JudikaturJustiz12Os88/23t

12Os88/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Besic in der Strafsache gegen * T* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Juli 2022, GZ 124 Hv 3/22b-687, wurde * T* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (A./I./AA./ und A./II./AA./) sowie des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 Z 1, Abs 4 erster Fall StGB (B./I./) schuldig erkannt.

[2] Mit Beschluss vom 19. Mai 2023 (ON 812) setzte das Erstgericht die über den Angeklagten am 4. Dezember 2021 verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort und wies dessen Antrag auf Gewährung elektronisch überwachten Hausarrests (§ 173a Abs 1 StPO) ab.

[3] Der allein gegen diese Abweisung gerichteten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 28. Juni 2023, AZ 31 Bs 179/23k (ON 817), nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich der Antrag des Angeklagten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO, mit dem er Verletzungen des Art 1 Abs 4 PersFrG (vgl aber RIS Justiz RS0132365) und des Art 6 Abs 1 und 3 lit b MRK geltend macht. Dieser ist nicht berechtigt.

[5] Voranzustellen ist, dass es sich beim elektronisch überwachten Hausarrest nach § 173a StPO um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, somit nicht um eine Alternative zu jener, handelt (RIS Justiz RS0126401).

[6] Nach § 1 Abs 1 GBRG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nach Erschöpfung des Instanzenzugs Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu. Für den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen schließt allerdings § 1 Abs 2 GRBG die Grundrechtsbeschwerden und solcherart auch den dazu subsidiären Erneuerungsantrag ausdrücklich aus (vgl RIS Justiz RS0122737 und RS0123350 [T2]).

[7] Damit ist Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof in Betreff der Bedingungen (des Vollzugs) von Freiheitsentzug gesetzlich nicht vorgesehen. Dies gilt auch für die (im § 1 Abs 2 GBRG – solcherart lückenhaft – nicht ausdrücklich erwähnte) Untersuchungshaft, weil eine insoweit differenzierte Rechtsschutzbetrachtung (zwischen dem Vollzug von Untersuchungshaft und Strafhaft) keine sachliche Rechtfertigung hätte (RIS Justiz RS0122737 [T16]).

[8] Der Antrag des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
3
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.