JudikaturJustiz13Os106/22w

13Os106/22w – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Februar 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Seidenschwann in der Strafsache gegen * O* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 6 U 164/21h des Bezirksgerichts Bregenz, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 15. Dezember 2021 (ON 7 ) , wurde * O* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt.

[2] Die vom Angeklagten dagegen angemeldete Berufung (ON 6 S 4) blieb unausgeführt, die Staatsanwaltschaft erhob zum Nachteil des Angeklagten Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 8 und 9, ON 10).

[3] „Aus Anlass der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld“ hob das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht mit Urteil vom 23. Mai 2022, AZ 25 Bl 19/22s, d ie angefochtene Entscheidung im Schuldspruch und demzufolge auch im Strafausspruch auf und erkannte in der Sache selbst. Es sprach den Angeklagten (erneut) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn hiefür zu einer Freiheitsstrafe. Mit ihren Berufungen wurden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen (ON 16).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen das letztgenannte Urteil richtet sich der rechtzeitige Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit dem mehr fache Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK behauptet w erden.

[5] Bei einem – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS Justiz RS0122737 und RS0128394).

[6] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substanziiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 16), hat auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS Justiz RS0122737 [T17]).

[7] Diesem Erfordernis wird der Erneuerungsantrag, indem er ohne konkrete Bezugnahme auf das gegenständliche Strafverfahren vorbringt , das Berufungsgericht hätte den „erkennbare[n] Verteidigerbedarf negiert“ (Art 6 Abs 3 lit c MRK), nicht gerecht. Denn der substanzlose Hinweis auf das „gesamte [...] Verhalten im Verfahren“ und die Vorlage eines Begutachtungsergebnisses zu den Voraussetzungen einer vom Verurteilten angestrebten Invaliditätspension aus dem Jahr 2013 erfüllen die dargestellte Anforderung nicht.

[8] Gleiches gilt, soweit der Verurteilte sein „Recht auf ein faires und insbesondere kontradiktorisches Verfahren und die Beachtung der Unschuldsvermutung und des Verbots der reformatio in peius“ durch die – nicht subsumtionsrelevante – Feststellung eines zweiten Schlages durch das Berufungsgericht (US 1 und 6; siehe im Übrigen zur Beschränkung des Verschlechterungsverbots auf den Sanktionenbereich Ratz , WK-StPO § 290 Rz 31) sowie die – hier aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten zulässige ( Ratz , WK-StPO § 290 Rz 42) – Verhängung einer Haftstrafe anstelle einer Geldstrafe verletzt sieht.

[9] Dem Einwand der Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK durch eine aus Sicht des Antrags mangelhafte Urteilsbegründung ist zu entgegnen, dass der EGMR unter diesem Aspekt lediglich prüft, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das Strafverfahren als Ganzes unfair erscheinen lässt, wobei die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten ist (RIS Justiz RS0120958; vgl auch Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet (jüngst 15 Os 133/21d).

[10] Eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK in der dargestellten Bedeutung behauptet der Antrag mit der Kritik , die Annahme eines hohen Aggressionspotenzials beim Angeklagten (US 7) hätte der Einholung eines Gutachtens bedurft, die Berücksichtigung der Aussagen der Zeugin * H*, die keine unmittelbare Wahrnehmung vom Tatgeschehen gemacht habe (US 7), sei „mit Art 6 MRK unvereinbar“ und dem Opfer Ing. * Hu* sei „aktenwidrig ein überzeugender Eindruck attestiert“ worden (vgl US 7 f) nicht.

[11] Vielmehr bekämpft der Erneuerungswerber bloß mit eigenen Erwägungen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Dabei verkennt er im Übrigen grundlegend, dass die Behandlung eines Erneuerungsantrags nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde oder Berufungsinstanz bedeutet, sondern sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (RIS Justiz RS0132365).

[12] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).

Rechtssätze
3
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.