JudikaturJustiz13Os116/98

13Os116/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. September 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. September 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Rouschal, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ing. Gerrit W***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. Mai 1998, GZ 9 Vr 3457/97-14, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wendet sich gegen seine Schuldsprüche wegen Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (II), womit ihm angelastet wird, eine am 7.September 1988 geborene Unmündige dadurch auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht zu haben, daß er sie von September 1996 bis 11.Oktober 1997 zumindest fünfmal im Scheidenbereich streichelte (I/1) sowie am 11.Oktober 1997 ebenso dort streichelte und an ihrer Scheide leckte (I/2) und unter Ausnützung seiner Stellung eine am 19.September 1977 geborene minderjährige Nachhilfeschülerin von September 1993 bis September 1995 zumindest in fünf Angriffen durch Streicheln an den Brüsten und im Scheidenbereich (II/1) sowie zwischen September 1994 und September 1995 (in einem Fall) durch Vollziehen des Geschlechtsverkehrs (II/2) zur Unzucht mißbraucht zu haben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert zunächst mangelndes Eingehen des Gerichtes auf den Antrag der Verteidigung, das Opfer zu I in der Hauptverhandlung (nochmals) als Zeugin zu vernehmen. In der Hauptverhandlung vom 21.April 1998 hatte der Verteidiger dazu erklärt, er sei mit der Verlesung des Protokolles über die (kontradiktorische) Zeugenaussage des Tatopfers nicht einverstanden und beantragte dessen nochmalige Vernehmung in der Hauptverhandlung zum Beweis dafür, "daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen nicht begangen hat".

Das Schöffengericht beschloß daraufhin die Vertagung der Hauptverhandlung (ua) zur Ladung dieser Zeugin (S 157), hat diesen Beweis aber dann in der gemäß § 276a StPO am 26.Mai 1998 fortgesetzten Hauptverhandlung nicht durchgeführt, zumal die Zeugin unmittelbar vor Beginn dieser Verhandlung bei Gericht zu Protokoll gab, daß sie - im Hinblick auf ihre ohnehin bereits vor der Untersuchungsrichterin abgelegten Aussage - sich in der Hauptverhandlung der Aussage entschlage (unjournalisierte Fortsetzung des Zeugenprotokolles ON 4 nach S 65). Daraufhin wurde in der Hauptverhandlung gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO das über die gemäß § 162a StPO durchgeführte Zeugenvernehmung vor der Untersuchungsrichterin (ON 4) aufgenommene Protokoll verlesen. Der Verteidiger hat den durch die Entschlagung der Aussage der von ihm beantragten Zeugin geänderten Umständen nicht Rechnung getragen, seinen Beweisantrag nicht ergänzt und ihm auch nichts hinzugefügt.

Der relevierte Nichtigkeitsgrund wurde vorliegend nicht verwirklicht.

Der Angeklagte war in der (kontradiktorischen) Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter, deren Protokoll infolge berechtigter (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO wird zu Recht nicht geltend gemacht) Aussageverweigerung in der Hauptver- handlung verlesen wurde (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO), vom Tatopfer eindeutig belastet worden. Bei dieser Sach- und Beweislage konnte das zum Beweisantrag angeführte Thema, "daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen nicht begangen hat" (siehe oben), insbesondere im Licht des eingeholten jugendpsychologischen Gutachtens (das keinen Hinweis auf pseudologische Tendenzen oder eine allfällige Anstiftung zur Angabe von Unwahrheiten erbrachte) schon von vorneherein nicht genügen, um darzustellen, weswegen unter Berücksichtigung bisheriger Verfahrensergebnisse das beantragte Beweismittel geeignet wäre, das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erbringen zu können (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19 ff). Darüber hinaus fehlt jeglicher Hinweis, daß die von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machende Zeugin nun doch zur Aussage bereit sei. Durch die Unterlassung der neuerlichen Ladung der Zeugin zur Vernehmung in der Hauptverhandlung konnten somit Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt werden.

Zur Vernehmung des Tatopfers zu I gemäß § 162a StPO vor der Untersuchungsrichterin wurde der Angeklagte geladen, er nahm an dieser Vernehmung teil und hat auch von seinem Fragerecht Gebrauch gemacht (ON 4, dort S 65). Daß er bei dieser Vernehmung nicht vertreten war, begründet keine Nichtigkeit (14 Os 95/95). Auch die von der Beschwerde monierte Erörterung der verfahrensrelevanten Teile des Pflegschaftsaktes ist in der Hauptverhandlung erfolgt (S 271), dabei hat die psychologische Sachverständige gerade jene Aktenteile, auf welche die Beschwerde besonderes Gewicht legt, zur Kenntnis genommen, jedoch keinen Grund dafür gesehen, ihr Gutachten zu revidieren.

Wenn die Verfahrensrüge in weiterer Folge die Unterlassung der Durchführung bestimmter Beweise bemängelt (Konfrontation des Tatopfers zu I mit spezifischen Verfahrensergebnissen, weitere Begutachtung des Kindes durch die Sachverständige, Vernehmung der Eltern des Tatopfers zur II), übersieht sie, daß sie bereits mangels diesbezüglicher Antragstellung in der Hauptverhandlung nicht zum Ziel führen kann (Mayerhofer aaO E 1 und 4). Erst im Rechtsmittel vorgebrachte Gründe tatsächlicher Art, die die Durchführung solcher Beweise nahelegen, können schon deswegen nicht Berücksichtigung finden, weil bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets von der Verfahrenslage auszugehen ist, die sich dem Erkenntnisgericht geboten hat (Mayerhofer aaO E 41). Die Verfahrensrüge verfehlt damit zur Gänze ihr Ziel.

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), das Tatopfer zu I habe in seiner Zeugenaussage deponiert, es sei vom Angeklagten an der Scheide ("Lulu") angegriffen worden, demgegenüber habe das Schöffengericht jedoch festgestellt, es sei an dieser Körperstelle gestreichelt worden, wodurch ein Nichtigkeit bewirkender Widerspruch zwischen Beweisergebnissen und Urteilsfeststellungen aufgetreten sei, ist unberechtigt, weil die Zeugin ausdrücklich ausgesagt hat, daß sie der Angeklagte zunächst am Körper streichelte, dann ihr "Lulu" angriff und dieses dann, glaublich mit dem Finger, gestreichelt hat (S 61). Angesichts des Umstandes, daß beide Handlungen Berührungen geschlechtsspezifischer Körperteile darstellen und damit dem Unzuchtsbegriff nach § 207 Abs 1 StGB zu unterstellen sind (Leukauf-Steininger Komm3 § 207 RN 5 f), berührt dieser Einwand auch keine entscheidungsrelevanten Umstände.

Die Feststellungen zum Lecken des Angeklagten an der Scheide des unmündigen Unzuchtsopfers sind ohne Verletzung der Denkgesetze aus dessen Zeugenaussage ableitbar (S 57 f) und im Urteil auch deutlich und unmißverständlich getroffen worden (US 4 f), ohne daß es weiteren Erörterungen dazu bedurft hätte.

Daß das Schöffengericht zur Feststellung der entscheidungswesentlichen Urteilstatsachen die Aussage des Opfers des Autoritätsmißbrauchs (II) vor der Untersuchungs- richterin jener in der Hauptverhandlung vorzog, ist Ergebnis seiner freien Erwägungen über den Beweiswert einzelner Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 2 StPO) und einer Anfechtung im Nichtigkeitsverfahren entzogen. Die für diese Beweiswürdigung angegebenen Gründe widersprechen in keiner Weise den Denkgesetzen (US 7).

Das Durchschlagen einer Tatsachenrüge (Z 5a) setzt das Vorbringen aktenkundiger Verfahrensergebnisse voraus, die erhebliche Zweifel an den entscheidungswesentlichen Urteilstatsachen hervorrufen können. Der diesbezügliche Nachweis gelingt der Beschwerde jedoch nicht, die in teilweiser Wiederholung von Argumenten zur Mängelrüge im wesentlichen den auch im Rahmen dieses Nichtigkeitsgrundes prinzipiell unzulässigen Versuch einer Anzweifelung der tatrichterlichen Beweiswürdigung unternimmt. Denn die Beschwerde vermag einerseits keine Beweismittel anzuführen, die das Gericht entgegen seiner Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung nicht oder in entscheidungswesentlichen Punkten nur unvollständig ausgeschöpft hätte, oder auf aktenkundige Umstände hinzuweisen, die bei einer an den Denkgesetzen und der allgemeinen menschlichen Erfahrung orientierten Betrach- tungsweise mit dem festgestellten Sachverhalt nicht oder nur schwer in Einklang zu bringen wären (Mayerhofer aaO § 281 Z 5a E 2a).

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) geht ins Leere. Deren formalrechtlich gebotene Ausführung setzt voraus, daß sie anhand aller vom Tatgericht festgestellter Sachverhaltsmomente, ohne urteilsfremde Tatsachen hinzuzu- fügen oder Urteilsannahmen zu ignorieren, den Nachweis einer rechtsirrigen Beurteilung durch das Schöffengericht führen kann, ohne dessen Tatsachenfeststellungen selbst zu bekämpfen (Mayerhofer aaO § 285a E 61).

Dies unterläßt die Beschwerde bei beiden dem Angeklagten zur Last liegenden Schuldsprüchen. Zum Schuldspruch wegen Unzucht mit Unmündigen beruft sie sich auf (behauptete) Verfahrensergebnisse (Teile der Zeugenaussagen des Tatopfers und dessen Mutter), vernachlässigt aber den tatsächlich festgestellten Sachverhalt (US 4 f).

Auch zum Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses geht die Rechtsrüge an den Kon- statierungen vorbei, daß sich die geschlechtlichen Miß- brauchshandlungen jeweils im Zuge des Nachhilfeunterrichtes durch den Angeklagten ereigneten, der in diesem Zeitraum zur Aufbesserung seines Einkommens auch anderen Mädchen Nachhilfeunterricht erteilte (US 7) und dies vorliegend bei seinem Opfer vom 14. bis zum 17.Lebensjahr regelmäßig in dessen Zimmer tat, wobei sich dieses häufig nach dem Unterricht schlafen legte und vom Angeklagten, der neben dem Bett niederkniete, (zwischen September 1993 und September 1995 in zumindest fünf Angriffen, US 2) unter dem Pyjama an den Brüsten und der Scheide gestreichelt wurde. Im Zuge des (auch) in der Wohnung des Angeklagten erteilten Nachhilfeunterrichts kam es in weiterer Folge dazu, daß der Angeklagte seine Schülerin entkleidete und mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog. Dabei handelte er festge- stelltermaßen stets in Ausnützung und unter Einsatz seiner durch langjährige Tätigkeit als Nachhilfelehrer gewonnenen Autorität gegenüber der Minderjährigen und wählte vor allem die Gelegenheit des Nachhilfeunterrichts am späten Abend für seine Mißbrauchshandlungen (US 5 ff). Diese Konstatie- rungen mißachtend verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde ihre prozeßordnungsgemäße Ausführung. Demnach kann (nur) in diesem Punkt der Ansicht der Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde nicht gefolgt werden, wonach die von ihr reklamierten Feststellungen in den von den Tatrichtern getroffenen Konstatierungen nicht enthalten seien. Ihr (nicht der Beschwerde) ist dazu zu antworten:

Jahrelanger (Nachhilfe)Unterricht rechtfertigt durchaus, insbesondere wenn er festgestelltermaßen regelmäßig (d.h. in der Mehrzahl der eintretenden Fälle) im Zimmer des (minderjährigen) Opfers ohne Anwesenheit einer anderen (Autoritäts)Person erteilt wird, die Unterstellung der Schülerin unter den Ausbildenden auch in sittlicher Beziehung (vgl dazu etwa die bei Leukauf-Steininger Komm3 § 212 RN 6 angeführten Funktionäre von Sport- und Jugendorganisationen). Mit der Feststellung, der Angeklagte habe "in Ausnützung und unter Einsatz seiner Autorität" gehandelt (US 6), gebraucht das Urteil keineswegs in substanzloser Weise verba legalia, wurde sie doch ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Aufbau dieser Autorität durch jahrelangen, regelmäßigen Nachhilfeunterricht getroffen, die der Angeklagte gegenüber der Minderjährigen eingesetzt (also bewußt hervorgekehrt) hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit teilweise als offenbar unbegründet, teils als nicht den verfahrensgesetzlichen Erfordernissen entsprechend ausgeführt, bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d iVm § 285a StPO), weswegen die Entscheidung über die zugleich erhobene Berufung in die Kompetenz des zuständigen Oberlandesgerichtes fällt (§ 285i StPO).