JudikaturJustiz13Os72/15k

13Os72/15k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. August 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zechner als Schriftführer in der Strafsache gegen Gottfried W***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 27. Februar 2015, GZ 631 Hv 1/15s 24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gottfried W ***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in R *****

(I) im Frühling 2010 in zumindest sieben Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen, nämlich Handverkehr, an dem am 1. August 1996 geborenen, sohin unmündigen Dominik C***** vorgenommen und von diesem an sich vornehmen lassen ;

(II) nach dem 1. August 2010 in zwei Angriffen Dominik C***** mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich des Analverkehrs, genötigt, indem er ihn mit beiden Armen umklammerte und mit dem Gewicht seines Körpers fixierte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5, 5a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Diese geht fehl.

Nominell aus Z 3 und 5a wendet der Beschwerdeführer - unter gleichzeitiger Vorlage eines in dem ihn betreffenden Sachwalterschaftsverfahren (AZ 5 P 6/15d des Bezirksgerichts Hollabrunn) erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 21. April 2015 ein, an einer Intelligenzminderung zu leiden. Aus diesem Grund habe er der Hauptverhandlung nicht hinreichend folgen können, sodass Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen sei. Diesbezügliche „Zweifel“ hätten schon in der Hauptverhandlung bestanden, sodass die vom Erstgericht jedoch versäumte amtswegige Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fach der Neurologie und Psychiatrie zur Klärung der angesprochenen sowie der weiteren Frage geboten gewesen wäre, ob der Angeklagte „zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig“ gewesen sei.

Die Verletzung oder Missachtung einer Vorschrift, deren Einhaltung in der Hauptverhandlung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet (Z 3), wird damit nicht behauptet (RIS-Justiz RS0097803 [insbesondere T3]; vgl auch RS0117395; 14 Os 17/03 SSt 2003/10; Schwaighofer , WK StPO § 275 Rz 23). Auf einen Antrag des (durch einen Verteidiger vertretenen) Angeklagten, dem das Schöffengericht nicht entsprochen hätte (Z 4; dazu Ratz , WK StPO § 281 Rz 302, 309), beruft sich die Beschwerde aktenkonform ebenso wenig.

Unter dem Aspekt der als Aufklärungsrüge gegenüber Z 4 subsidiären Z 5a mangelt es bereits an einem Vorbringen, wodurch der Nichtigkeitswerber in der Hauptverhandlung an entsprechender Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823). Deren Nachtrag in den Beschwerdegründen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS Justiz RS0106657).

Gegen das Neuerungsverbot verstößt auch die auf den Inhalt des vom Beschwerdeführer (erstmals) mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten, oben erwähnten Sachverständigengutachtens gestützte Argumentation ( Ratz , WK-StPO Vor §§ 280-296a Rz 14; RIS-Justiz RS0099699, RS0099708, RS0098978 [insbesondere T6]). Hinzugefügt sei, dass dieses dem Angeklagten eine lediglich leichte Intelligenzminderung attestiert, die sein Sprachverständnis und sein Auffassungsvermögen reduziert, aber keineswegs ausschaltet (zu den Voraussetzungen von Verhandlungsunfähigkeit iSd § 275 StPO vgl dagegen Ratz , WK-StPO § 281 Rz 378 f; RIS-Justiz RS0098977; zur Zurechnungsunfähigkeit Fabrizy , StGB 11 § 11 Rz 1a).

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider hat das Erstgericht seine den Schuldspruch II tragenden Feststellungen unter differenzierter Würdigung der Angaben des Opfers (US 8 f), Miteinbeziehung der übrigen Verfahrensergebnisse und Anwendung von Vernunfts- und Erfahrungssätzen willkürfrei (Z 5 vierter Fall) aus der umfassend geständigen Verantwortung des Angeklagten abgeleitet (US 5 ff), die daher gerade nicht „unerörtert“ (Z 5 zweiter Fall) blieb.

Welche vom Schöffengericht nicht ohnedies getroffenen (US 4 f) Feststellungen zum Ablauf einer der vom Schuldspruch II erfassten Taten zur rechtlichen Beurteilung aus ihrer Sicht erforderlich gewesen wären (der Sache nach Z 9 lit a), sagt die Beschwerde nicht (siehe aber RIS-Justiz RS0095939, RS0118342).

Soweit sie die tatrichterlichen Konstatierungen zur Gewaltanwendung und zum fehlenden Einverständnis des Opfers (Schuldspruch II) anhand eigenständig entwickelter Überlegungen in Frage stellt („nicht ganz nachvollziehbar“, „vielmehr davon auszugehen“, „nicht lebensnah“), bekämpft sie wie mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (RIS Justiz RS0117445 [T2]) und der Behauptung, der Angeklagte habe seine Angaben anders „gemeint“, als er sie „formuliert“ habe (vgl RIS-Justiz RS0092588) in unzulässiger Weise die dem Schöffensenat vorbehaltene Beweiswürdigung.

Mit dem Verweis auf das Vorbringen der wesensmäßig verschiedenen Mängelrüge „aus Vorsichtsgründen“ bezeichnet die Tatsachenrüge (Z 5a) diesen Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt (RIS Justiz RS0115902; vgl auch RS0116733).

Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit b), dem Angeklagten komme der Schuldausschließungsgrund nach § 11 StGB zustatten, setzt sich über die dem entgegenstehende Urteilsannahme seiner „Zurechnungs-fähigkeit“ zu den Tatzeiten (US 8) hinweg. Sie verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 584, 593) .

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.