JudikaturJustiz12Os146/16m

12Os146/16m – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rafig H***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 162 Hv 81/16v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 18. Juli 2016 (ON 7) sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 2. August 2016, AZ 21 Bs 248/16y (ON 25), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, sowie des Verteidigers Mag. Preclik, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 162 Hv 81/16v (vormals: AZ 335 HR 254/16m) des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen die Beschlussfassung dieses Gerichts vom 18. Juli 2016 ohne Durchführung einer Haftverhandlung und die im Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 2. August 2016, AZ 21 Bs 248/16y zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, wonach die Durchführung einer Haftverhandlung nicht erforderlich gewesen wäre, das Gesetz in § 176 Abs 1 Z 3 StPO.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 16. Juli 2016 verhängte der Journalrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien über den am 30. Dezember 1998 geborenen Rafig H***** gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 2, Z 3 lit b StPO iVm § 35 JGG die Untersuchungshaft wegen dort näher beschriebenen dringenden Tatverdachts der Suchtgiftdelinquenz (ON 6).

Ohne Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne Durchführung einer Haftverhandlung fasste am 18. Juli 2016 der zuständige Haft und Rechtsschutzrichter den Beschluss auf Enthaftung des Beschuldigten gemäß § 35 Abs 1a JGG (ON 1 S 3, ON 7).

Gegen den Enthaftungsbeschluss richtete die Staatsanwaltschaft am 21. Juli 2016 eine Beschwerde mit dem Antrag, das Oberlandesgericht Wien möge den angefochtenen Beschluss ersatzlos beheben und dem Erstgericht die Verhängung der Untersuchungshaft über Rafig H***** gemäß § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO auftragen (ON 11).

Mit Beschluss vom 2. August 2016, AZ 21 Bs 248/16y (ON 25), gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde der Anklagebehörde nicht Folge.

Begründend führte das Beschwerdegericht – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – aus, dass entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin eine Enthaftung weder eines Antrags der Staatsanwaltschaft noch der Durchführung einer Haftverhandlung bedürfe. Komme der Haft und Rechtsschutzrichter zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht vorliegen, habe er vielmehr nach § 177 Abs 2 StPO sogleich die unverzügliche Enthaftung zu veranlassen. Jegliche Verzögerung, etwa durch Anberaumung einer Haftverhandlung, wäre in diesem Fall gesetzwidrig.

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. September 2016, GZ 162 Hv 81/16v 31, wurde der Angeklagte – nach Einbeziehung eines Verfahrens des Bezirksgerichts Leopoldstadt (AZ 39 U 86/16k) – der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG, 15 Abs 1 StGB (I./, II./A./ und III./) und nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: Z 1) erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./B./) sowie der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (IV./) schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Die Fassung des Enthaftungsbeschlusses durch das Landesgericht für Strafsachen Wien, ohne eine Haftverhandlung durchzuführen, und die diese Rechtsansicht bestätigende Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 176 Abs 1 Z 3 StPO hat das Gericht bei Bedenken gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft eine Haftverhandlung anzuberaumen.

Eine Enthaftung ohne Haftverhandlung ist nur zulässig, wenn die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Untersuchungshaft beantragt (§ 177 Abs 3 StPO). In allen anderen Fällen darf die Freilassung nur nach Durchführung einer Haftverhandlung erfolgen ( Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 175 Rz 1; Fabrizy , StPO 12 § 176 Rz 1; Haißl in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 176 Rz 11).

Zwar ist gemäß § 177 Abs 2 StPO der Beschuldigte sogleich freizulassen, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder ihre Dauer unverhältnismäßig wäre, doch ist daraus – entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Wien – für das in einem solchen Fall einzuhaltende Verfahren nichts zu gewinnen. Denn § 177 Abs 2 StPO enthält bloß (klarstellende) Ergänzungen zu § 174 Abs 1 letzter Satz StPO bzw § 176 Abs 4 StPO und ist stets in deren Kontext zu betrachten. Das einzuhaltende Verfahren regelt hingegen § 176 Abs 1 StPO bzw § 177 Abs 3 und Abs 4 StPO.

Die erstgerichtliche Beschlussfassung vom 18. Juli 2016 ohne Durchführung einer Haftverhandlung verstieß (mangels eines Enthaftungsantrags der Staatsanwaltschaft) ebenso gegen § 176 Abs 1 Z 3 StPO wie die im Beschluss des Oberlandesgerichts zum Ausdruck gebrachte und bereits dargestellte Rechtsansicht.

Die Verletzung des Gesetzes durch die befassten Gerichte hat sich für den mittlerweile Verurteilten nicht nachteilig ausgewirkt, sodass diese – ohne konkrete Wirkung – bloß festzustellen war.