JudikaturJustiz14Os139/14v

14Os139/14v – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Tischler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz S***** wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 27 St 58/13x der Staatsanwaltschaft Graz, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang im Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11. März 2014, AZ 21 Bl 3/13m (ON 9 des Ermittlungsakts) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

Spruch

Die im Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11. März 2014, AZ 21 Bl 3/13m (GZ 27 St 58/13x 9 der Staatsanwaltschaft Graz), geäußerte Rechtsansicht, wonach eine beharrliche Verfolgung durch Aufsuchen der räumlichen Nähe einer Person nicht widerrechtlich sei, wenn sie auf der eigenen Liegenschaft erfolgt, verletzt § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Die

Staatsanwaltschaft Graz

führte zu AZ 27 St 58/13x soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ein Ermittlungs-verfahren gegen Franz S***** (unter anderem) wegen des

Verdachts des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a (zu ergänzen:) Abs 1 und 2 Z 1 StGB.

Dem Verfahren lag eine Sachverhaltsdarstellung der Familie P***** zugrunde, wonach Franz S***** diese „seit Monaten bzw […] Jahren“ soweit hier von Relevanz - beharrlich verfolge, indem er, sobald er die Familienmitglieder (insbesondere die vier minderjährigen Kinder vorzugsweise beim Besteigen oder Verlassen des Schulbusses) wahrnimmt, „vor seinen Hof tritt und mit lauter Stimme die Vorwürfe [nämlich seine Ansicht, nicht der Ehegatte von Ingrid P*****, Kurt P*****, sondern dessen Bruder Hans P***** sei der leibliche Vater der Kinder] in [deren] Richtung […] ruft“, wobei „in aller Regel […] eine Ortsveränderung des Verdächtigen notwendig“ sei (ON 2). Die Anzeiger präzisierten die Tatvorwürfe in weiterer Folge dahin, dass Franz S***** der Familie P***** sowohl auf seiner Liegenschaft als auch auf öffentlicher Straße nachstelle (ON 4).

Mit Beschluss vom 11. März 2014, AZ 21 Bl 3/13m (ON 9 des Ermittlungsakts), wies das Landesgericht für Strafsachen Graz den von Ingrid P***** gestellten Antrag auf Fortführung des am 24. Juli 2013 von der Staatsanwaltschaft gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellten (ON 1 [richtig:] S 5) Ermittlungsverfahrens (unter anderem) mit der Begründung ab, dass der Beschuldigte solange er sich auf seiner Liegenschaft bewege sein Eigentumsrecht ausübe, „sodass seine Bewegungen nicht wie von § 107a StGB verlangt widerrechtlich“ seien. Das „störende Verhalten, das (auch unter dem Gesichtspunkt einer 'Beeinträchtigungseignung') auf seine strafrechtliche Relevanz zu prüfen“ sei, liege „im Schreien des Beschuldigten (und nicht in dessen Bewegungen auf seinem Grundstück)“ und sei daher nicht tatbildlich im Sinn des § 107a StGB (ON 9 S 4 f).

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht diese Rechtsansicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe zu bestrafen, wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt ihre räumliche Nähe aufsucht.

Der Begriff „widerrechtlich“ stellt wie beim Tatbestand der Freiheitsentziehung nach § 99 StGB einen Hinweis auf (weil es sich bei den Tathandlungen auch um an sich sozialadäquate Verhaltensweisen handeln kann) häufiger als sonst in Betracht zu ziehende Rechtfertigungsgründe dar, ohne ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal zu begründen (vgl ErläutRV 1316 BlgNR 22. GP 4; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107a Rz 27; Wach , SbgK § 107a StGB Rz 67, 72).

Unter „Aufsuchen der räumlichen Nähe“ wiederum ist jede vom Willen des Täters getragene unmittelbare physische und für das Opfer wahrnehmbare Kontaktaufnahme mit diesem (insbesondere durch Auflauern, Vor-dem-Haus-Stehen und sonstige häufige Anwesenheit etwa in der Nähe seiner Wohn oder Arbeitsstätte) zu verstehen (ErläutRV 1316 BlgNR 22. GP 5; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107a Rz 15 ff; Wach , SbgK § 107a StGB Rz 25; Fabrizy , StGB 11 § 107a Rz 3). Ob sich der Täter an der Tatörtlichkeit rechtens oder gesetzwidrig aufhält, ist für die Verwirklichung des Tatbestands nicht maßgeblich.

Demnach steht der Umstand, dass sich jemand bei der physischen Kontaktaufnahme auf seiner eigenen Liegenschaft befindet, dem Tatbildmerkmal des widerrechtlichen Aufsuchens der räumlichen Nähe einer Person a priori nicht entgegen, stellt er doch für sich betrachtet keinen Rechtfertigungsgrund dar. Die vom Landesgericht für Strafsachen Graz geäußerte Rechtsansicht verletzt daher § 107a Abs 1 und 2 Z 1 StGB.

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereichte dem (vormals) Beschuldigten nicht zum Nachteil, weshalb es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat.