JudikaturJustiz12Os35/20v

12Os35/20v – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Halswanter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen Gottfried G***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 19. November 2019, GZ 13 Hv 90/19a 9, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Schöndorfer zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./ (ersatzlos) und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:

Für die ihm nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen I./ weiterhin zur Last liegenden Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB wird Gottfried G***** nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB

zu einer Geldstrafe in Höhe von 240 Tagessätzen , für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe sowie zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt.

Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wird mit 15 (fünfzehn) Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gottfried G***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./; zur Konkurrenz mit § 205 Abs 2 StGB jüngst 11 Os 126/19t) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in S*****

I./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der ***** 1990 geborenen S***** S***** vorgenommen,

1./ indem er der Unmündigen seinen erigierten Penis in die Hand legte, ihre Hand anschließend mit seiner Hand hin und herbewegte und auf diese Weise Handverkehr an sich vornahm, und zwar

a./ zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1999/2000,

b./ wenige Monate nach dem im „Punkt I.1.“ (zu ergänzen: a./) dargestellten Vorfall,

2./ einige Stunden nach dem im Punkt I./1./b./ dargestellten Vorfall in der selben Nacht, indem er die Genannte mehrere Minuten lang mit seiner Zunge im Scheidenbereich leckte,

II./ durch die im Punkt I./ dargestellten Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person mit dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise berechtigt.

Der Mängelrüge (Z 5) ist voranzustellen, dass es sich bei den Begehungsweisen des § 207 Abs 1 StGB um ein alternatives Mischdelikt handelt ( Hinterhofer SbgK § 207 Rz 6). Abgrenzungsfragen hinsichtlich der solcherart rechtlich gleichwertigen Tatbestandsvarianten sind nicht entscheidend im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO. Dies gesteht der Beschwerdeführer implizit auch zu, indem er mit seinem Einwand, nach den Konstatierungen sei nicht klar, ob der Angeklagte durch den konstatierten Handverkehr geschlechtliche Handlungen an sich selbst oder am Opfer vorgenommen habe, auf eine günstigere Strafbemessung abzielt (vgl aber Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.113).

Die weitere (zu I./2./ erstattete) Beschwerdekritik beruht auf der unrichtigen Prämisse, dass das Tragen einer Unterhose das Vorliegen einer geschlechtlichen Handlung (zwangsläufig) ausschließen würde. Der Rechtsmittelwerber übersieht aber, dass selbst die – von der Beschwerde im Übrigen nicht in Frage gestellte – (intensive) Berührung der Geschlechtsteile über der Kleidung tatbildlich ist, wenn sie vom Opfer ähnlich wie in nacktem Zustand empfunden werden kann. Das ist bei Unterwäsche in der Regel der Fall (vgl RIS Justiz RS0095668, RS0095142 [T16]; Philipp in WK 2 StGB § 202 Rz 13; Hinterhofer SbgK § 202 Rz 29). Demgemäß geht der Einwand (nominell Z 5 zweiter, dritter und vierter Fall), die Annahme einer geschlechtlichen Handlung stehe im Widerspruch (der Sache nach Z 5 dritter Fall) zur Konstatierung, wonach das Opfer im Tatzeitpunkt eine Unterhose trug (US 4), ins Leere.

Indem die Tatrichter ihren Feststellungen die als glaubwürdig erachteten Angaben des Opfers S***** S***** zugrunde legten, brachten sie unter einem zum Ausdruck, dass sie den gegenteiligen Depositionen des Angeklagten sowie jenen zweier Zeuginnen keinen Glauben schenkten. Damit waren sie aber – dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend – nicht verpflichtet, sich mit den Details dieser Aussagen im Einzelnen zu befassen.

Im Übrigen bekämpft die Beschwerde mit dem Einwand, dass Eleonore G***** einen leichten Schlaf habe, sowie mit eigenständigen Beweiswerterwägungen dazu, dass während der sexuellen Übergriffe der am Tatort befindliche Fernseher nicht eingeschaltet gewesen sein kann, bloß die Beweiswürdigung des Schöffensenats nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Mit dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) bezieht sich der Beschwerdeführer auf die Wiedergabe der Depositionen des Opfers im Urteil, wonach „es sein könne, dass der Fernseher nur vorher aufgedreht war“ (US 10). Insoweit besteht jedoch zur Aussage der Zeugin S*****, dass der Fernseher gelaufen sei, sie aber nicht sagen könne, ob Eleonore G***** diesen in der Folge abgeschaltet habe, gar kein erheblicher Widerspruch (vgl RIS Justiz RS0099408).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit neuerlichem Hinweis auf Schlafstörungen der Zeugin Eleonore G***** und dem sich dadurch ergebenden, aus dem Blickwinkel der „Verbrecherlogik“ unvernünftig hohen Entdeckungsrisiko und mit Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt mit der Kritik, aus den Feststellungen gehe nicht eindeutig hervor, ob der Angeklagte durch den konstatierten Handverkehr geschlechtliche Handlungen an sich selbst oder am Opfer vorgenommen habe, die Anfechtungskriterien des erwähnten Nichtigkeitsgrundes. Denn mit § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO kann anstelle eines Schuldspruchs stets nur ein Freispruch begehrt werden ( Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.181) und nicht – worauf das Rechtsmittel erneut abzielt – eine günstigere Bewertung der Strafzumessungstatsachen. Insoweit kann auf die Erledigung der Mängelrüge verwiesen werden.

Im Recht ist die Beschwerde (Z 9 lit a) hingegen, soweit sie den Schuldspruch II./ als rechtsfehlerhaft kritisiert.

Strafbarkeit nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB liegt nur dann vor, wenn der Täter seine Stellung gegenüber der minderjährigen Person ausnützt (RIS Justiz RS0095264). Dieses Tatbestandsmerkmal verwirklicht, wer seine Autorität einsetzt, damit die geschützte Person die geschlechtliche Handlung setzt oder an sich geschehen lässt, also bewirkt, dass das Schutzobjekt gerade wegen seiner Abhängigkeit vom Täter in seinem Willen beeinflusst wird (RIS Justiz RS0095266). Die Ausnützung des Autoritätsverhältnisses setzt dabei ein gezieltes, für den Erfolg kausales Täterverhalten im Sinne eines Einsatzes dieser Autorität voraus; bloße Ausnützung einer sich lediglich im Zusammenhang mit der Stellung des Täters bietenden Gelegenheit reicht nicht, wohl aber ein dem Täter wie dem Opfer bewusster schlüssiger Einsatz des Abhängigkeitsverhältnisses (RIS Justiz RS0095185). Diese Tatbestandsvoraussetzung ist bei Schlafenden ausgeschlossen ( Hinterhofer , SbgK § 212 Rz 47 mwN; Philipp in WK 2 StGB § 212 Rz 10).

Feststellungen, ob der Angeklagte bei Verwirklichung des von den Schuldsprüchen nach § 207 Abs 1 StGB umfassten Sachverhalts seine Autorität als zusätzliches Mittel gegenüber dem (mittlerweile aus dem Schlaf erwachten) Opfer eingesetzt hat, damit diese die Missbrauchshandlungen geschehen lasse, und nicht bloß das sich ihm bietende Gelegenheitsverhältnis ausgenützt hat, enthält das angefochtene Urteil – wie die Beschwerde zutreffend darlegt – jedoch nicht. Vielmehr gingen die Tatrichter in tatsächlicher Hinsicht geradezu vom Gegenteil aus, indem sie konstatierten, dass der Angeklagte die geschlechtlichen Handlungen jedesmal dann beendete, wenn das Opfer erwachte (vgl US 4).

Ersatzlose Aufhebung des Schuldspruchs II./ ist die Folge.

Bei der damit erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie die Ausnützung der Wehr und Hilflosigkeit des schlafenden Opfers (§ 33 Abs 1 Z 7 StGB), als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und das lange Zurückliegen der Tat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB).

Mit Rücksicht auf diese Strafbemessungsgründe und das Verschlechterungsverbot (§§ 16, 295 Abs 2 erster Satz StPO) sah sich der Oberste Gerichtshof dazu bestimmt, das Strafmaß – entsprechend dem Erstgericht – mit einer bedingt nachzusehenden Freiheitsstrafe von 14 Monaten sowie einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen festzusetzen.

Die Höhe des einzelnen Tagessatzes war mit Blick auf sein monatliches Einkommen mit 15 Euro festzusetzen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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