JudikaturJustiz14Os120/23p

14Os120/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. März 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Strafsache gegen H* E* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten H* E* und S* E* gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 14. Juli 2023, GZ 79 Hv 82/22y-298a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten H* E* und S* E* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Relevanz – H* E* und S* E* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 (zu ergänzen:) fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A.I.1.), H* E* darüber hinaus der Vergehen der Nötigung nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 105 Abs 1 StGB (B.; zum Erfolgseintritt siehe aber zu B.1. US 13) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in K* und andernorts

A.I.1. H* E* und S* E* „im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter“ von 2016 bis zum 11. Mai 2021 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25 Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 107.225 Gramm Heroin mit einer Reinsubstanz von 7.923,92 Gramm Heroin-Base (2.641,30 fache Grenzmenge) und 20.350 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 3.487,99 Gramm Cocain-Base (232,53 fache Grenzmenge) an im Urteil genannte bekannte und an unbekannte Personen überwiegend entgeltlich und gewinnbringend überlassen, wobei sie von Anfang an mit dem Vorsatz einer kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Tatzeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt handelten;

B. H* E* dazu bestimmt, * A* durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zum Verschweigen von belastenden Angaben gegen seine Person und S* E* vor den Strafverfolgungsbehörden zu nötigen, indem er

1. „zu einem unbekannten Tatzeitpunkt vor dem 13. Dezember 2021“ nicht bekannte Männer tschetschenischer Abstammung aufforderte, A* aufzusuchen und ihm auszurichten, dass ihm und seiner Familie etwas passiere, nämlich „abgeschlachtet“ zu werden, wenn er bei seinen Vernehmungen vor den Strafverfolgungsbehörden den Namen des Erstangeklagten erwähne und ihn belaste,

2. am 4. Juni 2022 * W* aufforderte, A* auszurichten, dass er Probleme bekommen werde, wenn er vor Gericht über H* (gemeint: E*) oder S* (gemeint: E*) irgendwelche belastenden Angaben mache, wobei die Tat des unmittelbaren Täters beim Versuch blieb.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen A.I.1. und B. des Schuldspruchs richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H* E*, gegen A.I.1. die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten S* E*.

[4] Zum besseren Verständnis wird vorausgeschickt, dass H* E* und S* E* – nach dem Urteilssachverhalt – den gemeinsamen Tatentschluss fassten, ihren Lebensunterhalt und ihre Drogensucht durch arbeitsteiligen Verkauf von Drogen im großen Stil zu finanzieren (US 7 f). Während H* E* im Folgenden den Großteil des tatverfangenen Suchtgifts an im Urteil genannte bekannte und an unbekannte Personen überließ, beteiligte sich S* E* an dessen Suchtgifthandel insbesondere dadurch, dass sie gemeinsam mit H* E* von August 2020 bis März 2021 eine von ihnen als Suchtgiftbunker verwendete Wohnung anmietete (US 26) und von Mitte Februar 2021 bis zum 11. Mai 2021 ihr Fahrzeug zum Zwecke der Aufbewahrung des Suchtgifts zur Verfügung stellte (US 19, 26). Im Zeitraum August 2020 bis 4. Dezember 2020 überließen H* und S* E* „im bewussten und gewollten Zusammenwirken“ (unter anderem) eine die Grenzmenge um das 25 Fache übersteigende Menge Heroin an * M* (US 9 iVm US 42). Zudem verständigte S* E* vereinzelt * Mo*, einen „Subdealer“ der beiden Angeklagten, telefonisch, wenn das Suchtgift abholbereit war (US 22). In zwei Fällen führte sie ein gleichgelagertes Gespräch mit * Ma*, einem weiteren „Subdealer“ (US 31 f, 44). Weiters überließ sie eigenhändig Suchtgift an * P* und * S* (US 9 iVm US 32 f). Der Vorsatz der beiden Angeklagten war (erkennbar: von vornherein) auf kontinuierliches Überlassen von Heroin und Kokain in Teilmengen und den daran geknüpften Additionseffekt gerichtet. Zudem umfasste ihr Vorsatz das Übersteigen der Grenzmenge (§ 28b SMG) um das 25 Fache (US 10).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des H* E*:

[5] Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge bekämpfbar, als sie (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsachen betreffen (RIS Justiz RS0117499). Solche spricht die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zu A.I.1. mit Blick auf die oben wiedergegebenen Feststellungen zur Begehung sämtlicher von diesem Schuldspruch umfassten Suchtgiftübergaben im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (US 10) mit dem Einwand fehlender und offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zum Tatzeitraum von 2016 bis Anfang 2019 (einschließlich der insoweit tatverfangenen Suchtgiftmenge und des darauf gerichteten Vorsatzes) nicht an, weil die Feststellungen zu den danach von Anfang 2019 bis Mai 2021 überlassenen, vom Vorsatz des H* E* umfassten Suchtgiftmengen die Subsumtion nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG tragen (US 8 ff; RIS-Justiz RS0127374).

[6] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell Z 5) zu A.I.1. Feststellungen dazu vermisst, auf „welchen genauen Zeitraum[,] welche Suchtgiftmenge und welche Abnehmer“ sich die subjektive Tatseite bezieht, übergeht sie die genau dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 10; vgl aber RIS-Justiz RS0099810). Sollte das Vorbringen dahingehend zu verstehen sein, dass diese Feststellungen offenbar unzureichend oder – wie an anderer Stelle der Beschwerde eingewendet – gar nicht begründet sind (Z 5 vierter Fall), ist zu erwidern, dass die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen und dem Teilgeständnis des H* E* (US 47) nicht gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstößt (RIS-Justiz RS0118317, RS0116882).

[7] Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) zu A.I.1. unter Hinweis auf die Besetzung des Schöffengerichts nach § 32 Abs 1 letzter Satz StPO Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts vorbringt und eine Verletzung des Zweifelsgrundsatzes geltend macht, verfehlt sie den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS-Justiz RS0119583, RS0117961, RS0102162). Gleiches gilt für die Kritik an der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen * K* (US 38 f) und * Ac* (US 33) sowie allgemein jener Zeugen, die ihre Aussage zwischen Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung geändert haben (vgl RIS-Justiz RS0099419).

[8] Schließlich bekämpft die weitere Rüge mit eigenständigen Erwägungen zu einer Videodatei und (durch „Reinschriften“ belegten) Inhalten von Gesprächen (unter anderem) des H* E* bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter, die diese Verfahrensergebnisse als „inszeniert“ und somit den Angeklagten nicht entlastend qualifizierten (US 28 ff; vgl aber erneut RIS-Justiz RS0119583).

[9] Indem die Beschwerde zu B. den Feststellungen eine eigene Darstellung des Sachverhalts gegenüberstellt, zeigt sie einen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 nicht auf, sondern bekämpft sie bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der S* E*:

[10] Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht nicht dazu verhalten, auf die Angaben des H* E* zur Gewahrsame am Schlüssel des „Bunkerfahrzeugs“ näher einzugehen, weil es seine Verantwortung zur Beteiligung der S* E* als unglaubwürdig verwarf (US 16, 18 ff; vgl RIS-Justiz RS0098642 [T1, T2]).

[11] Ob auch S* E* selbst (tatverfangenes) Suchtgift an * Mo* überließ, betrifft mit Blick auf die oben wiedergegebenen Feststellungen zu ihren Beitragshandlungen lediglich die Beteiligungsform (§ 12 StGB), sohin keine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache (vgl RIS Justiz RS0013731). Der dazu erhobene Einwand unvollständiger oder fehlender Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) verfehlt daher den gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl erneut RIS Justiz RS0117499).

[12] Welchen Begründungsmangel der Einwand, aus einzeln angeführten Verfahrensergebnissen sei zu schließen, dass sich S* E* lediglich „aushilfsweise“ an der strafbaren Handlung des H* E* beteiligt und sie selbst kein Suchtgift an „größere Abnehmer und Subdealer“ überlassen habe, geltend macht, legt die Beschwerde nicht deutlich und bestimmt dar. Gleiches gilt für die Behauptungen, S* E* sei wegen ihrer Tätigkeit als Kellnerin nicht immer bei den Suchtgiftübergaben anwesend gewesen und aus einem vom Erstgericht (auch) zur Begründung der Täterschaft der Angeklagten herangezogenen (US 44) Wortprotokoll eines Telefongesprächs zwischen H* E* und seinem Bruder ergebe sich keine Involvierung der S* E* in einen Suchtgifthandel großen Stils. Das Vorbringen erschöpft sich im Wesentlichen darin, den Feststellungen (soweit erkennbar) zum Überlassen von Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28a Abs 4 Z 3 SMG um ein Vielfaches übersteigenden Menge (US 8 f) isoliert herausgegriffene Verfahrensergebnisse gegenüberzustellen und diese nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) anhand eigener Schlussfolgerungen infrage zu stellen.

[13] Ähnlich verhält es sich mit der Kritik, die Verwendung des Fahrzeugs der S* E* als Suchgiftbunker, ihre bloß vereinzelte Beteiligung an den „Suchtgiftaktivitäten“ des H* E* und die von B* bestätigte Tätigkeit des Mo* als „Subdealer“ allein des H* E* würden die Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der Menge des überlassenen Suchtgifts (US 10) nicht ausreichend indizieren, wobei auch hier das Fehlen von Beweisergebnissen für das Überlassen von Suchtgift an größere Abnehmer oder „Subdealer“ durch S* E* zu berücksichtigen sei. Denn damit greift die Beschwerde abermals die tatrichterliche Beweiswürdigung an.

[14] Mit der Behauptung, zwischen den erstgerichtlichen Erwägungen, dass die Zweitangeklagte durch die Aussage des A* über fehlende Wahrnehmungen zum Verkauf von Suchtgift durch S* E* nicht „exkulpier[t]“ sei, weil sie zum Überlassen des Suchtgifts durch H* E* (auch) beigetragen habe (US 45), und der Wiedergabe der Aussage des A* an einer anderen Stelle des Urteils (US 24 ff), wird der (nominell) geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der Z 5 dritter Fall ebenso wenig aufgezeigt wie mit dem Hinweis, dass die Aussage des Zeugen (im Übrigen von der Beschwerde gar nicht genannte) Widersprüche enthalten würde (vgl RIS Justiz RS0119089).

[15] Indem die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall, nominell Z 5) eine unzureichende Begründung der (nach dem Beschwerdevorbringen für „das Strafmaß wesentlichen“) Feststellungen zum Ausmaß des Überschreitens der Mengenqualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG moniert, erstattet sie bloß ein Berufungsvorbringen (vgl RIS-Justiz RS0099869 [insbes T16]).

[16] Der im Zusammenhang mit dem festgestellten Tatzeitraum erhobene Einwand des Fehlens einer Begründung zur Höhe der erlangten Vermögenswerte (Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter Fall) übergeht die Gesamtheit der Entscheidungsgründe, wonach sich das Erstgericht bei Feststellung des Beginns der Tathandlungen auf die Aussage des A* gestützt hat (insbes US 18 f; vgl aber RIS Justiz RS0119370). Die dazu geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit dieser Urteilskonstatierungen stellen ein Berufungsvorbringen dar.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (auch gegen den Ausspruch über den Verfall gerichteten) Berufungen folgt (§ 285i StPO). Dieses wird zu beachten haben, dass dem Verfallsausspruch nicht geltend gemachte, beiden Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet, weil das Erstgericht eine unzulässige Solidarhaftung angeordnet hat (RIS Justiz RS0129964).

[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.