JudikaturJustiz14Os42/22s

14Os42/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * G* und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 601 St 4/17y (vormals: AZ 614 St 25/12z) der Staatsanwaltschaft Wien, über die Anträge der Beschuldigten * L* und * R* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien führt (nunmehr) zum AZ 601 St 4/17y ein Ermittlungsverfahren (neben anderen Beschuldigten) gegen * L* und * R* wegen des Verdachts unter anderem dem Verbrechen des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und 3 StGB subsumierter Taten.

[2] Mit Beschlüssen vom 4. März 2013 (ON 20), 11. März 2013 (ON 23), 2. Mai 2013 (ON 30) und vom 23. Juli 2013 (ON 42) bewilligte der Einzelrichter (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO) des Landesgerichts für Strafsachen Wien Anordnungen der Staatsanwaltschaft auf Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung (§ 134 Z 2 StPO) und auf Überwachung von Nachrichten (§ 134 Z 3 StPO) für Zeiträume zwischen dem 5. März bis zum 31. August 2013 hinsichtlich verschiedener (Mobil )Telefonanschlüsse und E Mail Adressen, die – nach den Beschlussannahmen – unter anderem L* und R* oder diesen nahestehenden Gesellschaften zuzuordnen waren.

[3] Erst anlässlich einer Akteneinsicht am 1. Juni 2021 erlangte der Verteidiger dieser Beschuldigten Kenntnis von diesen Ermittlungsmaßnahmen. Er brachte dagegen Beschwerden und Einsprüche wegen Rechtsverletzung ein.

[4] Mit Beschluss vom 27. September 2021, AZ 31 Bs 197/21d, 198/21a, 199/21y, 200/21w, 201/21t, 202/21i, 271/21m, 272/21h, wies das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht die Einsprüche zurück und gab den Beschwerden nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richten sich die (fristgerecht eingebrachten) Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a Abs 1 StPO, mit welchen die Beschuldigten L* und R* inhaltsgleich eine Verletzung von Art 6 und 8 MRK sowie des § 1 Abs 1 DSG geltend machen.

[6] Auf einen solchen Antrag im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a Abs 1 StPO sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 f MRK sinngemäß anzuwenden. Unter dem Aspekt der Ausschöpfung des Rechtsweges bedeutet dies unter anderem, dass die nunmehr geltend gemachte Grundrechtsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (RIS Justiz RS0122737 [T13]).

[7] An dieser Vorgabe scheitern die Anträge mit ihrer Behauptung einer – in den (gemeinsam ausgeführten) Beschwerden nicht relevierten – Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK infolge Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil ihnen die staatsanwaltschaftlichen Anordnungen samt gerichtlicher Bewilligung nie zugestellt worden seien (vgl dazu den Auftrag des Beschwerdegerichts an die Staatsanwaltschaft, die Zustellung nach § 138 Abs 5 StPO unverzüglich durchzuführen [S 10 f des Beschlusses]).

[8] Gleiches gilt für den – im Übrigen nicht substantiierten – Vorwurf einer Verletzung des „Fairnessgebots nach Art. 6 EMRK“, weil „der sog. Nemo tenetur Grundsatz“ durch die bekämpften Ermittlungsmaßnahmen missachtet worden sei.

[9] Zudem eröffnet ein Erneuerungsantrag nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz. Deren Kontrolle beschränkt sich auf die Prüfung der Grundrechtsverletzung, die vom Antragsteller deutlich und bestimmt in Auseinandersetzung mit der kritisierten Entscheidung in allen relevanten Punkten darzulegen ist (RIS Justiz RS0124359). Dabei sind die Tatsachenannahmen dieser Entscheidung zu Grunde zu legen, es sei denn, es werden insoweit (nach dem vergleichbaren Maßstab des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO) Begründungsmängel oder erhebliche Bedenken geltend gemacht (RIS Justiz RS0125393 [T1]; zum Ganzen Rebisant , WK StPO § 363c Rz 42, 83 f und 88).

[10] Mit der Behauptung einer Verletzung von Art 8 MRK (soweit ersichtlich) infolge fehlender Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahmen argumentieren die Antragsteller nicht auf Basis der Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts. Sie beschränken sich im Wesentlichen darauf, die Intensität des (dringenden) Tatverdachts anhand eigener Beweiswerterwägungen und Tatsachenbehauptungen, insbesondere zu nicht gegebener Organstellung und Vertretungsbefugnis der Beschuldigten in den verfahrensgegenständlichen Gesellschaften, zu bestreiten. Der nicht näher konkretisierte Einwand, das Beschwerdegericht habe „die Argumentation des Beschuldigten“ in seinen Erwägungen „vollkommen außer Acht“ gelassen, entspricht nicht den Anforderungen an die Geltendmachung eines Begründungsmangels (vgl [zur Unvollständigkeit nach Z 5 des § 281 Abs 1 StPO] RIS-Justiz RS0118316 [T5]).

[11] Da ein solcher Antrag auf Erneuerung nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden darf (RIS Justiz RS0132365), erübrigt sich schon deshalb eine inhaltliche Beantwortung des Vorbringens zu § 1 Abs 1 DSG und weiteren (zwar erwähnten, jedoch nicht ausdrücklich als verletzt bezeichneten) Grundrechten nach dem StGG und der GRC.

[12] Die Erneuerungsanträge waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).