JudikaturJustiz12Os58/12i

12Os58/12i – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Simeon M***** wegen des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a erster und vierter Fall StGB, AZ 28 U 16/11b des Bezirksgerichts Leopoldstadt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 9. November 2011 und einen weiteren Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe und des Verteidigers Dr. Vana zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Simeon M*****, AZ 28 U 16/11b des Bezirksgerichts Leopoldstadt, verletzen das Gesetz:

1./ die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung am 9. November 2011 (ON 49, 50) in Abwesenheit des Angeklagten, obwohl eine persönliche Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung unterblieben ist, in § 427 Abs 1 erster Satz StPO;

2./ die in dieser Hauptverhandlung vorgenommene Verlesung der Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und (ehemals) Mitbeschuldigten in § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 zweiter Satz StPO.

Das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. November 2011, GZ 28 U 16/11b 50, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Simeon M***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. November 2011, GZ 28 U 16/11b 50, in seiner Abwesenheit des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a erster und (richtig:) vierter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Durchführung der gemäß § 276a StPO iVm § 447 StPO am 9. November 2011 wiederholten Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte, obwohl die persönliche Zustellung einer Ladung unterblieben und der Angeklagte vielmehr vom Hauptverhandlungstermin bloß fernmündlich durch die Geschäftsabteilung unter Erklärung der Kenntnisnahme verständigt worden war (vgl den Kanzleivermerk vom 8. Juli 2011, ON 1 S 28).

In der Hauptverhandlung wurden die in den ON 2 (S 7 ff, 25 ff, 31 ff, 37 ff) und ON 3 enthaltenen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und (ehemals) Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren sowie auch („Verlesen wird der gesamte Akteninhalt“) das Protokoll über die Vernehmung des Zeugen Milos Mi***** in der Hauptverhandlung vom 18. Mai 2011 (ON 40 S 2) verlesen (ON 49 S 2).

Über die vom Angeklagten gegen dieses Urteil (ohne weiteres Vorbringen nur) angemeldete Berufung (wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe; ON 57) wurde bislang nicht entschieden.

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt wurde durch diese Vorgänge das Gesetz verletzt.

Rechtliche Beurteilung

1./ Die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten setzt gemäß § 427 Abs 1 erster Satz StPO unter anderem voraus, dass diesem die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Diesem strikten Erfordernis genügt (auch im Fall einer fortgesetzten oder wiederholten Hauptverhandlung) die bloße fernmündliche Verständigung vom Hauptverhandlungstermin nicht (RIS Justiz RS0097293 zu § 221 Abs 1 StPO idF vor BGBl I 2007/93; Bauer/Jerabek , WK StPO § 427 Rz 9 unter Hinweis auf den hier nicht vorgelegenen Ausnahmefall der mündlichen Bekanntgabe des Termins einer vertagten Hauptverhandlung an den anwesenden Angeklagten unter wirksamer Erklärung eines Ladungsverzichts).

2./ Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und Mitbeschuldigten dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den in § 252 Abs 1 StPO (hier in Verbindung mit § 447 StPO) normierten Ausnahmefällen verlesen werden. Die Verlesung der zuvor genannten Angaben von Zeugen und (ehemals) Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung vom 9. November 2011 war mangels Vorliegens eines der hiefür maßgeblichen Ausnahmetatbestände des § 252 Abs 1 StPO nicht zulässig. Denn aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung kann dessen Einverständnis iSd Z 4 leg cit nicht abgeleitet werden (RIS Justiz RS0117012).

Da ein aus diesen Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann (§ 292 letzter Satz StPO), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt aufzuheben und diesem Gericht die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.