JudikaturJustiz13Os127/05h

13Os127/05h – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. März 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. März 2006 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ludwig E***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 1. August 2005, GZ 39 Hv 81/05v-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch

4. (wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB) sowie im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ludwig E***** zu 1. 2. und 3. „des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1, 15 StGB" (richtig: zu 1. und 2. der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen - siehe auch Kopf des Ersturteils - nach § 207 Abs 1 StGB und zu 3. des Verbrechens des versuchten sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB) sowie zu 4. des Vergehens (richtig: der Vergehen) der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er

1. im Herbst 2000 in P***** an dem am 1. Juni 1987 geborenen, mithin unmündigen, Mario L***** in zwei Fällen durch Betasten seines Geschlechtsteils über der Kleidung, eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen;

2. im Winter 2002/2003 in H***** an dem am 25. August 1991 geborenen, mithin unmündigen, Christian L***** in zwei Fällen durch Betasten seines Geschlechtsteils, wobei er jeweils die Vorhaut vor- und zurückgeschoben hat, eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen;

3. Anfang August 2004 in H***** versucht, an dem am 25. August 1991 geborenen Christian L***** durch Betasten seines Geschlechtsteils eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorzunehmen;

4. von Sommer 2002 bis Ende Mai 2003 in H***** dadurch, dass er sich als Musikschullehrer mit dem am 1. Juni 1987 geborenen, mithin noch nicht 16-jährigen Mario L***** einmal wöchentlich Pornofilme anschaute, „dessen Hose hinunterstreifte und ihn mit der Hand bis zum Samenerguss befriedigte", mithin eine Handlung, die geeignet war, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Person unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer (zu ergänzen [vgl US 7 erster Absatz]: seiner Ausbildung unterstehenden) Person unter sechzehn Jahren vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die aus den Z 5, 5a, 9 (zu ergänzen: lit a) und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ludwig E*****, die hinsichtlich Faktum 4. berechtigt ist, im Übrigen fehl geht. Zu Faktum 4. verweist der Beschwerdeführer in seinem - undifferenziert auf Z 5 und Z 5a gestützten - Vorbringen zutreffend auf die Aussage des Zeugen Mario L*****, wonach die Besuche beim Angeklagten in H***** erst ab dem Zeitpunkt seiner Übersiedlung nach R***** eingesetzt hätten (S 29 ff). Zufolge des zentralen Melderegisters war die Familie L*****, aber erst ab 14. Juli 2003 in R***** wohnhaft (S 19), sohin zu einem Zeitpunkt, zu dem der am 1. Juni 1987 geborene Mario L***** das 16. Lebensjahr schon vollendet hatte und als Tatopfer des Vergehens nach § 208 Abs 1 StGB nicht mehr in Betracht gekommen wäre. Solcherart ergeben sich aus den Akten jedenfalls erhebliche Bedenken gegen die schuldspruchrelevante Feststellung, dass der zu Faktum 4. gegenständliche Tatzeitraum im Sommer 2002 begonnen hat; schon unter diesem Gesichtspunkt ist - in Übereinstimmung mit der Meinung der Generalprokuratur und ohne dass es eines Eingehens auf die Strafbemessungsrüge (Z 11) bedarf - die Aufhebung des Schuldspruches 4. und demgemäß auch des Strafausspruchs bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) unumgänglich.

Im nachfolgenden Rechtsgang wird das Erstgericht zu beachten haben, dass der unter dem Aspekt des § 208 Abs 1 StGB angelasteten „Befriedigung des Zeugen Mario L***** mit der Hand bis zum Samenerguss" die Eignung als diesbezügliche Tathandlung fehlt, weil § 208 Abs 1 StGB nach seinem Schutzzweck nicht etwa geschlechtliche Handlungen mit den geschützten Personen (vgl hiezu den mit BGBl I 2002/134 eingeführten, am 14. August 2002 in Kraft getretenen § 207b StGB), sondern nur solche, die vor der Opfergruppe dieses Tatbestandes getätigt werden, pönalisiert (Leukauf/Steininger, Komm³

§ 208 RN 7 letzter Satz; Mayerhofer, StGB5 § 208 Anm 1; Schick in WK²

§ 208 Rz 1).

Falls das Schöffengericht im zweiten Rechtsgang zur Überzeugung gelangen sollte, Mario L***** sei zum Tatzeitpunkt noch nicht sechzehn Jahre alt gewesen, wird es Feststellungen zu treffen haben, ob die zur Vorführung gelangten pornografischen Darstellungen unter Berücksichtigung des Alters und des sittlichen Entwicklungsstadiums des konkreten Opfers geeignet waren, die im § 208 Abs 1 StGB geforderte Gefährdung herbeizuführen (vgl Schick in WK² § 208 Rz 7 zweiter Absatz mwN). Das Vorführen nicht näher beschriebener „Pornofilme" stellt jedenfalls auf Grund seiner Unbestimmtheit eine für einen Schuldspruch nach § 208 Abs 1 StGB tragfähige Sachverhaltsannahme nicht dar.

Zu der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handonanie an dem seiner Musikausbildung unterstehenden Zeugen Mario L***** vgl Schick in WK² § 208 Rz 12, § 212 Rz 9 und 10, unter Berücksichtigung der (noch festzustellenden) Tatzeit allenfalls auch § 207b Abs 1 StGB sowie US 7 zweiter Absatz.

Zu den Schuldspruchpunkten 1., 2. und 3. vermag jedoch die Tatsachenrüge sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen zugrundeliegenden Feststellungen entscheidender Tatsachen nicht zu erwecken. Unter Anstellung eigener beweiswürdigender Erwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung beruft sich die Tatsachenrüge zu Faktum 1. auf die Aussage des Zeugen Mario L***** vor dem Untersuchungsrichter, die sexualbezogenen Berührungen seien möglicherweise nicht absichtlich erfolgt (S 113), gesteht jedoch selbst zu, dass sich das Schöffengericht gerade mit dieser Deposition ausführlich auseinandersetzte und beweiswürdigend zu dem Ergebnis gelangte, es sei der den Schuldspruch tragenden Deposition dieses Zeugen vor dem Landesgendarmeriekommando für Tirol (S 29) zu folgen (US 9 ff).

Zu den Schuldspruchfakten 2. und 3. wendet die Rüge ein, selbst die Mutter des Zeugen Christian L***** habe diesem die Glaubwürdigkeit abgesprochen (S 199). Auch mit diesem Vorbringen werden unter Berücksichtigung der Videokassette mit der Zeugenaussage des Christian L***** und des dabei gewonnenen Eindrucks der Tatrichter, nach dem der Zeuge die Vorfälle keineswegs in übertriebener Weise schilderte, keine erhebliche Bedenken im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes dargetan.

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen, der Angeklagte im Übrigen mit seiner Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.