JudikaturJustiz14Os59/17h

14Os59/17h – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin im Verfahren über die Verantwortlichkeit des Verbands Stadtgemeinde P***** für das Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB idF BGBl 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 8 U 14/16g des Bezirksgerichts Neulengbach, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang im Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. August 2016, AZ 20 Bl 82/16p, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, und des Verteidigers Mag. Huber zu Recht erkannt:

Spruch

Die im Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. August 2016, GZ 20 Bl 82/16p 5, geäußerte rechtliche Annahme einer Rügepflicht des belangten Verbands als Voraussetzung für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 468 Abs 1 Z 3 iVm 281 Abs 1 Z 4 StPO verletzt § 468 Abs 2 StPO sowie § 24 iVm § 13 Abs 1 letzter Satz VbVG.

Text

Gründe:

Mit Urteil vom 28. April 2016, GZ 8 U 14/16g 88, sprach das Bezirksgericht Neulengbach aus, dass die Stadtgemeinde P***** als belangter Verband gemäß § 3 Abs 1 Z 2 VbVG für die als Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB idF BGBl 1974/60 und der fahrlässigen Körperverletzung nach „§ 88 Abs 1, teils Abs 4 erster Fall StGB“ subsumierbaren, rechtswidrig verwirklichten (im Urteil im einzelnen bezeichneten) Taten ihrer (Bauhof-)Mitarbeiter verantwortlich ist, weil diese die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben (§ 3 Abs 3 Z 1 VbVG) und die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben (§ 3 Abs 3 Z 2 VbVG).

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichts haben Mitarbeiter des Bauhofs mehrere Bäume im Stadtpark der Stadtgemeinde P*****, die einer ebenfalls dort gepflanzten Rosskastanie als Windschutz dienten, sukzessive gefällt, sodass während eines Festes im Stadtpark ein Kronenteil der Rosskastanie aufgrund einer Sturmböe ausbrach und auf ein darunter befindliches Zelt fiel, was den Tod zweier Personen und (teils schwere) Verletzungen mehrerer Personen zur Folge hatte.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Landesgericht St. Pölten der dagegen erhobenen Berufung der Stadtgemeinde P***** nicht Folge. Unter anderem hielt es fest (US 11), dass der (im Hinblick auf die Abweisung eines Beweisbegehrens) geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des „§ 281 Abs 1 Z 4 StPO rügepflichtig“ sei und der Nichtigkeitsgrund – weil sich die Berufungswerberin nach Abweisung ihres Beweisantrags in der Hauptverhandlung die „Nichtigkeit“ nicht „vorbehalten“ hätte – „nicht gesetzlich ausgeführt“ worden sei. Abgesehen davon sei der Einwand aber auch inhaltlich nicht berechtigt, wobei das Berufungsgericht auf die seiner Ansicht nach zutreffende Argumentation des Erstgerichts verwies.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, steht die Annahme einer Rügeobliegenheit für den belangten Verband als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine auf § 468 Abs 1 Z 3 iVm § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsberufung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gegen Urteile, die über einen Verband im Sinn des VbVG ergangen sind, stehen die in der StPO vorgesehenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe offen (§ 24 VbVG). Der Verband hat dabei im Verfahren die Rechte des Beschuldigten (§ 13 Abs 1 letzter Satz VbVG). Dessen Rechtsmittellegitimation im Sinn des § 468 Abs 1 Z 3 iVm § 281 Abs 1 Z 4 StPO hängt – anders als beim (zum Nachteil des Angeklagten einschreitenden) Ankläger im landesgerichtlichen Verfahren – nicht von einer „Rüge“ gegen den gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss ab (vgl § 281 Abs 3 StPO). Bleibt anzumerken, dass im bezirksgerichtlichen Verfahren selbst für den Ankläger keine derartigen Rügeobliegenheiten bestehen (§ 468 Abs 2 zweiter Halbsatz StPO; Ratz , WK-StPO § 468 Rz 41).

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung war – im Hinblick darauf, dass das Landesgericht St. Pölten den entsprechenden Berufungseinwand auch in der Sache (abweislich) erledigt hat – bloß festzustellen (§ 292 vorletzter Satz StPO).