JudikaturJustiz13Os32/20k

13Os32/20k – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin FOI Bayer in der Strafsache gegen Ruslan A***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ruslan A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Jänner 2020, GZ 35 Hv 70/19x 33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten A***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – Ruslan A***** jeweils eines Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (A/I) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B), des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (C) und jeweils eines Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB (D) und nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (E) schuldig erkannt.

Danach hat er am 2. Oktober 2019 in W*****

(A/I) im einverständlichen Zusammenwirken mit Mukharbek A***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Anto M***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld und alkoholische Getränke, weggenommen,

(B) im einverständlichen Zusammenwirken mit Mukharbek A***** eine fremde Sache beschädigt, indem sie Sessel gegen die Rollläden der Eingangstür des Lokals „I*****“ schlugen,

(C) mit Gewalt gegen eine Person Mateo M***** fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er ihm von hinten einen Schlag versetzte, wodurch M***** zu Boden ging und das Bewusstsein verlor, und anschließend dessen Jacke mit Bargeld und dessen Mobiltelefon an sich nahm,

(D) Vujadin G***** durch das Versetzen von Schlägen und Tritten vorsätzlich (US 5) am Körper zu verletzen versucht und

(E) eine Waffe, nämlich ein Springmesser, besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten ist, indem er das Messer bei sich trug.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ruslan A*****.

Die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten A***** zu C (US 5) stützte das Erstgericht auf die für glaubwürdig befundenen Angaben des Tatzeugen Mateo M***** (US 8), jene zu A/I (US 6) leitete es aus der insoweit geständigen Verantwortung des Angeklagten ab (US 7). Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit sind die jeweiligen Ableitungen nicht zu beanstanden.

Der Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) übergeht diese Entscheidungsgründe. Solcherart ist die Mängelrüge (Z 5) nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0119370).

Die Angaben der Zeugin Dragana R***** vor der Polizei wurden vom Erstgericht beim Ausspruch über entscheidende Tatsachen zu D (US 5) als unerheblich beurteilt (US 8). Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt daher in diesem Zusammenhang nicht vor .

Nach den Feststellungen des Erstgerichts führte der Angeklagte A***** ein Springmesser bei sich, obwohl er wusste, dass ihm dies aufgrund eines aufrechten Waffenverbots untersagt war (US 6).

Die Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zur Beschaffenheit des Messers (der Sache nach Z 9 lit a) wird nicht auf der Basis dieser Feststellungen entwickelt. Solcherart entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0099810).

Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zum Mitführen eines „Springmessers“ (US 6) zuwider begegnet deren Ableitung aus der insoweit geständigen Verantwortung des Angeklagten A***** (US 6 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken.

Soweit die Beschwerde aus dem Erfordernis der Urteilsvollständigkeit die Erörterung des polizeilichen Amtsvermerks vermisst, wonach das vom Schuldspruch E umfasste Messer aus technischer Sicht (kein Springmesser, sondern) ein „Einhandklappmesser“ sei (ON 32 S 21 iVm ON 4 S 107 verso), bezieht sie sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände (siehe aber RIS-Justiz RS0106268). In Ansehung der besonderen Öffnungsmechanik stellen nämlich auch solche Messer Waffen im technischen Sinn dar (vgl RIS-Justiz RS0081910 und RS0081914 sowie 11 Os 102/12b), womit die angesprochene Differenzierung aus dem Blickwinkel des § 50 Abs 1 Z 3 WaffG bedeutungslos ist.

Abweichend von der Anklage (ON 5) ging das Erstgericht zugunsten des Angeklagten A***** davon aus, dass er bei der angelasteten vorsätzlichen Beschädigung der Rollläden nicht mit dem Vorsatz handelte, sich durch die Wegnahme und Zueignung fremder beweglicher Sachen unrechtmäßig zu bereichern, und subsumierte den zum Schuldspruch B festgestellten Sachverhalt demzufolge (nicht §§ 15, 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB, sondern) § 125 StGB.

Aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO wendet die Identität von Anklage- und Urteilssachverhalt nicht bestreitende Rüge gegen den Schuldspruch B ein, das Erstgericht habe die abweichende rechtliche Beurteilung ohne vorangehende Information des Angeklagten vorgenommen. Inwieweit die Verteidigung des Angeklagten bei entsprechender Information über die vorgenommene (zu seinen Gunsten ausschlagende) rechtliche Beurteilung eine andere gewesen wäre, erklärt die Rüge nicht, obwohl dies mit Blick auf die weitgehende wechselseitige Überdeckung der in Rede stehenden Tatbilder geboten ist (RIS-Justiz RS0113755 [insbesondere T5, T8 bis T10, T13, T14 und T28] sowie RS0126786). Der ergänzende Einwand, § 129 StGB enthalte auch Tatbestandsvarianten, die keine Gewalt gegen Sachen voraussetzen, nimmt nicht Maß am hier zu beurteilenden Sachverhalt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts zu A/I nahmen die Angeklagten mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Anto M***** etwa 200 Euro sowie alkoholische Getränke weg, obwohl sie wussten, dass es sich um fremde bewegliche Sachen handelte und sie darauf keinen Anspruch hatten (US 6).

Weshalb es insoweit zur Strafbarkeit nach § 127 StGB in subjektiver Hinsicht über die getroffenen Feststellungen hinausgehender Konstatierungen bedurft hätte, versäumt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen (RIS-Justiz RS0116565).

Nach dem Urteilssachverhalt beschädigte der Angeklagte vorsätzlich die Rollläden eines Lokals, dessen er zuvor vom Betreiber verwiesen worden war (US 4).

Soweit die Rechtsrüge ihr Vorbringen nicht auf der Basis dieser Feststellungen entwickelt, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0099810).

Weshalb die Konstatierungen zum vorsätzlichen Mitführen eines Springmessers die Annahme von Waffenbesitz im Sinn des § 50 Abs 1 Z 3 WaffG nicht tragen sollten, obwohl das Gesetz die Innehabung von Waffen deren Besitz grundsätzlich gleichstellt (§ 6 Abs 1 WaffG), entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565).

Eine Anfechtung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO steht nur in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS Justiz RS0118581; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 669), aus welchem Grund die Sanktionsrüge (Z 11) zur Gänze ins Leere geht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt demgemäß dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
2
  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.