JudikaturJustiz12Os35/90

12Os35/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Mai 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Mai 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Gerhard R*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 11.Jänner 1990, GZ 15 Vr 204/89-59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten gemäß §§ 285 i, 344 StPO dem Oberlandesgericht Graz zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 25.Juni 1932 geborene Primararzt Dr. Gerhard R*** wurde des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 25.Jänner 1989 in Wolfsberg durch einen Schuß aus einem Schrotgewehr seine Ehefrau Erika R*** zu töten getrachtet.

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer allein auf § 345 Abs. 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er die ablehnenden Zwischenerkenntnisse über mehrere in der Hauptverhandlung gestellte Anträge als Beeinträchtigung wesentlicher Verteidigungsrechte rügt.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt in keinem Punkt Berechtigung zu. Die Abweisung des vom Verteidiger des Angeklagten (nach zwölfstündiger Verhandlungsdauer nach Abschluß des Beweisverfahrens) gestellten Antrags, die Hauptverhandlung "wegen der langen Dauer" zu vertagen, ohne diesen Antrag darüber hinaus (insbesondere für seine eigene Person) weiter zu begründen, bedeutete dem Beschwerdestandpunkt zuwider keinen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 3 lit b MRK, weil diese Konventionsbestimmung allein auf das (im Antragsvorbringen gar nicht in Frage gestellte) Recht des Angeklagten abstellt, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen. Die wenn auch außergewöhnlich lange Verhandlungsdauer für sich allein (siehe oben) stellte sich umsoweniger als die behauptete Hintansetzung wesentlicher Verteidigungsinteressen dar, als sowohl der Angeklagte selbst als auch die Geschwornen über Befragen vor dem ablehnenden Zwischenerkenntnis jedwede körperliche und geistige Überforderung im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Hauptverhandlung ausdrücklich verneinten (S 453/I). Im Hinblick auf die (auch von der Beschwerde eingeräumten) Unterbrechungen der Hauptverhandlung für Pausen in der Dauer von 10 bis 25 Minuten nach jeweils zwei bis drei Stunden Verhandlungsdauer kann auch davon nicht die Rede sein, daß ein sachabträgliches Ausmaß der verhandlungsbedingten Belastungen objektiv zwingend indiziert gewesen wäre.

Die Verfahrensrüge ist aber auch nicht im Recht, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür richtet, daß Erika R*** an den Tagen nach der Tat "infolge der starken Alkoholisierung, der Medikamentenzuführung und der Operationen nicht vernehmungsfähig" gewesen und in diesem Zustand infolge "fortgeschrittener Erkrankung" auch danach keine Änderung eingetreten sei (S 451 in bezug auf S 353/I). Diesen Antrag, der die Ausschaltung jedweden Beweiswerts der in Tonbandaufzeichnungen vom

26. und 27.Jänner 1989 festgehaltenen, den Angeklagten im Sinn des bekämpften Schuldspruchs belastenden Angaben seiner Ehefrau anläßlich ihrer ersten Befragung durch die Gendarmeriebeamten H*** und W*** bezweckte, wies das Erstgericht im wesentlchen mit der Begründung ab, daß sich Anhaltspunkte für eine seinerzeitige bzw noch aufrechte Vernehmungsunfähigkeit der Zeugin weder aus den Tonbandaufzeichnungen noch aus ihrem Auftreten in der Hauptverhandlung ergäben. Die dagegen erhobenen Beschwerdeeinwände, Erika R*** habe am 26. und 27.Jänner 1989 bei den informativen sicherheitsbehördlichen Befragungen (in postnarkotischem Zustand) in einzelnen Punkten (betreffend die Zubereitung einer Mahlzeit vor der Tat, den Ort der Abgabe des ersten Schusses durch den Angeklagten und die Kontaktaufnahme mit dem Ehepaar G*** unmittelbar nach der Tat) widersprüchliche Angaben gemacht und sei vom Zeugen Primarius Dr. Thomas P*** noch zwei bis drei Wochen nach der Tat als zur Wiedergabe zusammenhängender Erinnerungen unfähig eingestuft worden, erweisen sich schon deshalb als nicht stichhältig, weil sie die gesamte übrige Verfahrenslage unberücksichtigt lassen. Nach den Beweisergebnissen der Hauptverhandlung ist es in objektiver Hinsicht unbestritten, daß der Angeklagte mit seinem Schrotgewehr Schüsse auf seine Ehefrau, das gemeinsame Haustier und auf sich selbst abgab und solcherart Handlungen setzte, die sich in ihrer Gesamtheit als spezifischer Ausdruck einer auf die Vernichtung des engsten familiären Nahbereichs ausgerichteten Verzweiflungstat darstellen. Davon sowie von dem Umstand ausgehend, daß sich die erstgerichtliche Beurteilung der Zeugnisfähigkeit der Erika R*** auf deren jeweils zur Gänze in unmittelbarer Wahrnehmung überprüftes Aussageverhalten stützte, dessen relevierte (teils von der Zeugin selbst ausgeräumte - S 315/I) Ungereimtheiten durchwegs unwesentliche Details betreffen, war im Sinn der Begründung der Antragsabweisung von der abgelehnten Beweisaufnahme kein maßgebliches Ergebnis zu erwarten.

Nicht anders verhält es sich aber auch mit den vom Schwurgerichtshof weiters abgelehnten Anträgen auf (teils ergänzende) Vernehmung der Zeugen Oberarzt Dr. B*** und Primarius Dr. P***, weil nach dem Gesagten weder dem Eindruck des erstgenannten Arztes vom Zustand der Zeugin R*** bei ihrer medizinischen Erstversorgung nach der Tat, noch einer exakten kalendermäßigen Einordnung der (jedenfalls nicht in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Tat gemachten) Wahrnehmungen Dris. P*** über die spätere Gesundheitsverfassung der Ehefrau des Angeklagten entscheidungswesentliche Bedeutung zukommen konnte. Dies umso weniger, als die unmittelbaren tatrichterlichen Wahrnehmungen zum gesamten Aussageverhalten der Zeugin davon unberührt bleiben mußten. Was schließlich die Abweisung des Antrags auf Einholung einer weiteren gerichtspsychiatrischen Expertise zur Aufklärung angeblicher Widersprüche in der Beurteilung der Auswirkung einer mit Alkoholkonsum verbundenen Medikamenteneinnahme durch die Sachverständigen Dr. Bernd G*** und Dr. Ernst M***

einerseits sowie durch Dr. Egon Z*** andererseits anlangt, liegt der von der Beschwerde behauptete Verfahrensmangel auch in diesem Punkt nicht vor. Die (notorische) Möglichkeit einer durch Medikamentenkonsum gesteigerten Alkoholwirkung wurde nicht nur vom Sachverständigen Dr. Z*** (S 416/I), sondern auch von Dr. G*** und Dr. M*** bejaht (S 448 und 450/I). Eine Prüfung der Frage aber, ob bzw welche Anhaltspunkte im konkreten Fall für eine derartige Wirkungssteigerung sprechen, findet sich ausschließlich in den Ausführungen der Sachverständigen Dr. G*** und Dr. M*** (S 402, 448 und 450/I). Davon, daß die auf die Höhe des tataktuellen Blutalkoholwerts beschränkten Ausführungen des Sachverständigen Dr. Z*** zur Bejahung der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten in den Gutachten der beiden anderen gerichtspsychiatrischen Experten in unlösbarem (geschweige denn im Sinn des § 126 Abs. 1 StPO durch ein weiteres Gutachten aufklärungsbedürftigem) Widerspruch stünden, kann auch unter Mitberücksichtigung des von Dr. Z*** für bestimmte Modalitäten des Alkoholkonsums ermittelten maximalen Blutalkoholwerts von 2,7 Promille nicht die Rede sein.

Die insgesamt nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285 d, 344 StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Über die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das hiefür zuständige Oberlandesgericht Graz zu befinden haben.