JudikaturJustiz12Os152/98

12Os152/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Cihlar als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Inge E***** wegen des Vergehens des Sachwuchers nach § 155 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Inge E***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 18. Juni 1998, GZ 13 Vr 496/96-65, sowie über die Beschwerde der Angeklagten gegen den gleichzeitig mit dem Urteil gefaßten Beschluß gemäß § 494a Abs 2 StPO nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugemittelt.

Gemäß § 390a StPO fallen der Angeklagten die bisherigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Inge E***** des Vergehens des Sachwuchers nach § 155 Abs 1 StGB (A des Urteilssatzes) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat sie

A/ am 7. Mai 1996 sowie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Mitte Mai 1996 und am 25. März 1996 in Mixnitz, Tobelbad und Preitenegg gewerbsmäßig den Mangel am Urteilsvermögen der Barbara St*****, der Cäcilia W***** und des Norbert L***** dadurch ausgebeutet, daß sie ihnen Bettwäsche unter der Vorspiegelung, es handle sich um qualitativ hochwertige, teure Ware, um ein Mehrfaches des wahren Wertes verkaufte, sich mithin für Waren einen Vermögensvorteil gewähren ließ, der in auffallendem Mißverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stand;

B/ fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von insgesamt 23.000 S, nachgenannten Personen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

1. am 25. März 1996 in Preitenegg dem Norbert L***** 18.000 S, und

2. am 4. Februar 1998 in Bärnbach dem Johann R***** 5.000 S.

Das Erstgericht verhängte hiefür über die Angeklagte nach §§ 28, 127 StGB eine unbedingte Freiheitsstrafe und faßte ferner im Hinblick darauf, daß "die Bewährungshelferin der Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 18. 6. 1998 nicht anwesend war", den Beschluß, dem Landesgericht für Strafsachen Graz "gemäß § 494a Abs 2 letzter Satz StPO die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung (der Angeklagten) zu 2 BE 3004/94 vorzubehalten".

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Schuldsprüche aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a, lit b und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt in keinem Punkt Berechtigung zu.

Der Detailerwiderung ist voranzustellen, daß die von der Beschwerde mehrfach thematisierte, "auf den Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung im Sinn des § 3 StPO und der Waffengleichheit" gestützte, vorliegend vermißte amtswegige Ausschöpfung von - überdies partiell unsubstantiiert gebliebenen - Beweismitteln nicht mit den dazu herangezogenen Nichtigkeitsgründen der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht werden kann, weshalb die dazu erstatteten Rechtsmittelausführungen auf sich zu beruhen haben.

Was darüber hinaus den in der Hauptverhandlung vom 18. Juni 1998 gestellten (121/II) Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Textilfach zur Ermittlung des Wertes der an Barbara St***** verkauften Bettwäsche (Teilfaktum zu A) anlangt, so bedeutete seine Abweisung - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - keine Beeinträchtigung wesentlicher Verteidigungsrechte. Erweist sich doch die dazu aktenkundige Wertermittlung durch Einholung einer (mit Vorlage der Wäschestücke verbundenen) fachkundigen Auskunft (in diesem Fall seitens der Fa. Le***** - 47/I) als ebenso tragfähig, wie analoge Veranlassungen zu weiteren Teilfakten (347, 501/I). Konkrete Anhaltspunkte für überprüfungsbedürftige Unschlüssigkeiten wurden dazu weder behauptet noch sonst aktenkundig.

Aber auch durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 18. Juni 1998 gestellten, das Faktum B 2 betreffenden Beweisantrages auf Einvernahme der erhebenden Gendarmeriebeamten "zum neu hervorgekommenen Faktum und auch zum Beweis dafür, daß die Angeklagte von sich aus - entsprechend ihrer Verantwortung - die 5.000 S den Beamten übergeben hat ..." (121/II) wurden wesentliche Verteidigungsinteressen nicht beeinträchtigt, weil zum einen die zitierte (bloße) Formulierung "zum neu hervorgekommenen Faktum" die Anführung jener Umstände, die durch ein beantragtes Beweismittel erwiesen werden sollen, nicht erkennen läßt, weshalb die erfolgreiche Geltendmachung einer Verfahrensrüge insoweit schon in formeller Hinsicht ausgeschlossen ist (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 EGr 16 bis 18) und zum anderen das Erstgericht im übrigen ohnedies vom gewünschten Beweisergebnis ausging - US 8 (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 EGr 63a).

Der weitere auf eine Befragung der im Wege eines der Gendarmerie zu erteilenden Erhebungsauftrages erst auszuforschenden "unmittelbar an das Haus L***** grenzenden, wohnhaften Bewohner der Gemeinde Preitenegg zum Nachweis dafür, daß die Angeklagte zum Tatzeitpunkt 25. 3. 1996 nicht am Anwesen L***** war" und damit auf eine vorsorgliche Sondierung potentieller Beweisquellen zum Schuldspruchfaktum B 1 ausgerichtete Antrag läuft auf die Einholung eines unzulässigen Erkundungsbeweises hinaus, weshalb durch seine Ablehnung gleichfalls Verteidigungsrechte nicht berührt wurden.

Schließlich konnte auch die Frage als nicht entscheidend auf sich beruhen, ob die vom Geschädigten Norbert L***** erstattete Strafanzeige (Teilfakten A; B 1) primär wegen des wucherischen Wäscheverkaufs oder wegen des Diebstahlsverdachtes erstattet wurde, weshalb in erster Instanz zu Recht die dazu beantragte Vernehmung der Zeugin Adele G***** entfiel.

Auch die zu den Fakten A; B 1 und 2 ausgeführte Mängelrüge (Z 5) geht ins Leere.

Soweit der Beschwerdeführer mehrfach - zusammenfassend - einwendet, daß die von den Tatrichtern zu den in Rede stehenden Diebstählen getroffenen Feststellungen mangels konkreter Wahrnehmungen der Geschädigten "über die Art und Weise der Diebstähle allesamt auf einer unstatthaften Vermutung beruhen", ist ihm vorweg zu entgegnen, daß er das Wesen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) verkennt, die das erkennende Gericht nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Beweisergebnisse in ihrem Zusammenhang zu würdigen, durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ergänzen und seine Überzeugung frei von jeder Beweisregel auf in diesen Prämissen wurzelnde denkrichtige Schlüsse zu stützen (12 Os 161/89; Mayerhofer aaO 258 ENr 26 f, 30). Auf dieser Grundlage gelangte das Erstgericht aber zum Schuldspruch des Angeklagten wegen in zwei Angriffen begangenen Diebstahls, setzte sich dazu mit den Verfahrensergebnissen hinlänglich auseinander und kam damit seiner Begründungspflicht mängelfrei nach (US 7 f, 10, 12).

Im einzelnen ist den von der Beschwerde dargelegten vermeintlichen Begründungsmängeln zu erwidern:

Die zur Stützung der Verantwortung der Angeklagten, wonach sie am 25. März 1996 (Tatzeit zum Faktum A 1) mit ihrem Lebensgefährten Zustellungen durchge- führt habe und aus diesem Grund als Täterin nicht in Frage komme, vorgelegten "Roll-Listen" (137 ff/I) waren mangels jedweden Aussagewerts zur Person der (des) Zusteller(s) ebensowenig erörterungsbedürftig, wie die vermeintlich mangelhafte Erhebungstätigkeit der mit der Anzeige befaßten Gendarmeriebeamten, die dem Zeugen L*****, der zwar keine genaue Beschreibung der Angeklagten abgeben konnte, sie aber bei ihrer zweiten Vorsprache wiedererkannt hatte (361/I), ein Foto der Angeklagten vorzeigten, die er sofort als die von ihm des Diebstahls verdächtigte Person bezeichnete (349/I) und die er ferner - damit konform - überdies anläßlich einer Wahlkonfrontation mit Sicherheit als Täterin identifizierte. Gleiches gilt mangels fallspezifischer Relevanz für die Aussage der Zeugin Anna M***** zur Frage, wann die Angeklagte bei ihr war, ob sie "wegen des Osterfleisches" zu ihr kam und von wem sie erfuhr, daß der Zeuge L***** bestohlen wurde.

Die behaupteten formalen Begründungsmängel (Z 5) liegen aber auch nicht vor, soweit das angefochtene Urteil zum Faktenkomplex A - entgegen der gleichzeitigen Beschwerdereklamation entsprechender Feststellungsmängel (Z 9 lit a) ausdrücklich und unmißverständlich (US 5, 6, 11 und 13) - von einem bei den Tatgeschädigten St*****, W***** und L***** gegebenen Mangel am Urteilsvermögen ausging. Werden doch dazu neben dem fortgeschrittenen Lebensalter durchaus im Sinn der - zu Unrecht - gerügten Annahmen tragfähige weitere Komponenten (jeweils gezielte Anbahnung einer situationsbedingten Opferüberforderung) ins Treffen geführt, die sich auf unmittelbare oder mittelbar erhobene Angaben der tatbetroffenen Personen stützen.

Das darüber hinausgehende Vorbringen der Mängelrüge erschöpft sich, wie etwa die mehrfache Bezugnahme auf den Zweifelsgrundsatz, die Betonung nicht auszuschließender Erinnerungslücken des Zeugen L*****, aber auch die Unterstreichung der Plausibilität der Täterverantwortung und die Behauptung verdeutlichen, das Erstgericht habe sich beim Schuldspruchfaktum B 2 von den einschlägigen Vorverurteilungen der Angeklagten leiten lassen, in einer (hier) unzulässigen Kritik an der Beweiswürdigung des Schöffensenates nach Art einer Schuldberufung.

Inhaltlich der mit dem Urteilsspruch eine Einheit bildenden Entscheidungsgründe stellte das Erstgericht zu den Schuldspruchfakten B 1 und 2 ein Handeln der Angeklagten mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung unmißverständlich fest (US 2 f, 7 f).

Der gegenteilige Beschwerdestandpunkt (Z 9 lit a) läßt somit die gebotene Orientierung am Urteilssachverhalt vermissen.

Gleiches gilt für die zum Faktum B 2 die Annahme des Strafaufhebungsgrundes der tätigen Reue (§ 167 StGB) anstrebende, ausschließlich unter dem Aspekt der Freiwilligkeit der Schadensgutmachung ausgeführte, die (hier nicht vorliegende - US 8) Prämisse der Rechtzeitigkeit hingegen zur Gänze vernachlässigende Rechtsrüge (Z 9 lit b).

Auch die Subsumtionsrüge (Z 10) erweist sich als insgesamt nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Zu der damit (wie auch aus der Sicht formaler Begründungsmängel - Z 5) problematisierten Gewerbsmäßigkeit der sachwucherischen Wäscheverkäufe (Faktenkomplex A) beschränkt sich das angefochtene Urteil nämlich keineswegs auf eine bloße Wiedergabe der entsprechenden gesetzlichen Begriffsdeterminierung im Sinne einer fehlenden fallbezogenen tatsächlichen Fundierung. Wird doch in diesem Zusammenhang eine Reihe von (insgesamt mängelfrei tragfähigen) Faktoren, wie die vorausgegangene Verurteilung der Angeklagten wegen spezifisch gleichgelagerter sachwucherischer Wäscheverkäufe, ihr konzeptmäßig auf die Kontaktierung altersbedingt schwerfälliger Personen ausgerichtetes Vorgehen in den hier aktuellen Anlaßfällen mit ersichtlich gezielter Tatwiederholung, sinnfällige Tedenzen zur situationsbedingten Verwirrung und Überforderung der Opfer - US 5, 6, 10 bis 13 - hervorgehoben, deren kontextabhängige Gewichtung eine durchaus geeignete Tatsachengrundlage für die Bejahung gemäß § 155 Abs 1 StGB tatbestandsbegründender Gewerbsmäßigkeit darstellt. Der insoweit eindeutige Aussagewert der dazu konkreten Urteilsfeststellungen und die dafür maßgebenden erstgerichtlichen Begründungspassagen bleiben in der Beschwerdeargumentation aber unberücksichtigt. Daß die Angeklagte ab Mitte Mai 1996 keine weiteren gleichartigen Tathandlungen setzte, steht der Annahme vorausgegangenen gewerbsmäßigen Handelns schon deshalb nicht entgegen, weil ihr spätetestens ab der am 22. Mai 1996 durchgeführten sicherheitsbehördliche Hausdurchsuchung die Anhängigkeit der gegen sie gerichteten Ermittlungen und solcherart das erhöhte Aufdeckungsrisiko bekannt war (23/I).

Die Reklamation einer Tatbeurteilung ausschließlich nach § 146 StGB setzt sich über die - wie dargelegt ausdrücklich und unmißverständlich - konstatierten Kriterien strafbaren Sachwuchers hinweg.

Die teils offenbar unbegründete, teils nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 285a Z 2 StPO).

Über die von der Angeklagten außerdem erhobene Berufung und ihre nominell gegen einen nicht existenten Widerrufsbeschluß, der Sache nach aber gegen den (- zufolge gemäß § 494a Abs 1 und Abs 2 StPO fallspezifisch zu bejahender zwingender Widerrufskompetenz des erkennenden Schöffengerichtes - verfehlten) eingangs bezeichneten Beschluß des Erstgerichtes gerichtete (im übrigen unzulässige - § 498 Abs 1 StPO) Beschwerde hat das Oberlandesgericht Graz zu befinden (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.