JudikaturJustiz12Os146/97

12Os146/97 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Jänner 1998 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Adamovic, Dr.Habl, Dr.Zehetner und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kubiczek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr.Marion K***** wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 23.Mai 1996, AZ 22 Bs 175/96 (= GZ 27 a Vr 13684/95-10 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß, jedoch in Abwesenheit der (seinerzeitig) Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit Beschluß vom 10.April 1996, GZ 27 a Vr 13684/95-4, verfügte die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über Antrag des Privatbeteiligten Ing.Werner S*****, dessen Anzeige die Staatsanwaltschaft Wien zuvor am 3.November 1995 gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt hatte, die Einleitung der Voruntersuchung gegen Dr.Marion K***** wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 StGB.

Die dagegen von der Beschuldigten erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 23.Mai 1996, AZ 22 Bs 175/96 (= ON 10), als unzulässig zurückgewiesen.

Seine Entscheidung begründete das Beschwerdegericht damit, daß die sich aus § 114 Abs 1 Z 1 (richtig: Z 2) StPO aF ergebende Anfechtbarkeit des Ratskammerbeschlusses auf Einleitung der Voruntersuchung (§ 48 Z 1 StPO) nach Inkrafttreten des StPÄG 1993, BGBl 1993/526, durch Neufassung dieser Bestimmung unter gleichzeitiger gesetzlicher Klarstellung, daß ein Rechtszug an den Gerichtshof zweiter Instanz nur in den im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig ist (§ 113 Abs 4 StPO), beseitigt worden sei. Nach Ansicht des Beschwerdegerichtes, das sich hiezu auf die Rechtsmeinung in Foregger-Kodek StPO6 § 114 E III zu stützen vermochte, entscheidet die Ratskammer daher über einen Subsidiarantrag nach § 48 Z 1 StPO endgültig.

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien steht nach Ansicht des Generalprokurators mit dem Gesetz nicht im Einklang; er führt dazu wörtlich aus:

§ 113 StPO (neue Fassung) regelt nur jene Fälle, in denen von der Ratskammer ein (gegenüber der Rechtslage vor dem StPÄG 1993 eingeschränktes) Aufsichtsrecht über den Untersuchungsrichter ausgeübt wird. Wird dagegen die Ratskammer außerhalb dieses Bereiches (wie letztere bei Beschlußfassung über einen Antrag des Privatbeteiligten auf Einleitung der Voruntersuchung gemäß § 48 Z 1 StPO) als erste Instanz tätig, kann aus der Bestimmung des § 113 Abs 4 nF (entgegen der von Foregger/Kodek im obzitierten Kurzkommentar vertretenen Rechtsansicht) der Ausschluß jeglicher Beschwerdemöglichkeit gegen derartige Entschei- dungen nicht abgeleitet werden. Dies ergibt sich schon daraus, daß § 113 Abs 4 StPO nF von einem weiteren Rechtszug spricht, sohin Entscheidungen der Ratskammer erster Instanz ersichtlich nicht im Auge hat.

Schon den Materialien zum StPÄG 1993 ist zu entnehmen, daß der damalige Gesetzgeber keineswegs beabsichtigte, dem Beschuldigten eine (bis dahin im Gesetz durch § 114 Abs 1 Z 2 StPO ausdrücklich vorgesehene) Beschwerdemöglichkeit gegen einen derart einschneidenden Verfahrensschritt, wie ihn die Einleitung der Voruntersuchung darstellt, zu entziehen. Darnach war nämlich eines der Hauptziele des StPÄG 1993 die Stärkung der Stellung des Untersuchungsrichters, nicht aber eine Schwächung von Beschuldigtenrechten. Gemäß dieser Aufwertung des Untersuchungsrichters, der bis dahin unter anderem bei Bedenken gegen die Einleitung oder Aufrechterhaltung der Voruntersuchung nur einen Beschluß der Ratskammer einholen konnte (§ 92 Abs 3 und 109 Abs 2 StPO jeweils aF) - gegen deren Entscheidung, sofern die Ratskammer selbst über die Einleitung oder Einstellung der Voruntersuchung entschieden hat, die Beschwerde an den Gerichtshof II.Instanz zustand (§ 114 Abs 1 Z 2 StPO aF) - kann seither der Untersuchungsrichter auch über Anträge des Anklägers auf Einleitung und Einstellung der Voruntersuchung selbständig entscheiden. Zur Gewährleistung eines zweiinstanzlichen Verfahrens wurde gegen derartige Entscheidungen des Untersuchungsrichters dem Beschuldigten und dem Ankläger die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz eingeräumt (§§ 92 Abs 3 und 109 Abs 2 StPO, jeweils in der Fassung des StPÄG 1993; vgl JAB 1157 BlgNR 18.GP 3,4).

Im Bericht des Justizausschusses zum StPÄG 1993 wurde hiezu weiters ausdrücklich festgehalten, daß unter einem Beschluß des Untersuchungsrichters, mit dem über die Einstellung der Voruntersuchung entschieden wird, sowohl der Beschluß, die Voruntersuchung einzustellen, als auch die Abweisung eines auf die Einstellung zielenden Antrages zu verstehen ist. In beiden Fällen steht die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu. An gleicher Stelle wird vom Justizausschuß auch begründet, daß wegen des im Vorverfahren grundsätzlich gewährleisteten zweinstanzlichen Verfahrens vom Untersuchungsrichter zur Ratskammer (weil die allgemeine Beschwerdemöglichkeit gemäß § 113 Abs 1 StPO erhalten bleibt) die (bisherigen) Bestimmungen des § 114 Abs 1 StPO (aF) entbehrlich sind.

Bei der durch das StPÄG 1993 daher vorgenommenen Aufhebung des § 114 Abs 1 aF StPO (und damit auch der in der Z 2 enthaltenen, oben erwähnten gesetzlichen Bestimmung über die Beschwerdemöglichkeit an den Gerichtshof zweiter Instanz gegen selbständige Entscheidungen der Ratskammer über die Einleitung oder Einstellung der Voruntersuchung) hat der Gesetzgeber offensichtlich übersehen, daß nicht nur der Untersuchungsrichter, sondern (im Fall einer Entscheidung gemäß § 48 Z 1 StPO über einen Antrag des Privatbeteiligten) weiterhin auch die Ratskammer über die Einleitung der Voruntersuchung zu unterscheiden hat. Ersichtlich aufgrund dieses Versehens wurde in der Strafprozeßordnung eine Beschwerde des Beschuldigten über einen aufgrund eines Antrages des Privatbeteiligten ergangenen Beschluß der Ratskammer auf Einleitung der Voruntersuchung nicht ausdrücklich vorgesehen. Dem Gesetzgeber des StPÄG 1993, der - wie erwähnt - dem Beschuldigten in allen Fällen einer Entscheidung des Untersuchungsrichters betreffend die Einleitung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft eine Beschwerdemöglichkeit an das Oberlandesgericht eingeräumt hat (§§ 92 Abs 3 und 109 Abs 2 StPO nF), kann demgemäß nicht unterstellt werden, daß er ausgerechnet in jenem Fall, in dem der Staatsanwalt nach Prüfung der Anzeige oder der Akten und allenfalls auch nach Vornahme von Vorerhebungen keinen Grund zur weiteren Verfolgung gefunden hat (§ 90 Abs 1 StPO), dem Beschuldigten eine Beschwerde gegen einen sodann gemäß § 48 Z 1 StPO ergangenen Beschluß der Ratskammer auf Einleitung der Voruntersuchung nicht zugestehen wollte.

Auch eine teleologische Betrachtung führt zum selben Ergebnis. Ein zweckorientierter Grund für das (seit dem Inkrafttreten des StPÄG 1993 gegebene) Fehlen einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung betreffend die Beschwerdemöglichkeit des Beschuldigten gegen eine Entscheidung der Ratskammer gemäß § 48 Z 1 StPO ist nicht erkennbar.

Im Gegenteil: Weil der Beschuldigte auch nach Einleitung der Voruntersuchung durch die Ratskammer bei dem sodann die Voruntersuchung führenden Untersuchungsrichter einen Antrag auf Einstellung der Voruntersuchung stellen und gegen eine seinem Antrag nicht stattgebende Entscheidung des Untersuchungsrichters eine Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz richten kann (§ 109 Abs 2 nF StPO), wäre es sinnwidrig und nicht verfahrensökonomisch, dem Beschuldigten nicht von Anfang an, somit bereits gegen den das Prozeßrechtsverhältnis begründenden Beschluß der Ratskammer auf Einleitung der Voruntersuchung ein Rechtsmittel an die Hand zu geben.

Es liegt somit eine durch das StPÄG 1993 geschaffene - ersichtlich ungewollt sowohl das Beschwerderecht des Beschuldigten einschränkende als auch zur späteren Ausübung dieses Rechtes einen erhöhten Verfahrensaufwand erfordernde - planwidrige Regelungslücke vor, die durch analoge Anwendung der in § 92 Abs 3 (nF) StPO vorgesehenen Beschwerdemöglichkeit des Beschuldigten an den Gerichtshof zweiter Instanz auf den Fall einer Entscheidung der Ratskammer, mit der einem Antrag des Privatbeteiligten auf Einleitung der Voruntersuchung Folge gegeben wird (§ 48 Z 1 StPO), geschlossen werden muß.

Der Sache nach zum selben Ergebnis kam das Oberlandesgericht Wien bereits in einer weiteren Entscheidung vom 14.April 1995, AZ 24 Bs 49/95. Das in dieser Entscheidung für die analoge Heranziehung der Beschwerdebestimmungen der §§ 92 Abs 3 (und 109 Abs 2) StPO (nF) auf den Fall einer Beschwerde des Beschuldigten gegen einen Beschluß der Ratskammer gemäß § 48 Z 1 StPO verwendete Argument, daß ansonsten dem Privatbeteiligten (Subsi- diarantragsteller) gemäß § 49 Abs 2 Z 2 StPO eine Beschwerde gegen einen Beschluß der Ratskammer auf Einstellung der Voruntersuchung zukäme, nicht aber dem Beschuldigten gegen die Einleitung der Voruntersuchung, geht allerdings aufgrund der Aufhebung dieser Beschwerdemöglichkeit durch das StRÄG 1996, BGBl. Nr. 762, nunmehr ins Leere. Die nominell auch in § 49 Abs 2 Z 2 StPO in der Fassung des StPÄG 1993 dem Privatbeteiligten (nur) gegen diese Entscheidung der Ratskammer ausnahmsweise noch eingeräumte Beschwerdemöglichkeit war nämlich infolge der Aufhebung des § 114 Abs 1 StPO durch das StPÄG 1993 ohnehin bereits gegenstandslos (vgl hiezu die im Text des § 49 Abs 2 Z 2 StPO in Klammer gesetzte Anmerkung der Herausgeber in Pleischl/Soyer, StPO in der Fassung des StPO-Änderungsgesetzes 1993). Dem hat das StRÄG 1996 durch die Aufhebung dieser Ausnahmebestimmung auch Rechnung getragen (vgl RV 33 Blg NR 20. GP 67).

Der Oberste Gerichtshof vermag diesen Ausführungen aus nachstehenden Erwägungen nicht beizutreten:

Rechtliche Beurteilung

Die Auffassung, daß § 113 Abs 4 StPO nF nur jene Fälle regelt, in denen von der Ratskammer ein "Aufsichtsrecht" über den Untersuchungsrichter ausgeübt wird, während aus dieser Bestimmung, im Falle die Ratskammer außerhalb dieses Bereiches (wie hier) in erster Instanz tätig werde, der Ausschluß jeglicher Beschwerde- möglichkeit (entgegen Foregger-Kodek StPO6 § 114 Anm III) nicht abgeleitet werden könne, findet in den Gesetzesmaterialien zum StPÄG 1993 keine Deckung.

Dem Bericht des Justizausschusses (1157 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVIII. GP, 4) ist zu entnehmen, daß die allgemeine Beschwerdemöglichkeit gemäß § 113 Abs 1 StPO erhalten bleibt, weshalb sich der bisherige § 114 Abs 1 StPO erübrigt. Der dort enthaltene grundsätzliche Ausschluß eines weiteren Rechtszuges wurde in den § 113 Abs 4 StPO aufgenommen. Damit ist aber dem nur für den Bereich des "Aufsichtsrechtes" der Ratskammer über den Untersuchungsrichter bejahten Beschwerdeausschluß die Grundlage entzogen (vgl auch Foregger-Kodek StPO7 § 48 Anm I).

Daraus folgt aber auch, daß die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke, deren Beseitigung durch Auslegung im übrigen schon auf Grund des eindeutigen, Zweckmäßigkeitserwägungen von vornherein nicht zugänglichen Wortlauts der in Rede stehenden Norm (wonach, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, ein weiterer Rechtszug an den Gerichtshof zweiter Instanz nicht zulässig ist) ausge- schlossen ist (Analogieverbot), verfehlt ist.

Im gegebenen Konnex kann ferner schon im Hinblick darauf, daß es sich bei den das Beschwerderecht grundsätzlich regelnden Bestimmungen der §§ 113 Abs 4, 114 Abs 1 StPO um fundamentale Vorschriften des Prozeßrechtes handelt, nicht vorweg von einem offensichtlichen Versehen des Gesetzgebers ausgegangen werden. Dagegen spricht unter anderem auch die Beseitigung des im Hinblick auf § 113 Abs 4 StPO nF - entgegen der Beschwerde - auch nach dem Inkrafttreten des StPÄG 1993 bestehenden Beschwerderechtes des Subsidiarantragstellers gegen den Beschluß auf Einstellung der Voruntersuchung nach § 49 Abs 2 Z 2 StPO in der bis dahin geltenden Fassung durch das StRÄG 1996 als "Folgeänderung auf Grund der durch das StPÄG 1993, BGBl. Nr. 526, und die Strafgesetznovelle 1993, BGBl. Nr. 527, geschaffenen neuen Rechtslage" (33 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX.GP, 67), weil damit ersichtlich eine Gleichbehandlung beider Parteien im hier in Rede stehenden Verfahrensbereich sicher- gestellt werden sollte.

Im übrigen ist es nicht Sache der Rechtsprechung, allfällige Versehen der Legislative - zumal im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes - zu korrigieren (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB2 § 6 Rz 25).

Richtig ist, daß eines der Hauptziele des StPÄG 1993 die Stärkung der Stellung des Untersuchungsrichters, nicht aber eine Schwächung der Beschuldigtenrechte war; damit ist allerdings im vorliegenden Fall für den Beschwerdestandpunkt nichts zu gewinnen: Denn nach der Intention des Gesetzgebers soll die Ratskammer nicht mehr Aufsichtsorgan über den Untersuchungsrichter und die von ihm geführten Vorerhebungen oder Voruntersuchungen, sondern grundsätzlich dessen Rechtsmittelinstanz sein (1157 der Beilagen, 4). Das damit vom StPÄG 1993 angestrebte zweiinstanzliche Verfahren ist aber bei Einleitung der Voruntersuchung durch die Ratskammer, somit durch ein qualifiziertes Kollegialorgan, gemäß § 48 Z 1 StPO auf Antrag des Subsidiarantragstellers nach Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 90 StPO (nach gerichtlichen Vorerhebungen) realisiert, sodaß die Unbekämpfbarkeit sowohl dieser Entscheidung der Ratskammer als auch jener auf Einstellung der Voruntersuchung gemäß § 49 Abs 2 Z 2 StPO) durchaus systemkonform ist. Daran vermag auch der Umstand, daß der Gesetzgeber in § 48 Z 1 StPO die Zurücklegung der Anzeige durch den Staatsanwalt dem gemäß § 90 StPO gefaßten Einstellungsbeschluß des Gerichtes gleichstellt, nichts zu ändern.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.