Verfahren aufgrund einer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde oder eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens bei (ON 1 S 5 iVm ON 7 S 3). In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt, die Beigebung des Verfahrenshilfeverteidigers liege im Interesse der Rechtspflege und sei zu einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich, „weil sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befinde“ (ON 7 S 4). Mit Beschluss vom 21. Mai 2010 wurde die Untersuchungshaft gegen Anwendung gelinderer Mittel aufgehoben (ON 14 und 15). Ein Widerruf des Beschlusses auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers aus Anlass der Enthaftung ist nicht aktenkundig.

Aufgrund des von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Aslambek D***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§ 107 Abs 1 und Abs 2) StGB eingebrachten Strafantrags vom 14. Februar 2011 (ON 27) ordnete das Erstgericht eine Hauptverhandlung für den 21. März 2011 im nunmehr zu AZ 093 Hv 20/11h geführten Verfahren an, zu der es zwar den Angeklagten unter Anschluss einer Ausfertigung des Strafantrags (RS bei ON 29), nicht aber dessen Verteidigerin lud (ON 29); die Zustellung des Strafantrags an die Verteidigerin unterblieb ebenfalls (ON 29).

Da der Angeklagte zur Hauptverhandlung am 21. März 2011 nicht erschien, beraumte die Erstrichterin für den 11. April 2011 eine neue Hauptverhandlung an und verabsäumte abermals, die Verteidigerin des Angeklagten zu laden (ON 37). Nach Durchführung dieser Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten, jedoch ohne Beisein seiner Verteidigerin (ON 40 S 1) wurde Aslambek D***** des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 15, 105 Abs 1) StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien steht wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt mit dem Gesetz in mehrfacher Hinsicht nicht in Einklang:

Die gemäß § 488 Abs 1 StPO auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofs erster Instanz geltende Vorschrift des § 274 StPO gibt dem Angeklagten auch bei nicht notwendiger Verteidigung das Recht, dass der von ihm gewählte Verteidiger oder der für ihn bestellte Vertreter der Hauptverhandlung vom Anfang bis zum Ende beiwohnt (RIS Justiz RS0098951; RS0098956 [T1]; Danek , WK StPO § 274 Rz 1). Zur Hauptverhandlung ist daher nicht nur der Angeklagte, sondern auch sein Verteidiger zu laden (§ 221 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO). Ist der Verteidiger aufgrund eines seine Ladung betreffenden Fehlers des Gerichts zur Hauptverhandlung nicht erschienen, so ist diese analog § 274 StPO zu vertagen ( Danek , WK-StPO § 274 Rz 5).

Im allein der Rechtskraft fähigen wenn auch die Bestimmung des „§ 61 Abs 2 StPO“, auf die der Ausspruch gestützt wird, nur ungenau, nämlich ohne die bezughabende Ziffer zitierenden Spruch des Beschlusses vom 10. Mai 2010 wird klar und damit keiner allenfalls unter Heranziehung der Begründung möglichen Verdeutlichung bedürfend zum Ausdruck gebracht, dass die Beigebung der Verfahrenshilfeverteidigerin für die gesamte Verfahrensdauer erfolgte. Die lediglich der Beschlussbegründung entnehmbaren, die Erforderlichkeit der Verfahrenshilfe mit der Anhaltung in Untersuchungshaft argumentierenden Ausführungen vermögen, vom fallbezogen alleine maßgebenden Spruch ( Nimmervoll , Beschluss und Beschwerde in der StPO, 30) ausgehend, den Entfall der Verfahrenshilfe mit Aufhebung der Untersuchungshaft nicht zu bewirken. Da auch keine ausdrückliche Aufhebung der Verfahrenshilfe mit gesondertem Beschluss aktenkundig ist, wäre die weiterhin aufrecht bestellte Verfahrenshilfeverteidigerin dem Hauptverfahren beizuziehen gewesen.

Der Umstand, dass das Erstgericht den Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 14. Februar 2011 nicht der für das gesamte Verfahren beigegebenen Verteidigerin des (bereits seit 21. Mai 2010 auf freiem Fuß befindlichen) Angeklagten Aslambek D***** zustellte, verstößt gegen § 83 Abs 4 StPO iVm § 484 zweiter Satz StPO, weil, soweit ein Beschuldigter durch einen Verteidiger vertreten wird und wie gegenständlich nicht Ausnahmen normiert sind, ausschließlich zu dessen Handen zuzustellen ist (§ 83 Abs 4 StPO; RIS Justiz RS0097275).

Das Unterlassen der Zustellung der Ladungen der Verteidigerin des Angeklagten zu den Hauptverhandlungsterminen am 21. März 2011 und am 11. April 2011 steht mit § 221 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO nicht in Einklang (12 Os 45/05t).

Indem das Erstgericht die Hauptverhandlung am 11. April 2011 trotz Abwesenheit der nicht ordnungsgemäß geladenen Verteidigerin nicht vertagte, diese vielmehr durchführte und ein Urteil fällte, verletzte es § 274 StPO iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO.

Da nicht auszuschließen ist, dass sich die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit der Verteidigerin des Angeklagten zu dessen Nachteil ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).