JudikaturJustiz13Nds22/02

13Nds22/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2002 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Steindl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Boris H***** wegen des versuchten Verbrechens nach §§ 15 Abs 1 StGB, 28 Abs 2 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung im Zuständigkeitsstreit zwischen dem Oberlandesgericht Graz und dem Oberlandesgericht Wien nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Entscheidung über den Anklageeinspruch des Boris H***** steht dem Oberlandesgericht Graz zu.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren zum AZ 8 Ur 1107/01k des Landesgerichtes Klagenfurt brachte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 24. Oktober 2001 unmittelbar beim Untersuchungsrichter gegen den am 15. September 1980 geborenen Boris H***** die Anklageschrift wegen des versuchten Verbrechens nach §§ 15 Abs 1 StGB, 28 Abs 2 erster Fall SMG sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 (erster und zweiter Fall) SMG ein. Danach hat er als junger Erwachsener in Völkermarkt den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift (I) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer bislang nicht ausgeforschten Person eine große Menge, und zwar etwa 622 Gramm Cannabiskraut mit einer Reinsubstanz von zumindest 31 Gramm THC zu erzeugen versucht und (II) am 31. Dezember 1999 eine unbestimmte Menge Cannabiskraut anlässlich eines Konsums erworben und besessen.

Gegen diese, dem Beschuldigten über Ersuchen seines Vaters am 28. November 2001 an der Studienadresse in Wien zugestellte Anklageschrift (S 1, 75) wurde rechtzeitig Einspruch erhoben (ON 5). Bei Entscheidung über den erwähnten Rechtsbehelf beschloss das Oberlandesgericht Graz am 11. Jänner 2002 zu AZ 9 Bs 352/01 seine eigene Nichtzuständigkeit (§ 212 zweiter Satz StPO), weil der Beschuldigte bei Verfahrenseinleitung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien hatte und demzufolge das Verfahren gemäß § 29 JGG dem Jugendgerichtshof Wien zustehe.

Mit Beschluss vom 13. März 2002, AZ 21 Ns 18/02, sprach das Oberlandesgericht Wien ebenfalls seine Nichtzuständigkeit aus. Es vertrat die Auffassung, dass der Beschuldigte bei Verfahrenseinleitung sowohl in Wien als auch in Völkermarkt, wo er nach den ergänzenden Erhebungen einen Teil seiner Ferien, Wochenenden, Feiertage und vorlesungsfreien Zeiten verbrachte, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Zufolge des mit Zustellung der Anklageschrift bewirkten Zuvorkommens sei das Landesgericht Klagenfurt zur Führung des Strafverfahrens zuständig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 29 JGG idF BGBl I 2001/19 ist ua für Strafsachen wegen Straftaten, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden sind, das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das Gesetz knüpft damit die Zuständigkeit an den Ort des tatsächlichen Schwerpunkts der Lebensführung, wobei sich dieser ausschließlich nach tatsächlichen Umständen bestimmt, welche die dauerhafte Beziehung zwischen dem jungen Erwachsenen und seinem Aufenthaltsort anzeigen, ungeachtet der Freiwilligkeit und Erlaubtheit, aber auch des Willens des Beschuldigten, an einem bestimmten Ort Aufenthalt zu nehmen (15 Nds 1/98, 14 Nds 24/00, Jesionek JGG3 Anm 3 ff).

Nach der Aktenlage bewohnt der Beschuldigte seit Beginn des Spanisch- und Geografiestudiums mit Anfang Oktober 2001 in Wien ein Untermietzimmer. Da er aber die Wochenenden, Feiertage, Ferien und vorlesungsfreien Zeiten teils in Wien teils an seinem (aufrecht gebliebenen) Meldewohnsitz bei seinen Eltern in St. Agnes/Völkermarkt verbrachte, hat er seinen Lebensmittelpunkt nicht mit Studienbeginn an den Studienort verlagert, sondern im bezeichneten elterlichen Haushalt behalten (s auch Aktenvermerk des Bezirkspolizeikommissariats Währing vom 25. Februar 2002). Demnach ist fallspezifisch davon auszugehen, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens am 8. November 2001 (Verfügung der Zustellung der unmittelbaren Anklageschrift [Leukauf/Steininger Komm3 § 58 RN 20] S 1) den Schwerpunkt seiner Lebensführung, als seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch bei seinen Eltern in St. Agnes in Völkermarkt hatte (Jesionek aaO § 29 Anm 10). Aus diesem gewöhnlichen Aufenthalt des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens in Völkermarkt ergibt sich nach der speziellen Regelung des § 29 JGG, die zur kompetenzrechtlichen Bedeutungslosigkeit des Zuvorkommens führt (15 Nds 56/95), dass zur Fortführung des Strafverfahrens (Vornahme der Hauptverhandlung) das Landesgericht Klagenfurt und somit für die Entscheidung über den erwähnten Anklageeinspruch das Oberlandesgericht Graz zuständig ist.