JudikaturJustiz13Os11/17t

13Os11/17t – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin im Verfahren über die Fortführung des zu AZ 2 St 124/15m der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen Fljurim K***** wegen der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB geführten Ermittlungsverfahrens, AZ 20 Bl 44/16z des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 6. Juni 2016 (ON 6) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, und des Opfers Ing. Mohammad A*****, Mag. Schmidt, sowie des Verteidigers Mag. Winkler zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren über die Fortführung des zu AZ 2 St 124/15m der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen Fljurim K***** wegen der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB geführten Ermittlungsverfahrens, AZ 20 Bl 44/16z des Landesgerichts St. Pölten, verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 6. Juni 2016 (ON 6) § 195 Abs 1 Z 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über den Antrag des Ing. Mohammad A***** auf Fortführung des zu AZ 2 St 124/15m der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen Fljurim K***** wegen der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB geführten Ermittlungsverfahrens an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten führte zu AZ 2 St 124/15m ein Ermittlungsverfahren gegen Fljurim K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 (richtig) zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen.

Diesem Verfahren lag zunächst der Anlassbericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 10. Juni 2015 zugrunde, wonach der Beschuldigte am 1. Juni 2015 in A***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Tanja R***** durch Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit unter Verwendung des Aliasnamens Pal M***** zur Ausfolgung eines Pkw verleitet und nach Leistung einer Anzahlung von 150 Euro den restlichen Kaufpreis von 10.000 Euro mit Falschgeld bezahlt haben soll, wodurch die Genannte mit eben diesem Betrag an Vermögen geschädigt worden sei.

Nach einem Folgebericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 30. Juli 2015 war der Beschuldigte überdies verdächtig, im Juni 2015 in W***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte des Autohauses M A e.U. Ing. Mohammad A***** durch die Vorgabe, Eigentümer des Tanja R***** herausgelockten Pkw zu sein, zur vermögensschädigenden Zahlung von 9.000 Euro verleitet zu haben, wobei er zum Identitätsnachweis einen auf Pal M***** lautenden, gefälschten slowakischen Personalausweis vorgelegt habe.

Auf der Basis dieser Berichte der Landespolizeidirektion Niederösterreich brachte die Staatsanwaltschaft St. Pölten am 2. März 2016 beim Landesgericht St. Pölten zu AZ 35 Hv 27/16v Strafantrag gegen Fljurim K***** wegen in Richtung der Verbrechen der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 2 StGB (A/I) und nach § 233 Abs 1 Z 1 StGB (A/II), des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 (richtig) zweiter Fall StGB (B), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (C) und mehrerer Vergehen der Annahme, der Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a StGB (D) beurteilter Taten ein.

Unter einem stellte die Staatsanwaltschaft St. Pölten das Ermittlungsverfahren gegen Fljurim K***** wegen des Vorwurfs, sich anlässlich des Verkaufs des Tanja R***** herausgelockten Pkw gegenüber Verfügungsberechtigten des Autohauses M A e.U. Ing. Mohammad A***** mit einem auf Pal M***** lautenden, gefälschten slowakischen Personalausweis legitimiert zu haben, gemäß § 192 Abs 1 Z 1 StPO endgültig ein, weil diesbezüglich „im Hinblick auf die vorliegende Anklage gegen den Beschuldigten“ mit „keinem wesentlichen Einfluss auf die Strafe zu rechnen“ sei.

Über Verlangen des Opfers Ing. Mohammad A***** teilte die Staatsanwaltschaft St. Pölten diesem am 17. März 2016 die Begründung für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit (§ 194 Abs 2 StPO). Darin erklärte sie erneut, dass nach ihrem Dafürhalten mit Blick auf den Strafantrag vom 2. März 2016 selbst im Fall der Verurteilung wegen des in Rede stehenden Vorwurfs „mit keiner Zusatzstrafe zu rechnen“ sei.

Mit Antrag vom 4. April 2016 (ON 2) begehrte Ing. Mohammad A***** die Fortführung des Ermittlungsverfahrens wegen des von der Einstellung umfassten Sachverhalts. Aus Sicht des Fortführungswerbers verwirkliche dieser Sachverhalt den Tatbestand des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB, womit der Fortführungsgrund des § 195 Abs 1 Z 1 vorliege, weil die Staatsanwaltschaft zu Unrecht bloß von der möglichen Erfüllung des Tatbestands der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB ausgegangen sei. Im Übrigen sei auch im Fall der Verurteilung wegen des letztgenannten Vergehens „mit einer Zusatzstrafe zu rechnen“.

In ihrer Stellungnahme dazu (ON 3) unterstrich die Staatsanwaltschaft St. Pölten, dass nach ihrer Rechtsansicht nur die Verwirklichung des Tatbestands der Fälschung besonders geschützter Urkunden in Betracht komme, und stützte sich zur Verfahrenseinstellung abermals auf den Grund des § 192 Abs 1 Z 1 StPO.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2016 (ON 6) folgte das Landesgericht St. Pölten dem Antrag auf „Fortführung des Verfahrens gegen Fljurim K***** wegen §§ 146, 147 Abs 1; 223 Abs 2, 224 StGB“. Dabei teilte es die Sicht des Opfers, der Sachverhalt sei geeignet, den Tatbestand des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB zu verwirklichen (BS 6 f).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) zutreffend ausführt, steht die Begründung dieses Beschlusses mit dem Gesetz nicht im Einklang:

§ 192 Abs 1 Z 1 StPO ist Ausfluss des Opportunitätsprinzips, indem diese Norm der Staatsanwaltschaft erlaubt, von der Verfolgung einzelner Taten (soweit hier von Interesse) endgültig abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn dem Beschuldigten mehrere Taten zur Last liegen und dies voraussichtlich weder auf die Strafen oder vorbeugenden Maßnahmen, auf die mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen noch auf diversionelle Maßnahmen wesentlichen Einfluss hat (eingehend zur diesbezüglichen Gesetzesbindung Schroll , WK StPO § 192 Rz 15 f).

Die Staatsanwaltschaft hat solcherart im Rahmen einer Zweckmäßigkeitsabwägung dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung die Prozessökonomie gegenüberzustellen und anhand einer Grobprüfung eine Prognose vorzunehmen, ob mit allfälligen strafrechtlichen Reaktionen auf von einer Anklage umfasste Taten general und spezialpräventiven Erfordernissen bereits hinreichend entsprochen würde ( Schroll , WK StPO § 192 Rz 45, 54).

Wird eine Verfahrenseinstellung – wie hier – auf eine solche Zweckmäßigkeitsabwägung gestützt, so ist diese unter dem Aspekt des § 195 Abs 1 Z 1 StPO nur dahingehend überprüfbar, ob die Staatsanwaltschaft das ihr eingeräumte Ermessen willkürlich ausgeübt oder den Ermessensspielraum überschritten hat ( Schroll , WK StPO § 192 Rz 45, 50; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 195 Rz 21).

Da das Landesgericht St. Pölten dem Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens stattgab, ohne zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft durch die Einstellung das ihr vom Gesetz eingeräumte Ermessen willkürlich gebraucht oder den Ermessensspielraum verlassen hat, überschritt es somit seinerseits – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – den Prüfungsrahmen des § 195 Abs 1 Z 1 StPO (vgl 12 Os 29/10x, SSt 2010/42; RIS Justiz RS0126209).

Zumal die Anordnung der Fortführung des Ermittlungsverfahrens zum Nachteil des Beschuldigten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).