JudikaturJustiz13Os69/16w

13Os69/16w – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Thomas K***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und b, Abs 3 lit c FinStrG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Franz L***** und Dragan V***** gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 15. Dezember 2015, GZ 35 Hv 4/14x 607a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten Franz L***** und Dragan V***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Franz L***** und Dragan V***** je des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und b, Abs 3 lit c FinStrG (idF BGBl I 2010/104) schuldig erkannt.

Danach haben Dragan V***** und Franz L***** in Salzburg und anderen Orten im bewussten und gewollten Zusammenwirken vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige , Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten als faktische Geschäftsführer der S***** GmbH (S*****), St***** GmbH (St*****), C***** GmbH (C*****), M*****gmbH (M*****) und S.***** GmbH (S.*****) die ordnungsgemäße Anzeige und Abfuhr der Mineralölsteuer unterlassen, in dem sie veranlassten, dass aus Polen oder anderen Ländern stammendes Schmieröl des KN Codes 2710 1999 (US 19) anlässlich einzelner im Urteil genau bezeichneter Liefervorgänge nach Österreich verbracht und an verschiedene Abnehmer im Steuergebiet als „Dieselkraftstoff“ (US 26) verkauft wurde, und dadurch Verkürzungen an Mineralölsteuer bewirkt, wobei sie falsche Beweismittel, Scheingeschäfte oder andere Scheinhandlungen (§ 23 BAO) verwendeten und einen Abgabenbetrug mit einem 500.000 Euro übersteigenden strafbestimmenden Wertbetrag begingen, und zwar

Dragan V***** in Ansehung einer im Zeitraum vom 11. April 2011 bis zum 7. Mai 2012 in Litern abgegebenen Gesamtmenge von 7.449.711 um 3.166.127,18 Euro und Franz L***** in Ansehung einer im Zeitraum vom 11. April 2011 bis zum 5. März 2012 in Litern abgegebenen Gesamtmenge von 4.727.322 um 2.911.000,76 Euro.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten Franz L***** aus Z 2, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO und vom Angeklagten Dragan V***** aus Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Franz L*****:

Der Verfahrensrüge (nominell Z 2, der Sache nach Z 3) zuwider durften die Angaben des unbekannten Aufenthalts befindlichen Mitangeklagten Slavisa D***** in der Hauptverhandlung am 15. Dezember 2015 (ON 607 S 3) zufolge Vorliegens der Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesen werden. Die nach dem Nichterscheinen des Slavisa D***** in der Hauptverhandlung am 7. September 2015 (ON 560) vom Vorsitzenden ergriffenen Maßnahmen, um dessen Aufenthaltsort auszuforschen (Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung, Fahndung im SIS, Ausschreibung zur Festnahme und Fahndung in den EU Staaten und in europäischen Drittstaaten [ON 587] und Erlassung eines Europäischen Haftbefehls [ON 594]), genügen – bei hier gegebener Erfolglosigkeit – zur Annahme der Unmöglichkeit der Vernehmung des Genannten wegen Unerreichbarkeit sehr wohl (RIS Justiz RS0098248).

Der Erledigung der Mängel- und der Tatsachenrüge ist Folgendes voranzustellen:

Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS Justiz RS0115902).

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse – über schuld oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS Justiz RS0106268). Hievon ausgehend nennt das Gesetz fünf Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen:

Undeutlichkeit im Sinn der

Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn

– nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, somit

aus objektiver Sicht – nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den Beschwerdeführer und

das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder

aus welchen Gründen

die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS-Justiz RS0117995 [insbesondere T3 und T4]).

Unvollständig (

Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn

das Gericht bei der für

die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS-Justiz RS0118316).

Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie

nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der

Z 5 dritter Fall können

die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2

Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1

Z 1 StPO),

die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen,

die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie

die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und

die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (15 Os 51/04, SSt 2004/43; RIS-Justiz RS0119089).

Offenbar unzureichend (

Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung,

die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (14 Os 72/02, SSt 64/39; RIS-Justiz RS0116732 und RS0118317).

Aktenwidrig im Sinn der

Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (11 Os 122/00, SSt 63/112; RIS-Justiz RS0099431).

In Bezug auf alle

fünf Fehlerkategorien ist

die Mängelrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie

die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (11 Os 53/07i, SSt 2007/68; RIS-Justiz RS0119370).

Wo

das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit den Verfahrensergebnissen abstellt (

Z 5 zweiter Fall und

Z 5 fünfter Fall), ist überdies der entsprechende Aktenbezug herzustellen, was bei – wie hier – umfangreichem Aktenmaterial

die genaue Angabe der jeweiligen Fundstelle erfordert (RIS-Justiz RS0124172).

Bei der Lösung von Tatfragen (§ 258 Abs 2 StPO) ist das Gericht nicht nur berechtigt, zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen, welche – wenn sie vertretbar sind – als Akt freier richterlicher Beweiswürdigung mittels Nichtigkeitsbeschwerde unanfechtbar sind ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 449 ff). Solcherart bildet es kein aus Z 5 beachtliches Begründungsdefizit, wenn dem Rechtsmittelwerber die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht überzeugend genug erscheint und aus seiner Sicht aus den Verfahrensergebnissen auch andere, für ihn günstigere Schlüsse denkbar gewesen wären.

Indem der Beschwerdeführer die Mängelrüge auf „§ 281 Abs 1 Z 5a 2.4. und 5. Fall StPO“ stützt, eigenständige Erwägungen zur Aussagekraft von Verfahrensergebnissen anstellt, sich gegen die Überzeugungskraft der ihn belastenden Angaben des Mitangeklagten Slavisa D***** (US 79 ff) wendet und insofern eine „undeutliche“, „unvollständige“, „unzureichende“ und „aktenwidrige“ Begründung behauptet und den Urteilsannahmen seine als Schutzbehauptung verworfene Einlassung (US 61) entgegen hält, zeigt er keinen Begründungsfehler im dargelegten Sinn auf, sondern argumentiert nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Mit den Aussagedivergenzen des Slavisa D***** setzten sich die Tatrichter dem Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider sehr wohl auseinander (US 79 ff).

Da die Mängelrüge angeblich nicht erörterte Verfahrensergebnisse (Z 5 zweiter Fall) nicht durch Angabe der entsprechenden Fundstelle im umfangreichen Aktenmaterial bezeichnet, ist auf das Vorbringen nicht weiter einzugehen (RIS Justiz RS0124172).

Gleiches gilt, soweit die Rüge den Inhalt tatrichterlicher Erwägungen außerhalb der schon dargestellten Anfechtungskategorien kritisiert oder ohne an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (US 66, 69 f, 74 ff, 77, 81) Maß zu nehmen eine unzureichende Begründung der Feststellungen zur faktischen Führung der Geschäfte der schon im Spruch genannten Gesellschaften behauptet.

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird weder ein aus Z 5 noch ein aus Z 5a beachtlicher Begründungsmangel aufgezeigt (RIS Justiz RS0102162, RS0098336).

Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11) wurde die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 19 Abs 5 FinStrG, die zum teilweisen Absehen vom Wertersatz führte (US 102 f), sehr wohl vorgenommen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Dragan V*****:

Zur Vermeidung von Wiederholungen ist der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen zunächst auf das jeweils schon zur Nichtigkeitsbeschwerde des Franz L***** Dargelegte zu verweisen. Darüber hinaus ist ihm zu erwidern:

Eine Zustimmung der Angeklagten zur Verlesung der Angaben des Slavisa D***** war entgegen der Beschwerdeansicht zufolge Vorliegens der Voraussetzungen für die Verlesung nicht erforderlich. Die Behauptung der Verfahrensrüge (Z 3), die Festnahmeanordnung sei erst kurz vor Verhandlungsschluss am 15. Dezember 2015 veranlasst worden, entfernt sich von der Aktenlage (ON 587, ON 594).

Mit dem Einwand, eine bestimmte Feststellung sei „schlichtweg aktenwidrig“, wird der ersichtlich gemeinte Nichtigkeitsgrund der Sache nach gar nicht geltend gemacht (vgl RIS Justiz RS0099431 [insbesondere T15, T16]).

Soweit der Beschwerdeführer im Urteil erörterte Beweisresultate wie die Aussagen von Franz L***** (US 49 ff), Marko V***** (US 53 ff), Dragutin K***** (US 56 ff), Walter Sta***** (US 72 f), Herbert H***** (US 72), Karl I***** (US 41, 72), Gerhard Ko***** (US 41, 72), Herbert Mü***** (US 67), Günther W***** und Adriano R***** (US 78 ff) sowie den Vermerk des Zeugen E***** (US 63 f) wiedergibt und hieraus anhand eigener Beweiswerterwägungen für sich günstige Schlüsse ableitet, wendet er sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Gleiches gilt für die Kritik der Mängelrüge an der tatrichterlichen

Überzeugung von der

Glaubwürdigkeit des Slavisa D***** (siehe aber RIS-Justiz RS0106588).

Welche entlastenden Beweise vom Erstgericht bei der Feststellung welcher entscheidenden Tatsache negiert worden sein sollten, lässt die auch sonst nicht an den Anfechtungskriterien orientierte Mängelrüge offen.

Mit der Behauptung des Fehlens objektiver Beweise und Spekulationen dazu, weshalb D***** ein Geständnis abgelegt habe, lässt der Beschwerdeführer keinen Konnex zum geltend gemachten Nichtigkeitsgrund (Z 5) erkennen.

Indem die Mängelrüge die Feststellungen zu einer im Auftrag des Beschwerdeführers erfolgten Gründung der „C*****“, „M*****“ und „S.*****“ als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet, verlässt sie ebenfalls den vom Nichtigkeitsgrund vorgegebenen Anfechtungsrahmen (RIS Justiz RS0106268).

Die Konstatierung, wonach die Erlöse aus dem Mineralölverkauf von den im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführern in bar behoben wurden und über Slavisa D***** an Dragan V***** gelangten, der die Provision an die Frächter und den Kaufpreis für das bezogene Basisöl bezahlte (US 19, 28 f), gründete das Erstgericht – logisch und empirisch einwandfrei (Z 5 vierter Fall) – auf die darauf bezogenen Schilderungen des Slavisa D***** (US 79 f) sowie die Ergebnisse der Telefonüberwachung (US 70 f).

Indem der Beschwerdeführer die für glaubwürdig befundene Belastungsaussage übergeht, das Vorliegen von tragfähigen Beweisen für seine Tatbeteiligung bestreitet, selektiv Verfahrensergebnisse hervorhebt und dazu eigene Überlegungen anstellt, orientiert er sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS Justiz RS0119370).

Ob der Zeuge Robert P***** gegen Franz L***** Anzeige erstattete oder ob Dragan V***** „Kopf der Organisation“ war, ist unerheblich und scheidet damit als Bezugspunkt der Mängelrüge aus (vgl zur nach Ansicht der Tatrichter fehlenden Überzeugungskraft der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung US 64).

Gleiches gilt sowohl für den keine notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache darstellenden Umstand des Einspeicherns der Telefonnummer des Beschwerdeführers durch den Zeugen Sta***** (US 73 dritter Absatz) als auch für die einer tatrichterlichen Würdigung unterzogenen Angaben des Zeugen Adriano R*****, wie es zur Kontaktaufnahme mit dem Beschwerdeführer kam (US 78 ff).

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) eine Verantwortung des Beschwerdeführers für die Abgabenverkürzungen als faktischer Geschäftsführer ohne Orientierung am Urteilssachverhalt (US 9 ff, 19 ff, 22, 28 ff, 83 f) bestreitet, entzieht sie sich einer meritorischen Erledigung (RIS-Justiz

RS0099810).

Indem sie die „rechtliche Beurteilung“ des Erstgerichts kritisiert und dabei auf die als Schutzbehauptung verworfenen Angaben des Mitangeklagten (US 62) verweist, verfehlt sie gleichfalls den gesetzlichen Bezugspunkt der Anfechtung (RIS-Justiz

RS0099810).

Letztlich lässt auch die unsubstantiierte Kritik an der vom Erstgericht angenommenen Höhe des Verkürzungsbetrags, der als „rechtlich verfehlt“ und „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet wird, keinen Konnex zu einem Nichtigkeitsgrund erkennen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt – bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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