JudikaturJustiz13Os139/09d

13Os139/09d – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten, die Berufung der Staatsanwaltschaft und die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 24. Juni 2009, GZ 49 Hv 4/09x-22, sowie die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf und Probezeitverlängerung nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 49 Hv 4/09x des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzt das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 24. Juni 2009 (ON 22) § 32 Abs 1 letzter Satz StPO.

Dieses Urteil, sowie demzufolge auch der unter einem gefasste Beschluss auf Probezeitverlängerung, nicht aber der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht, werden aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Urteils- und Beschlussaufhebung verwiesen.

Text

Gründe:

Peter S***** wurde des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 30. November 2008 in Wiener Neudorf im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Zoran R***** Manuel K***** mit Gewalt gegen eine Person 40 Euro Bargeld, einen Wohnungsschlüssel und ein Mobiltelefon mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen hat, indem er ihn gegen eine Glaswand stieß, mit den Fäusten auf ihn einschlug und ihm Fußtritte versetzte, und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Gemeinsam mit dem Urteil fasste das Erstgericht den Beschluss, vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht abzusehen und die Probezeit zu verlängern. Die Hauptverhandlung wurde am 24. Juni 2009 (gemäß § 276a StPO neu) durchgeführt und das Urteil am selben Tag verkündet (ON 21), wobei das erkennende Gericht aus zwei Richtern und zwei Schöffen zusammengesetzt war (ON 21 S 1).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht diese Gerichtsbesetzung mit dem Gesetz nicht im Einklang. Mit BGBl I 2009/52 wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem Richter und zwei Schöffen besteht, womit das Erstgericht nicht gehörig besetzt war (Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9). Die gegenteilige, im Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen" und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen gewesen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (eingehend Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111-115).

Aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 StPO führt nicht gehörige Gerichtsbesetzung zur Urteilsnichtigkeit aus dem Grund der Z 1, soweit der Beschwerdeführer seiner Rügeobliegenheit nachgekommen ist. Diese wird aber nur dann ausgelöst, wenn der die Nichtigkeit begründende Tatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während der Hauptverhandlung bekannt geworden ist. Dabei muss der Angeklagte auch über die rechtlichen Implikationen eines solchen Sachverhalts wenigstens soweit Bescheid wissen, dass er, auch ohne juristische Fachkenntnis zu besitzen, den (rechtlichen) Sinnzusammenhang als insoweit relevant versteht. Beim Verteidiger kommt es auf die rechtsrichtige Beurteilung im Allgemeinen nicht an, weil bei ihm die erforderlichen Rechtskenntnisse ohne weiteres unterstellt werden können (13 Os 46/06y, SSt 2006/50; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 138). In concreto kann jedoch selbst beim rechtskundigen Verteidiger nicht einfach von der erforderlichen Kenntnis der prozessualen Rechtslage ausgegangen werden, weil die Besetzungsänderung von einem im Rechtsinformationssystem des Bundes zur Verfügung gestellten Einführungserlass begleitet wurde, der den Rechtsanwender über deren Konsequenzen für Hauptverfahren über im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle bereits rechtswirksame Anklageschriften in die Irre führte, ohne den von der Generalprokuratur treffend aufgezeigten Unterschied von Zuständigkeit eines Gerichts und dessen gehöriger Besetzung anzusprechen.

Die in einem Rechtsstaat sonst ohne weiteres zu rechtfertigende Grundannahme, nach der wenigstens professionell damit befassten Personen Kenntnis sowohl der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften als auch deren systematischen Zusammenhangs zuzusinnen ist, wird im Übrigen seit Inkrafttreten des StPRefG am 1. Jänner 2008 durch Anpassungsgesetzgebung und mehrfach unterjährige, stets über den gesamten Regelungsbereich der StPO verstreute Novellierungen für das anzuwendende Strafprozessrecht zunehmend in Frage gestellt, worauf der Oberste Gerichtshof bei seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Urheberrechtsgesetz, das Markenschutzgesetz 1970, das Patentgesetz 1970, das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz und das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geändert werden sollen, mit Nachdruck hinzuweisen sich veranlasst gesehen hat (1 Präs. 1617-3686/09h).

Da fallbezogen überdies die in Rede stehende Rechtsfrage nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 21) nicht erörtert worden ist, kann die Kenntnis der wahren Rechtslage auch beim rechtskundigen Verteidiger hier nicht ohne weiteres unterstellt werden. Somit ist auch nicht davon auszugehen, dass dieser die Rüge des Besetzungsmangels bewusst unterlassen hat (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 133).

Mit Blick auf die Bestimmung des § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof daher veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen. Die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Rechtsmitteln auf die Kassation der damit angefochtenen Entscheidungen zu verweisen.

Rechtssätze
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