JudikaturJustiz14Os18/16b

14Os18/16b – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. April 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamed E***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 15. Oktober 2015, GZ 35 Hv 10/15p 175, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohamed E***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (1) und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (2) s chuldig erkannt.

Danach hat er am 2. November 2013 in J ***** im einverständlichen Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten, teilweise bereits rechtskräftig verurteilten Mittätern Hanane B ***** , Anas B ***** und Mohamed B *****

(1) Paolo D***** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz 40.600 Euro Bargeld, ein Mobiltelefon und zwei Aktentaschen weggenommen, indem sie den Genannten bäuchlings auf ein Bett drückten, ihm ein Messer vorhielten, ihm dieses mehrfach am Hals ansetzten und dabei Geld forderten;

(2) Paolo D***** die persönliche Freiheit entzogen, indem sie ihn während und im Anschluss an die zu 1 genannte Tat mit Schnüren und Bändern an Händen und Füßen fesselten, sodann flüchteten und ihn in gefesselten Zustand zurückließen, wobei er sich erst nach einiger Zeit mit großem Kraftaufwand befreien konnte.

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) scheitert mit ihrer Kritik an der unterbliebenen Vernehmung des Yassine F ***** schon am Fehlen entsprechender

Antragstellung in der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0099250). Denn nach dem darüber aufgenommenen Protokoll hat der (frühere) Verteidiger des Beschwerdeführers weder selbst einen entsprechenden Antrag gestellt, noch sich dem darauf gerichteten Begehren des Staatsanwalts (ON 96, ON 109 S 19, ON 123 S 21) unmissverständlich angeschlossen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 324). Die Zustellung der Ladung an den Genannten „auch per Adresse Moktar und Aicha E***** in C*****“ wurde dem Beschwerdevorbringen zuwider gleichfalls nicht beantragt, sondern bloß „angeregt“ (ON 123 S 21), was einer Antragstellung im Sinn des § 238 StPO nicht gleichzuhalten ist ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 311, 313). Im Übrigen ließ die formlose Anregung auch völlig offen, aus welchem Grund eine Ladung an der genannten Adresse (bei der es sich laut Aussage der Aicha E***** um den Wohnsitz des Angeklagten, dessen Eltern und Bruder handelt, welcher zudem seinen Depositionen zufolge „schon einige Zeit nichts von Yassine F ***** gehört“ hat [ON 138 S 5 und 9]) den Letztgenannten erreichen sollte (vgl im Übrigen die Ladungs- und umfangreichen Ausforschungsversuche ON 124 S 1, ON 137, ON 138 S 9, ON 142, 150, 156, 158, 166).

Unrichtige Wiedergabe des aus Z 4 relevierten Vorbringens im Hauptverhandlungsprotokoll wurde im Rechtsmittel nicht behauptet, weshalb kein Anlass zu weiteren Aufklärungen bestand (§ 285f StPO; vgl auch § 271 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Der Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge unterbliebener Auseinandersetzung mit den (entlastenden) früheren Angaben der abgesondert verurteilten Mittäter Anas B ***** und Mohamed B ***** als Angeklagte in dem zum AZ 34 Hv 118/14m des Landesgerichts Innsbruck gegen sie geführten Verfahren trifft nicht zu. Diese Aussagen sind nämlich nach den darüber aufgenommenen Protokoll bloß durch Vorhalt von Teilen deren Inhalts bei Vernehmung des Angeklagten (ON 109 S 13, ON 123 S 19) in das Verfahren eingeführt worden und damit nicht im Sinn des § 258 Abs 1 StPO in der Hauptverhandlung vorgekommen. Sie bedurften demgemäß unter dem Aspekt von Unvollständigkeit keiner Erörterung im Urteil (vgl zum Ganzen Ratz , WK-StPO § 281 Rz 427, 459; RIS Justiz RS0113446).

Der in der Beschwerde angegebenen Fundstelle in den Akten (ON 179 [richtig: ON 174] S 3) ist der Rechtsmittelbehauptung zuwider gerade nicht zu entnehmen, dass die angesprochenen Verfahrensergebnisse in der Folge im Beweisverfahren vorgeführt (§ 246 StPO) wurden, vielmehr ist dort ausdrücklich festgehalten, dass diese „von der Verlesung ausgenommen sind“. Aus der im Anschluss daran „über Anmerkung des Staatsanwalts“ erfolgten Bekanntgabe des Vorsitzenden, dass die Angaben der Genannten, „die sie in ihrem eigenen Verfahren gemacht haben, der Verwertung zugeführt werden können“ (ON 174 S 3), ist eine Verlesung gleichfalls nicht abzuleiten. Diese Passage gibt bloß eine zufolge unterbliebenen Vorkommens der Aussagen in der Hautverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) verfehlte Rechtsmeinung des Vorsitzenden, nicht tatsächlich Vorgefallenes wider.

Tatsachenwidrige oder unvollständige Protokollierung wurde im Rechtsmittel erneut nicht releviert, womit auch insoweit für den Obersten Gerichtshof keine Veranlassung für ein Vorgehen nach § 285f StPO bestand (vgl erneut § 271 Abs 1 letzter Satz StPO).

Im Übrigen hat der Vorsitzende den als Zeugen zur Hauptverhandlung geladenen Mittätern Anas B***** und Mohamed B*****, deren Großvater „glaublich“ ein Bruder des Großvaters des Angeklagten war, ein Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO eingeräumt (vgl dazu aber § 72 StGB: „ihre Vettern und Basen“ sowie dazu Jerabek in WK² StGB § 72 Rz 8, Triffterer SbgK § 72 Rz 15), welches beide in Anspruch nahmen (ON 109 S 5 und 15 ff iVm ON 92a S 3). Einen mit Nichtigkeit aus Z 4 bewehrten Antrag an den Senat auf Überprüfung der Sachverhaltsgrundlage und Nichtanerkennung des Aussagebefreiungsrechts ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 195) hat der Angeklagte übrigens nicht gestellt.

Erwägungen des Einzelrichters im Ermittlungsverfahren sowie des Oberlandesgerichts in vor Durchführung des gegenständlichen Beweisverfahrens gefassten Beschlüssen über die Fortsetzung der über den Angeklagten verhängten Untersuchungshaft (ON 82, ON 100) stellen keine im Sinn der Z 5 zweiter Fall erörterungsbedürftigen Beweisergebnisse dar. Gleiches gilt für Vorbringen des Verteidigers von Anas B***** und Mohamed B***** in einem Schriftsatz in dem gegen die Genannten geführten Verfahren (ON 91).

Die Passage aus den Angaben des Tatopfers Paolo D*****, er habe den Angeklagten noch nie gesehen (ON 123 S 5), steht mit Blick auf dessen weitere Depositionen, nach denen er keinen der Täter des Raubüberfalls gesehen habe, weil es in der gesamten Wohnung „stockdunkel“ gewesen sei (ON 8 S 43 iVm ON 123 S 5, 9), nicht im Widerspruch zu den Urteilsannahmen hinsichtlich der Täterschaft des Beschwerdeführers. Zu einer gesonderten Auseinandersetzung mit diesem von der Rüge als übergangen reklamierten (erneut Z 5 zweiter Fall) Aussagedetail bestand demnach ebenfalls keine Verpflichtung.

Das auf erstmals mit der Beschwerdeschrift vorgelegte Urkunden gestützte weitere Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das im Nichtigkeitsverfahren geltende (auch in der Rüge zugestandene) Neuerungsverbot auf sich zu beruhen ( Ratz , WK StPO Vor §§ 280 296a Rz 14; RIS Justiz RS0099699, RS0098978 [insbesondere T6]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.