JudikaturJustiz12Os163/99

12Os163/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Podrazil als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Adnan S***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 30. September 1999, GZ 10 Vr 1175/98-71, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Dolmetschers Serdar Bilge, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Zöhrer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der türkische Staatsangehörige Adnan S***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 18. April 1998 in Graz in der Justizanstalt Graz-Karlau seinen Mithäftling Ismet O***** durch gezielte Stiche mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 25 cm gegen dessen Herz- und Brustbereich vorsätzlich zu töten versuchte, wobei die Tatvollendung an der heftigen Gegenwehr des Tatopfers und wegen des Dazwischentretens von zwei Mithäftlingen scheiterte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 345 Abs 1 Z 6 und Z 13 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider bedeutete es keine Verletzung (Z 6) der Vorschriften der §§ 313 und 314 StPO, dass das Fragenschema Eventualfragen (zur anklagekonformen Hauptfrage nach Mordversuch) weder in Richtung versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB und absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB noch - im Zusammenhang mit Zusatzfragen nach Notwehr und Notwehrexzess - in Richtung fahrlässiger Körperverletzung nach §§ 88 Abs 1 und Abs 4 (81 Z 1) StGB aufwies.

Richtig ist zwar, dass die nach einem objektiv-normativen Maßstab vorzunehmende Beurteilung, ob eine heftige Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist, die Einbeziehung aller konkreten Tatmodalitäten und psychologischen Zusammenhänge in die entscheidungsleitenden Erwägungen erfordert, wobei sich der jeweils nach dem Einzelfall zu individualisierende objektive Maßstab auch am Lebenskreis des Angeklagten mitzuorientieren hat (Leukauf-Steininger Komm3 § 76 RN 12 und 13). Unter Berücksichtigung des jeweils fallbezogenen psychologischen Konnexes (hier: Zugehörigkeit von Täter und Opfer zu gegenseitig verfeindeten ausländischen Volksgruppen) kommt allerdings Totschlag nur in Betracht, wenn eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde Affektanfälligkeit von Ausländern für Inländer trotz aller Fremdheit noch als sittlich verständlich beurteilt werden kann. Denn bei der Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung ist unter Anlegung eines individualisierenden objektiv-normativen Maßstabes vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist (WK1 § 76 Rz 36, ua 12 Os 123/81).

Nach den dargelegten Kriterien können aber - abgesehen davon, dass schon eine hochgradige Affektspannung des Beschwerdeführers auf Grund der Verfahrensergebnisse nicht fassbar ist - weder eine aus einem die gegenständliche Tat auslösenden Faustschlag des Tatopfers resultierende - durch die Position des Angeklagten in der internen Hierarchie der Strafgefangenen und eine Gruppenbildung von Häftlingen verschiedener Nationalität aktzentuierte - Erniedrigung noch der Kulturkreis, dem der Angeklagte zuzuordnen ist, die Annahme der allgemeinen Begreiflichkeit einer tatbestandsspezifischen Gemütsbewegung begründen, weshalb eine Eventualfrage in Richtung Totschlag zu entfallen hatte.

Da sich eine Fragestellung nach §§ 313, 314 und 316 StPO ausschließlich daran zu orientieren hat, ob die betreffende Frage durch ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung indiziert ist (Mayerhofer StPO4 § 313 ENr 13 ff), sind die Beschwerdehinweise auf die Verantwortung des Angeklagten im Vorverfahren vorweg unbeachtlich. Weder seine Einlassung in der Hauptverhandlung noch sonstige Ergebnisse des Beweisverfahrens hingegen bieten eine taugliche Grundlage für die darüber hinaus monierten Fragestellungen. Denn der Beschwerdeführer stellte nicht nur - jeweils ohne Widerspruch zum sonstigen, im gegebenen Kontext relevanten Beweissubstrat - zunächst jedweden Verletzungsvorsatz und die Verletzung des Zeugen O***** durch Messerstiche in Abrede (S 68, 71, 74/II), sondern behauptete - partiell im Widerspruch dazu - ferner, nicht mehr zu wissen, was bei dem Handgemenge passiert sei, das zwischen ihm und O***** entstanden sei und in dessen Verlauf dieser die in Rede stehenden Stichverletzungen erlitt (S 69, 74/II).

Bei dieser Sachlage lehnte der Schwurgerichtshof die Aufnahme der vom Angeklagten beantragten weiteren Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung, aber auch die Zusatzfragen nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB) und Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB) in das Fragenschema zu Recht als (gleichfalls) nicht indiziert ab.

Soweit sich der Beschwerdeführer schließlich gegen die Höhe der vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe unter dem Gesichtspunkt eines - nicht substantiierten - Verstoßes "gegen die allgemeinen Grundsätze des § 32 StGB" und gegen die Nichtannahme eines weiteren Milderungsgrundes wendet, bringt er den dazu herangezogenen Nichtigkeitsgrund (Z 13) nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Denn die Beschwerde macht damit - soweit sie einer sachbezogenen Erörterung überhaupt zugänglich ist - in Wahrheit eine nicht sachgerechte Ermessensausübung des Geschworenengerichtes, somit einen Berufungsgrund geltend (Mayerhofer aaO § 281 Z 11 EGr 6).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von neunzehn Jahren und elf Monaten als Zusatzstrafe zu der im Verfahren AZ 5 U 141/98t des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz ausgesprochenen Freiheitsstrafe von einem Monat.

Bei der Strafbemessung wertete es drei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorverurteilungen als erschwerend, als mildernd hingegen, dass es beim Versuch blieb.

Mit seiner dagegen erhobenen Berufung strebt der Angeklagte eine Strafreduktion im wesentlichen mit der Begründung an, das Erstgericht habe den Milderungsumstand, dass es beim Versuch des Verbrechens des Mordes geblieben sei, "nicht entsprechend in die Strafbemessung einfließen lassen" und ferner nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat habe hinreißen lassen.

Auch die Berufung ist nicht berechtigt.

Wie bereits dargelegt, kann von einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten, der die der inkriminierten Tat vorangehende tätliche Auseinandersetzung mit dem Tatopfer, in der er unterlag, provozierte und dieses sodann mit einem Messer neuerlich attackierte, keine Rede sein.

Bei der aktuellen Sachkonstellation, insbesondere in Anbetracht des unter anderem durch Vorverurteilungen wegen Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 StGB zu drei Jahren Freiheitsstrafe und wegen Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG und anderer Delikte zu neun Jahren Freiheitsstrafe massiv getrübten Vorlebens des Angeklagten und unter Berücksichtigung seiner durch ungehemmte einschlägige Aggressionsbereitschaft (177/I) geprägten Persönlichkeitsstruktur, eröffnet das hier - noch dazu im Strafvollzug und mit speziell für diesen Bereich potenziertem Destabilisierungseffekt - verwirklichte Tatunrecht fallbezogen keine Aspekte für eine berufungskonforme Strafkorrektur. Das in erster Instanz ausgesprochene Strafausmaß erweist sich somit - auch aus spezial- und generalpräventiver Sicht - als nicht überhöht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.