JudikaturJustiz12Os15/22f

12Os15/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kostersitz in der Strafsache gegen * M* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 erster Fall, 12 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 71 Hv 98/20f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Mai 2020, AZ 179 Bl 2/20y (ON 375) und AZ 179 Bl 3/20w (ON 376), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, der Verteidiger Dr. Kollmann, Mag. Weimann, Mag. Pauer, Mag. Kregjck und des Opfervertreters Dr. Friedl, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien stellte am 13. November 2019 das zu AZ 607 St 10/18a gegen * M* und andere Beschuldigte in Richtung des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 erster Fall, 12 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 2 StPO ein und verständigte davon die D* AG und die A*-AG gemäß § 194 Abs 1 StPO (ON 1 S 173).

[2] Am 2. Dezember 2019 verlangte die D* AG eine Begründung gemäß § 194 Abs 2 zweiter Satz StPO und führte zur Rechtzeitigkeit aus, dass ihr die Verständigung von der Einstellung des Verfahrens (§ 194 Abs 1 StPO) am 25. November 2019 zugestellt worden sei (ON 336, per ERV).

[3] Die Staatsanwaltschaft verfügte am 6. Dezember 2019 die Zustellung der Begründung (ON 340, abgefertigt am 9. Dezember 2019; ON 1 S 181).

[4] Am 23. Dezember 2019 begehrte die D* AG die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 195 Abs 1 Z 2 StPO. Zur Rechtzeitigkeit des Antrags führte sie aus, ihr sei die Einstellungsbegründung am 10. Dezember 2019 zugestellt worden (ON 352, per ERV).

[5] Am 29. November 2019 teilte die A*-AG mit, dass ihr die Verständigung von der Einstellung des Verfahrens am 28. November 2019 zugegangen sei und behielt sich vor, fristgerecht eine Begründung zu verlangen (ON 334, per ERV).

[6] Am 10. Dezember 2019 beantragte die A *- AG (per ERV; vgl ON 345) eine Begründung gemäß § 194 Abs 2 zweiter Satz StPO, deren Zustellung die Staatsanwaltschaft am 16. Dezember 2019 verfügte (ON 349, ON 1 S 183; abgefertigt am 17. Dezember 2019).

[7] Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2019 begehrte die A*-AG schließlich die Fortführung des Ermittlungsverfahrens. Zur Rechtzeitigkeit des Antrags führte sie aus, dass dem Privatbeteiligtenvertreter die Einstellungsbegründung am 17. Dezember 2019 zugestellt worden sei (ON 353, per ERV).

[8] Mit Beschlüssen vom 27. Mai 2020, AZ 179 Bl 2/20y (ON 375) und AZ 179 Bl 3/20w (ON 376), gab das Landesgericht für Strafsachen Wien den Fortführungsanträgen im Umfang der Betrugsvorwürfe (teilweise) statt.

[9] Am 30. September 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage (unter anderem) gegen * M* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB und beantragte die Verhängung einer Verbandsgeldbuße über Verbände (ON 1 S 217 f, ON 394). Sämtliche Anklagevorwürfe waren Gegenstand der mit obigen Beschlüssen angeordneten Verfahrensfortführung.

[10] In ihrer gegen die vorgenannten Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) führt die Generalprokuratur aus:

Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines gemäß den §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zugrunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).

Gemäß § 195 Abs 2 dritter Satz StPO muss der Antrag [auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens] (ua) die zur Beurteilung seiner fristgemäßen Einbringung notwendigen Angaben enthalten (vgl Nordmeyer , WK StPO § 195 Rz 27; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 195 Rz 18 [insb FN 10]; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1113; Steiner in LiK-StPO § 195 Rz 59 [insb FN 136]). Anträge, die den – auch die genannten Angaben zur formalen Zulässigkeit umfassenden – Voraussetzungen des § 195 StPO nicht entsprechen, sind gemäß § 196 Abs 2 erster Satz StPO zurückzuweisen (vgl EBRV zum Budgetbegleitgesetz 2009 113 BlgNR 24. GP 37; Nordmeyer , WK-StPO § 195 Rz 27 und § 196 Rz 4/1; Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 196 Rz 5; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1119; Steiner in LiK StPO § 195 Rz 59), selbst wenn sie – nach der Aktenlage – rechtzeitig eingebracht wurden (vgl RIS-Justiz RS0133604; aM Ratz , EvBl-LS 2021/92, 587, wonach der Antrag nur dann Angaben zur fristgemäßen Einbringung zu enthalten habe, wenn sich dessen Rechtzeitigkeit nicht ohnedies bereits aus dem – zulässigen – Rückgriff auf den Akt ergäbe, weil nur dann Angaben zu deren Beurteilung „notwendig“ seien).

Die zu Gunsten des Beschuldigten entwickelte Rechtsprechung zur – § 195 Abs 2 dritter Satz StPO ähnlichen – Bestimmung des § 3 Abs 1 letzter Satz GRBG (wonach die Unterlassung der Anführung des Tages, der für den Beginn der Beschwerdefrist maßgeblich ist, nicht zur Zurückweisung der Grundrechtsbeschwerde führt, wenn sich deren Rechtzeitigkeit aus den Akten ergibt [RIS Justiz RS0114092]) ist auf das in den §§ 195 f StPO geregelte „Fortführungsrecht“ nicht übertragbar, weil § 196 Abs 2 erster Satz StPO – im Unterschied zum GRBG – die Zurückweisung des Fortführungsantrags für den Fall unterbliebener Angaben zur Rechtzeitigkeit ausdrücklich anordnet (arg: „... hat das Gericht als unzulässig zurückzuweisen...“; vgl dazu auch Gw 14/17t = JSt GP 2017/3, 253; Steiner in LiK StPO § 195 Rz 59 [insb FN 135]; abermals RIS Justiz RS0133604 = 11 Os 29/21f).

Gemäß § 195 Abs 2 erster Satz StPO ist der Antrag binnen vierzehn Tagen nach Verständigung von der Einstellung (§ 194 StPO) oder im Fall eines fristgerecht eingebrachten Verlangens nach § 194 Abs 2 StPO nach Zustellung der Einstellungsbegründung, wurde jedoch das Opfer von der Einstellung nicht verständigt, innerhalb von drei Monaten ab der Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft einzubringen.

Der – in Rede stehende – § 195 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StPO stellt ausdrücklich auf ein fristgerecht eingebrachtes Verlangen auf Einstellungsbegründung ab. Gemäß § 195 Abs 2 dritter Satz StPO hat der Fortführungsantrag ua die zu seiner fristgerechten Einbringung notwendigen Angaben zu enthalten. Im hier aktuellen Fall des § 195 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StPO muss der Fortführungsantrag somit kumulativ die jeweiligen Zeitpunkte im Betreff der Zustellung der Verständigung von der Einstellung, des Verlangens auf Einstellungsbegründung und schließlich der Zustellung der Einstellungsbegründung anführen (aM offenbar Nordmeyer in WK StPO § 195 Rz 27, wonach unter den zur Beurteilung seiner fristgemäßen Einbringung notwendigen Angaben insbesondere das Datum der Zustellung einer gemäß § 194 StPO erfolgten Verständigung oder der erweiterten Einstellungsbegründung zu verstehen ist; ähnlich Steiner in LiK StPO § 195 Rz 59). Das Datum des Verlangens auf Einstellungsbegründung ist zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit auch deshalb erforderlich, weil die Staatsanwaltschaft keine Überprüfungspflicht trifft und es ihr unbenommen bleibt, einem selbst nach Verstreichen der 14 tägigen Frist des § 194 Abs 2 zweiter Satz StPO gestellten Verlangen auf Bekanntgabe der Einstellungsbegründung nachzukommen.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab den – auf Aktenbasis als rechtzeitig beurteilten (ON 375 S 2 f und ON 376 S 2) – Fortführungsanträgen im bereits erwähnten Umfang statt, obwohl diese nur den Tag der Zustellung der Einstellungsbegründung enthielten und somit nicht allen in § 195 Abs 2 dritter Satz StPO iVm § 195 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StPO statuierten formalen Erfordernissen entsprachen. Damit verletzen die Beschlüsse § 195 Abs 2 dritter Satz StPO iVm § 196 Abs 2 erster Satz StPO.

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht den Angeklagten und den belangten Verbänden zum Nachteil, weswegen deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[11] Gemäß § 195 Abs 2 dritter Satz StPO muss der Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens (soweit hier von Relevanz) die zur Beurteilung seiner fristgemäßen Einbringung notwendigen Angaben enthalten. Kann aber die Einhaltung der Fristen des § 195 Abs 2 erster Satz StPO (wie hier) schon anhand der Aktenlage bestimmt werden, sind weitere Angaben dazu nicht „notwendig“ und daher kein (unabdingbares) inhaltliches Zulässigkeitskriterium ( Ratz , EvBl 2021/92, 587; ebenso Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1113: nur bei nicht offensichtlicher Antragslegitimation; Hollaender , JSt 2021, 419; aM 11 Os 29/21f).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.