JudikaturJustiz12Os51/19w

12Os51/19w – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Korner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan M***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB, AZ 12 Hv 142/18y des Landesgerichts Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 4. März 2019, AZ 10 Bs 46/19v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Stefan M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 8. Februar 2019, GZ 12 Hv 142/18y 575, setzte das Landesgericht Klagenfurt die über den Angeklagten Stefan M***** am 2. November 2018 verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO fort.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Stefan M***** gab das Oberlandesgericht Graz nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.

Dabei erachtete das Beschwerdegericht den Angeklagten dringend verdächtig, dass er „mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, Nachgenannte durch die nachstehend angeführten Täuschungen über Tatsachen, jeweils begleitet durch die Setzung vertrauensbildender Maßnahmen in Form von arrangierten Besprechungen im slowakischen Wirtschafts oder Unterrichtsministerium und Parlament und inszenierten Treffen mit Vertretern der beteiligten Städte sowie Besichtigungen von vorgeblichen Örtlichkeiten, an denen die angeblichen Bauarbeiten stattfinden sollten, sowie durch die Vorgabe, es könnten Bauaufträge im Volumen von zwei bis dreistelligen Millionenbeträgen abgeschlossen und hohe Gewinne lukriert werden, zu Handlungen, nämlich zu Zahlungen von Geldbeträgen für Verwaltungsgebühren, Sitzungskosten, Übersetzungskosten und dergleichen, die diese am Vermögen schädigten,

I. verleitet hat, und zwar

1. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten (und zu AZ 79 Hv 146/16a des Landesgerichts Klagenfurt rechtskräftig verurteilten) Vilmos B***** als Mittäter

a. im Zeitraum von Spätherbst 2008 bis Sommer 2009 in B*****, an einem nicht mehr feststellbaren Ort in Niederösterreich, in S*****/Slowakei und an anderen Orten den Gregor E***** durch die Vorspiegelung der Existenz eines seitens der Europäischen Union geförderten Projektes zur thermischen Sanierung von Plattenbauten in S*****/Slowakei zur Zahlung von insgesamt zumindest 150.000,00 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'S*****'),

b. durch die Vorspiegelung der Existenz eines durch Mittel der Europäischen Union geförderten Bauprojektes im Zusammenhang mit der thermischen Sanierung von Altbauwohnungen in V*****/Slowakei,

ba. im Zeitraum von April 2010 bis 15. Juni 2010 in F***** und B***** Walter G***** zur Übergabe von Stempelmarken im Gesamtwert von 7.900,00 Euro (Faktum 'V***** I.'),

bb. im Zeitraum von Mitte Mai 2010 bis März 2012 in P***** und an anderen Orten im Inland den Christian S***** zur Überweisung von insgesamt 927.157,00 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'V***** II.'),

2. in F***** und B*****

a. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Helena T***** sowie den abgesondert verfolgten (und zu AZ 79 Hv 146/16a des Landesgerichts Klagenfurt rechtskräftig verurteilten) Christian Sa***** und Vilmos B***** als Mittäter im Zeitraum von April 2011 bis November 2011 die in der 'Bau ARGE L*****' zusammengeschlossenen Unternehmer Walter G*****, Peter Eb*****, Wolfgang M***** und Manfred Ma***** durch die Vorspiegelung der Existenz eines Projektes zur Errichtung von Wärmedämmungen an mehreren Wohneinheiten in der Stadt L*****/Slowakei zur Übergabe bzw Überweisung von insgesamt zumindest 3.120.114,00 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'L***** I.'),

b. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Christian Sa***** und Vilmos B***** als Mittäter im Zeitraum von November 2011 bis März 2012 die in der 'ARGE F***** L*****' zusammengeschlossenen Unternehmer Arno K*****, Franz W*****, Franz Z***** und Erna Gr***** durch die Vorspiegelung eines Projekts zur Errichtung von Heizungsinstallationen in mehreren Wohneinheiten in der Stadt L*****/Slowakei zur Übergabe bzw Überweisung von insgesamt zumindest 1.648,709,00 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'L***** II.'),

3. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Helena T***** und Vilmos B***** als Mittäter im Zeitraum von Dezember 2012 bis Februar 2014 in H***** und B***** Manfred F***** durch die Vorspiegelung der Existenz eines Projektes zur Errichtung eines Vollwärmeschutzes, einer Kellerdeckendämmung und der Vornahme von Innenputzarbeiten an mehreren Bauten in der Stadt K*****/Slowakei zur Übergabe von insgesamt 1.675,583,00 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'K*****'),

4. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Helena T*****, Jan Ze*****, Kamil Be***** und Vilmos B***** als Mittäter im Zeitraum von November 2015 bis 13. Jänner 2016 in S***** und B***** Edgar Li***** und Wolfgang L***** durch die Vorspiegelung der Existenz eines Projektes zur Errichtung einer von der Europäischen Union geförderten Unterkunft für Schutzbefohlene in der Stadt Z*****/Slowakei zur Übergabe von insgesamt 765.069,65 Euro in mehreren Tranchen (Faktum 'Unterkunft für Schutzbefohlene in Z*****'),

II. zu verleiten versucht, und zwar

1. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Vilmos B***** am 20. Februar 2012 die in der 'ARGE Heizung L*****' zusammengeschlossenen Unternehmer Arno K*****, Franz W*****, Franz Z***** und Erna Gr***** durch die wahrheitswidrige Behauptung der Notwendigkeit der Begleichung einer Verwaltungsstrafe im Zusammenhang mit dem vorgespiegelten Projekt zur Errichtung von Heizungsinstallationen in mehreren Wohneinheiten in der Stadt L*****/Slowakei zur Übergabe bzw Überweisung von 300.000,00 Euro (Faktum 'L***** II.'),

2. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Helena T*****, Jan Ze*****, Kamil Be***** und Vilmos B***** als Mittäter am 22. Jänner 2016 in S***** bzw B***** Edgar L***** durch Vorspiegelung der Existenz eines Projektes zu Errichtung einer von der Europäischen Union geförderten Unterkunft für Schutzbefohlene in der Stadt Z*****/Slowakei zur Übergabe von 613.425,00 Euro (Faktum 'Unterkunft für Schutzbefohlene in Z*****')“,

wobei Stefan M***** durch die Taten einen 300.000 Euro übersteigenden Gesamtschaden von 9.207.957,65 Euro herbeiführte bzw herbeizuführen trachtete und den schweren Betrug gewerbsmäßig und unter Verwendung falscher Urkunden, nämlich nachgemachter Bescheide des slowakischen Wirtschaftsministeriums oder der jeweils betroffenen Kommunen zur Täuschung beging.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Oberlandesgericht diese dringende Verdachtslage als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 [erster Fall] und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS Justiz RS0110146).

Das Beschwerdegericht stützte sich bei den Feststellungen zur Verdachtslage insbesondere auf die den Angeklagten belastenden Angaben des (in diesem Zusammenhang bereits rechtskräftig verurteilten) Vilmos B***** (BS 5 f). Indem die Grundrechtsbeschwerde die Glaubwürdigkeit der Angaben des Vilmos B***** bezweifelt und ausführt, dieser hätte – „wie Betrügern immanent“ – „ein vermeintlich vertrauenswürdiges Auftreten und ein ganz außergewöhnliches Geschick bei der Erfindung von Ausreden und der Täuschung seiner Opfer“, wird bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt. Die Verantwortung des Angeklagten, er wäre selbst Opfer der Täuschungshandlungen des Vilmos B***** geworden, hat das Oberlandesgericht ebenso wie den Umstand, dass Letztgenannter wegen Betrugs gerichtlich verurteilt wurde, in seine Erwägungen miteinbezogen (BS 5 f; RIS Justiz RS0119422).

Bei – wie hier – umfangreichem Aktenmaterial bedarf es zur prozessförmigen Aufzeichnung eines Begründungsmangels im Sinn der Z 5 zweiter Fall der genauen Angabe der Fundstelle (RIS Justiz RS0124172). Dem wird die Beschwerdeschrift nicht gerecht, indem sie ausführt, Vilmos B***** wäre „gerichtsgutachterlich bestätigt an einer wahnhaften Schizophrenie“ erkrankt.

Soweit der Beschwerdeführer behauptet, die vom Oberlandesgericht weiters zitierten Zeugen (BS 5 f) hätten ihn nicht unmittelbar belastet, nimmt er nicht Maß an der angefochtenen Entscheidung. Denn das Beschwerdegericht hat eine solche unmittelbare Belastung des Angeklagten durch die Vertreter der geschädigten Unternehmen gar nicht angenommen, sondern lediglich auf Übereinstimmungen zwischen den Angaben des Vilmos B***** und jenen der Vertreter der geschädigten Unternehmen hingewiesen.

Schließlich lässt die Grundrechtsbeschwerde die Argumentation des Oberlandesgerichts außer Acht, dass der Angeklagte seine Zusammenarbeit mit Vilmos B***** trotz seiner Vernehmung zum Betrugsverdacht gegen den Genannten fortsetzte (BS 6). Damit orientiert sie sich aber nicht an der Gesamtheit der Erwägungen des Beschwerdegerichts (RIS Justiz RS0110146 [T24]).

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS Justiz RS0117806). Betreffend die Tatbegehungsgefahr verwies das Beschwerdegericht auf den nach der bestehenden dringenden Verdachtslage außerordentlich hohen Planungs-und Organisationsaufwand zur Täuschung der Geschädigten und auf den exorbitanten Erfolgsunwert der Taten, die vielfachen Angriffe innerhalb eines rund achtjährigen Zeitraums, woraus sich ein solcher Grad der Verfestigung der Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber fremdem Vermögen schließen lasse, der eine jederzeitige Wiederaufnahme derartiger oder gleichartiger Betrugshandlungen zur Finanzierung des eigenen gehobenen Lebensstils und jenes seiner Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchten lasse (BS 7).

Indem der Angeklagte auf seine Unbescholtenheit und seine bisher untadelige Lebensführung hinweist sowie einen gehobenen Lebensstil bestreitet, gelingt es nicht, Willkür im dargestellten Sinn aufzuzeigen.

Der vom Oberlandesgericht gezogene Schluss von der Schwere der dem Angeklagten angelasteten Taten auf das vorliegende ausgewogene Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur erwartenden Strafe (BS 8) erweist sich jedenfalls als vertretbar (RIS Justiz RS0120790). Inwiefern die „aktenkundige HIV Erkrankung“ an der Verhältnismäßigkeit etwas ändern sollte, wird nicht klar.

Mit dem bloßen Hinweis, dass er bereits mehrfach gelobt habe, künftigen Vorladungen Folge zu leisten, und er bereit wäre, dieses Gelöbnis erforderlichenfalls förmlich zu wiederholen, zeigt der Angeklagte nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel verneinte (BS 8), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS Justiz RS0116422 [T1]).

Soweit die Grundrechtsbeschwerde kritisiert, dass dem Angeklagten auf dessen Antrag keine Kopien aus den Akten in die Justizanstalt Klagenfurt übermittelt wurden (vgl RIS Justiz RS0124741), wird verkannt, dass der Anspruch des Beschuldigten auf Akteneinsicht ab Bestellung eines Verteidigers auf diesen übergeht (§ 52 Abs 1 erster Satz StPO; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 6.27).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.