JudikaturJustiz13Os83/18g

13Os83/18g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen ***** L***** und andere Beschuldigte wegen des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 6 St 60/15t der Staatsanwaltschaft Linz, über die Anträge des ***** L***** und der L***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Am 4. April 2017 stellte die Staatsanwaltschaft Linz das zu AZ 6 St 60/15t gegen ***** L***** und andere Beschuldigte wegen des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 2 StPO ein.

Während des Ermittlungsverfahrens waren von einer unbekannten Person, angeblich von einem ehemaligen Mitarbeiter der Antragstellerin, aus der L ***** GmbH stammende Daten auf Datenträgern gespeichert und diese unaufgefordert der Staatsanwaltschaft, den Sicherheitsbehörden, dem Bundesministerium für Justiz (nunmehr Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz) und anderen übermittelt worden.

Die nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens von ***** L***** und der L ***** GmbH beantragte Löschung dieser Daten verweigerte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf (rechtskräftige) Entscheidungen des Oberlandesgerichts Linz vom 3. Februar 2016 (ON 747 bis 749) und vom 25. November 2016 (ON 815) mit der Begründung, dass nach diesen Entscheidungen weder die in Rede stehenden Datenträger in Umgehung des § 144 Abs 2 StPO rechtswidrig beschafft worden sind, noch eine Verpflichtung zu deren Herausgabe oder zur Löschung der darauf gespeicherten Daten besteht (ON 840 und 849).

Mit gemeinsam ausgeführtem Schriftsatz vom 8. August 2017 erhoben ***** L***** und die L ***** GmbH Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 StPO), in welchem sie vorbrachten, durch das Unterlassen der amtswegigen Löschung der in Rede stehenden Daten seit dem 27. Juni 2017 fortdauernd in ihrem subjektiven Recht auf Löschung von Daten gemäß §§ 74, 75 StPO iVm § 27 DSG 2000 verletzt zu werden. Mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens sei der Verwendungszweck jedenfalls weggefallen, eine Archivierung der primär unter Verletzung schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen verarbeiteten Daten unzulässig (ON 845). Gegen die Abweisung ihrer Löschungsanträge brachten ***** L***** und die L ***** GmbH am 30. August 2017 und am 5. September 2017 weitere Einsprüche wegen Rechtsverletzung ein (ON 851 und 853).

Mit Beschluss vom 2. Oktober 2017 (ON 857) wies die Einzelrichterin des Landesgerichts Linz zu AZ 19 HR 217/15g sämtliche Einsprüche mit der Begründung als unzulässig zurück, dass Rechtsverletzungen nicht während, sondern erst nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens behauptet werden (ON 857).

Den dagegen gerichteten Beschwerden des ***** L***** und der L ***** GmbH gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 27. Dezember 2017, AZ 7 Bs 183/17m, nicht Folge (ON 860). Die rechtliche Zulässigkeit der Archivierung der Daten ergebe sich aus § 75 StPO, der die endgültige Löschung der Daten nach 60 Jahren anordne. Auch aus der Bestimmung des § 27 DSG 2000 lasse sich keine Verpflichtung zur Löschung der in Rede stehenden Daten ableiten. Mit Blick auf die Möglichkeit einer (gemeint) Fortführung des Verfahrens müsse der Verfahrensverlauf vielmehr dokumentiert bleiben. Ein überwiegendes Interesse der Beschwerdeführer an der Löschung der gesetzeskonform erlangten Daten gegenüber dem öffentlichen Interesse an deren weiterer Speicherung sei in Anbetracht der Bedeutung der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Delinquenz nach § 256 StGB nicht zu erblicken. Der aufgetragenen Verpflichtung, das anwaltliche Berufsgeheimnis zu wahren, sei die Staatsanwaltschaft bisher „akribisch“ nachgekommen. Das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen den in Rede stehenden Daten und den vom Ermittlungsverfahren umfassten Straftaten verneinte das Oberlandesgericht Linz. Soweit sich die Beschwerden auf die Einsprüche wegen Rechtsverletzung vom 30. August 2017 (ON 851) und vom 5. September 2017 (ON 853) bezogen, bestätigte es die Rechtsauffassung des Erstgerichts.

Dagegen richten sich die – parallel zu einer Antragstellung nach § 85 GOG (aF) in einem gemeinsamen Schriftsatz ausgeführten – Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens des ***** L***** sowie der L ***** GmbH, in welchen Eingriffe in die Garantien des Art 8 MRK und des § 1 DSG 2000 behauptet werden und die Feststellung begehrt wird, dass der „Beschluss des Landesgerichts Linz vom 15. 10. 2015“ und der „Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. 12. 2017 Art 8 EMRK“ verletzen, weshalb den Gerichten insofern die Verfahrenserneuerung aufgetragen werden möge.

Rechtliche Beurteilung

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens sind nicht zulässig:

Für den subsidiären Rechtsbehelf eines nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrags gelten alle gegenüber diesem Gerichtshof normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS Justiz RS0122737). Damit kann insoweit auch der Oberste Gerichtshof erst nach Ausschöpfung des Instanzenzugs (Art 35 Abs 1 EMRK) angerufen werden. Diesem Erfordernis wird – soweit hier von Interesse – nur dann entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung; RIS Justiz RS0122737 [T13]).

Ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, hat auch deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359). Soweit er – auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe – nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag, hat er seiner Argumentation die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zugrunde zu legen (RIS Justiz RS0125393 [T1]).

Diesen Anforderungen werden die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nicht gerecht.

Soweit sie sich gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 15. Oktober 2015 wenden, waren sie mangels vertikaler Erschöpfung des Instanzenzugs zurückzuweisen.

Die Frage nach der rechtskonformen Erlangung der in Rede stehenden Datenträger ist nicht Gegenstand der Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz vom 27. Dezember 2017 und kann demzufolge auch mit den gegen diese Entscheidung gerichteten Anträgen auf Erneuerung des Strafverfahrens nicht releviert werden.

Die Rechtmäßigkeit der Erlangung der Datenträger sprach das Oberlandesgericht vielmehr – wie auch im angefochtenen Beschluss vom 27. Dezember 2017 hervorgehoben – bereits mit seinen Entscheidungen vom 3. Februar 2016, AZ 7 Bs 174/15k, 7 Bs 175/15g, und vom 25. November 2016, AZ 7 Bs 91/16f, aus. Diese wurden dem von der L ***** GmbH vertretenen ***** L***** am 23. Februar 2016 und am 5. Dezember 2016 zugestellt. Mit am 24. Februar 2016 zugestelltem Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 3. Februar 2016, AZ 7 Bs 182/15m, 7 Bs 186/15z (ON 748), wurde eine gegen eine die Sicherstellung der Datenträger betreffende Entscheidung gerichtete Beschwerde der L ***** GmbH abgewiesen.

Ein (wie hier) ohne Änderung der Verhältnisse erhobenes, denselben Entscheidungsgegenstand betreffendes Erneuerungsbegehren derselben Beteiligten wäre selbst dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn vom Oberlandesgericht neuerlich meritorisch entschieden worden wäre. In dieser Konstellation läuft die sechsmonatige Frist für den Erneuerungsantrag (Art 35 Abs 1 MRK) nämlich ab der letztinstanzlichen Entscheidung zum Erstantrag (RIS-Justiz RS0122736 [T11]).

Soweit die Erneuerungswerber reklamieren, dass ihnen ein Widerspruchsrecht nach § 112 StPO zugestanden wäre, lassen sie ebenso wenig einen Bezug zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung erkennen.

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Archivierung der Daten bei Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft entfernen sich die Erneuerungsanträge von der Sachverhaltsbasis der bekämpften Entscheidung. Danach ist ein Zusammenhang der in Rede stehenden Daten mit den im Ermittlungsverfahren inkriminierten Sachverhalten zu bejahen, die sichere Aufbewahrung der Datenträger leicht zu bewerkstelligen und die Staatsanwaltschaft der ihr obliegenden Verpflichtung, die Berufsgeheimnisse von Amts wegen zu wahren, bisher gewissenhaft nachgekommen (BS 8). Da die Anträge diesbezüglich weder Begründungsmängel aufzeigen noch erhebliche Bedenken wecken, entziehen sie sich somit – wie dargelegt – auch insoweit einer inhaltlichen Erwiderung.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde erst nach dem 27. Dezember 2017 eingesetzt. Die Behauptung der Weiterleitung von Daten an diesen Ausschuss scheidet hier somit schon von vornherein als Argumentationsbasis aus.

Die Anträge waren daher gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.