JudikaturJustiz14Os68/99

14Os68/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Leitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ernst L***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 15. Oktober 1998, GZ 12 Vr 1.771/98-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Angeklagten, jedoch in Abwesenheit seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und über den Angeklagten in Anwendung des § 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 240 (zweihundertvierzig) Tagessätzen, für den Fall deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 120 (einhundertzwanzig) Tagen verhängt.

Die Festsetzung des Tagessatzes mit 100 S bleibt unberührt.

Gemäß § 43a Abs 1 StGB wird dem Angeklagten ein Strafteil von 120 (einhundertzwanzig) Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Ernst L***** wurde des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt, wonach er am 17. April 1998 in Graz Alexandra R***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt, indem er sie von hinten umklammerte, ihre Brüste umfaßte und sie zu sich zog, zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt hatte.

Dagegen hat der Angeklagte aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO Nichtigkeitsbeschwerde erhoben.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, daß die Abwesenheit des Verteidigers, der - wie er auf fernmündliche Anfrage mitteilte - im Einvernehmen mit dem Angeklagten aus Kostenersparnisgründen nicht erschienen ist, die Durchführung des Gerichtstages nicht hinderte. Gemäß § 41 Abs 1 Z 4 StPO bedarf der Angeklagte ua "für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung" über eine Nichtigkeitsbeschwerde oder über eine Berufung gegen ein Urteil des Schöffengerichtes eines Verteidigers, wobei sich das Gesetz in Form eines Klammerzitats auf die Bestimmungen der §§ 286 Abs 4, 294 Abs 5 StPO bezieht. Daraus, und weil nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des StRÄG 1993 (924 BlgNR 18. GP, 18) "§ 41 Abs 1 nunmehr alle in der StPO enthaltenen Fälle der notwendigen Verteidigung ausdrücklich anführt", ergibt sich, daß das StRÄG 1993 im § 41 Abs 1 StPO die schon bis dahin in der StPO enthaltenen Bestimmungen über die notwendige Verteidigung lediglich übersichtlich zusammengefaßt hat, ohne diese jedoch inhaltlich zu ändern. Die betreffenden Bestimmungen wurden aber in der Rechtsprechung schon bisher dahin interpretiert, daß der Angeklagte im Zeitpunkt des Gerichtstages einen Verteidiger zwar haben, nicht aber auch, daß dieser tatsächlich erscheinen muß (Mayerhofer StPO4 E 4 zu § 286). Nach dem Vorgesagten besteht kein Anlaß, diese Auslegung zu revidieren.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet.

Zu Unrecht erblickt der Angeklagte eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte (Z 4) in der Ablehnung des Antrages auf zeugenschaftliche Einvernahme des Otmar R***** "zum Beweis dafür, daß die persönlichen Gegenstände (gemeint: der Alexandra R*****) nicht von ihm abgeholt, sondern von der Zeugin am 17. April 1998 nach Dienstschluß mitgenommen worden sind". Da die behauptete Unrichtigkeit der Aussage der Zeugin nur einen für das Tatgeschehen bedeutungslosen Umstand betrifft und bei der gegebenen Sachlage auch keine für die Beurteilung des belastenden Vorbringens der Genannten in seinem entscheidungswesentlichen Kernbereich maßgeblichen Schlüsse zuläßt, entbehrt die verlangte Beweisaufnahme von vornherein der erforderlichen Tauglichkeit zu einer sachdienlichen Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen und wurde daher vom Erstgericht (wenngleich erst mit im Urteil nachgeholter Begründung) zutreffend abgelehnt.

Mit der isolierten Hervorhebung der Urteilspassage, wonach der Angeklagte zunächst seine Absicht, sich einen ihm verweigerten "Gute-Nacht-Kuß" holen zu wollen, angekündigt, und "zu diesem Zeitpunkt" auch den Entschluß gefaßt habe, Alexandra R***** gegen ihren Willen mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen, wird von der Beschwerde die diesen Urteilsausführungen unmittelbar folgende und sehr wohl mit der Beschreibung der Tat im Urteilstenor konforme (konkretisierende) Schilderung des Tatgeschehens übergangen und somit kein Widerspruch in den Entscheidungsgründen aufgezeigt (Z 5).

Die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat, die darnach in einem das festgehaltene Tatopfer zum Schreien veranlassenden Zugriff auf dessen Brüste bestand, bringt unmißverständlich die Annahme einer (im Sinn des § 202 Abs 1 StGB) tatbildmäßigen geschlechtlichen Handlung zum Ausdruck, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer erheblich war und eine unzumutbare sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellte.

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) versagt:

Unter Gewalt im Sinn des § 202 Abs 1 StGB ist der Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder erwarteten Widerstandes zu verstehen. Ob eine solche - keineswegs eine besondere Intensität der Kraftumsetzung erfordernde - Gewaltanwendung vorliegt, ist nach einem objektiv-individualisierenden Maßstab und einer deliktsspezifischen Auslegung der aktuellen Norm unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des jeweiligen Falles zu beurteilen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, daß schon das bloße Festhalten des Tatopfers dem Begriff der Gewaltanwendung entspricht (vgl insb Leukauf/Steininger Komm3 § 74 RN 27 und § 201 RN 19; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 1 zu § 202; Kienapfel, BT I4 § 105 RN 11, 16 ff und 30). Nach den Urteilsfeststellungen bestand die als Nötigungsmittel angewendete Gewalt im Packen und Festhalten der schreienden und sich erfolglos wehrenden Alexandra R***** durch den Angeklagten, der von der Genannten erst abließ, nachdem beide zu Sturz gekommen waren. Damit lag die eingesetzte Gewalt aber deutlich über der erforderlichen Erheblichkeitsschwelle.

Das Erstgericht hat auch die getroffenen Konstatierungen über Bedeutung und Intensität der (über den Kleidern erfolgten) Berührung der Brüste des Tatopfers rechtsrichtig als eine - den Begriffen der "Unzucht" und der "unzüchtigen Handlung" in den Tatbeständen anderer strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit entsprechende - geschlechtliche Handlung im Sinne des § 202 Abs 1 StGB beurteilt (Leukauf/Steininger aaO jeweils RN 6 zu § 202 und 207; Mayerhofer/Rieder aaO E 6a zu § 207).

Schließlich geht auch der Beschwerdeeinwand ins Leere, daß es nach den Entscheidungstatsachen weder zu geschlechtlichen Handlungen gekommen sei noch der Angeklagte überhaupt das Stadium eines strafbaren Versuches erreicht habe, bleibt er doch - von der neuerlichen verfehlten Bestreitung der Tatbildmäßigkeit des Berührens der Brüste des Tatopfers abgesehen - insoweit nicht auf dem Boden der Urteilsfeststellungen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Ernst L***** nach § 202 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 100 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie eine für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten. Dabei wertete es keinen Umstand als erschwerend, die Unbescholtenheit des Angeklagten hingegen als mildernd.

Der gegen den Strafausspruch erhobenen Berufung des Angeklagten, mit der er die Verhängung bloß einer Geldstrafe unter Herabsetzung der Anzahl und Höhe der Tagessätze anstrebt, kommt teilweise Berechtigung zu.

Im Blick auf den bisher ordentlichen Lebenswandel des Rechtsmittelwerbers, der im Zuge des gegen ihn geführten Strafverfahrens seine Anstellung bei den Grazer Verkehrsbetrieben verloren hat, und den in Relation zu sonstigen Ausprägungen des Delikts relativ geringen Schuldgehalt in Bezug auf die (maßhaltende) Gewaltanwendung und das Nötigungsziel (Betasten der sekundären Geschlechtsmerkmale über der Kleidung) kann mit einer zur Hälfte bedingt nachgesehenen Geldstrafe das Auslangen gefunden werden.

Die Höhe des Tagessatzes hingegen trägt der finanziellen und familiären Situation des Angeklagten gebührend Rechnung und war daher einer Reduktion nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.