JudikaturJustiz12Os118/21a

12Os118/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin AAss Schaffhauser in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach §§ 15, 176 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. August 2021, GZ 14 Hv 29/21s 106, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde * C* des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach §§ 15, 176 Abs 1 StGB (A./), des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B./), der Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (C./), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (D./), der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB und der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (jeweils E./I./), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (E./II./) und des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB (F./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 5. April 2021 in Wien

A./ anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen eine Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß herbeizuführen versucht, indem er als alkoholisierter Lenker mit seinem PKW mit weit überhöhter Geschwindigkeit von zumindest 100 km/h von der Währingerstraße und Nußdorferstraße kommend die Kreuzung Spitalgasse/Lazarettgasse bei Rotlicht auf dem selbstständigen Gleiskörper fahrend übersetzte, wobei sich in der Mitte des Schutzwegs zumindest drei Personen und am Beginn sowie in unmittelbarer Umgebung des Schutzwegs zumindest zehn Personen und unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich zahlreiche Fahrzeuge befanden;

B./ durch die unter Punkt A./ angeführte Straftat zumindest drei Personen mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich zu einer Ortsveränderung, genötigt;

C./ vorsätzlich eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit anderer herbeigeführt, indem er mit überhöhter Geschwindigkeit als alkoholisierter Fahrzeuglenker im Anschluss an die unter Punkt A./ angeführte Straftat, teilweise entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung, unter Missachtung des Rotlichts und zahlreicher Sperrflächen und -linien, wobei er ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers mehrere Spurwechsel durchführte und teils die Straßenbahnschienen befuhr, über die Spitalgasse sowie die Florianigasse stadteinwärts über die Wiener Ringstraße bis zum Franz-Josefs-Kai fuhr, wodurch zahlreiche Verkehrsteilnehmer ausweichen oder abbremsen mussten;

D./ die Beamten * L* und * Co* mit Gewalt an Amtshandlungen, nämlich an seiner Anhaltung, Identitätsfeststellung und Durchführung einer Verkehrskontrolle zu hindern versucht, indem er mit einer Geschwindigkeit von zumindest 55 km/h mit seinem Fahrzeug mit der rechten Seite des von * L* gelenkten Streifenfahrzeugs kollidierte;

E./ Beamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben vorsätzlich

I./ durch die unter Punkt D./ angeführte Straftat andere am Körper verletzt, wobei er dadurch eine schwere Körperverletzung herbeizuführen versuchte, und zwar:

1./ * L*, wodurch dieser eine Prellung am rechten Knie und eine Zerrung der Lendenwirbelsäule erlitt;

2./ * Co*, wodurch dieser eine Prellung und eine Abschürfung am linken Unterarm und am linken Schienbein erlitt;

II./ am Körper zu verletzen versucht, und zwar * D*, indem er mit der linken Faust gezielt in Richtung dessen Gesichts schlug;

F./ durch die unter Punkt D./ angeführte Straftat eine fremde Sache, nämlich ein Polizeifahrzeug im Wert von 19.430 Euro zerstört und dadurch an der Sache einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

[4] Die zu D./, E./1./ und 2./ sowie F./ erhobene Mängelrüge kritisiert die Feststellungen zum vorsätzlichen Handeln des Angeklagten im Wesentlichen mit dem Argument, dass der Beamte * L* den von ihm gelenkten Streifenwagen erst 15 bis 20 Meter vor der Kollision in die Fahrspur des entgegenkommenden, sich mit einer 55 km/h übersteigenden Geschwindigkeit annähernden PKW des Angeklagten einlenkte, sodass dem Angeklagten bloß eine Sekunde Reaktionszeit verblieben wäre.

[5] Dabei übersieht die Beschwerde, dass sich der Vorsatz des Angeklagten nach den Erwägungen des Schöffengerichts „nicht erst auf den ′letzten Metern′ vor dem Zusammenstoß bildete, sondern schon in größeren zeitlichem Abstand bei der Annäherung an den Streifenwagen“ (US 23).

[6] Solcherart geht auch die Kritik am Unterbleiben einer Erörterung (Z 5 zweiter Fall) ins Leere, wonach „der Streifenwagen für den Angeklagten überraschend 15 bis 20 Meter vor der Kollision, mithin innerhalb der Zeitspanne, die dem Angeklagten für eine Abwehrreaktion zur Verfügung stand, in seine Fahrlinie hineinlenkte“, und „wie sich aus der Sicht des Angeklagten die Folgen eines Auslenkens in die seitliche Begrenzung dargestellt hätten“.

[7] Gleiches gilt für die isoliert aus dem Zusammenhang gerissene und eigenständig zu Gunsten des Angeklagten interpretierte Deposition des Zeugen Co*, wonach der Angeklagte „zuerst versucht“ hätte, auszuweichen. Die Beschwerde übergeht nämlich die Angaben dieses Zeugen dazu, dass der Angeklagte – um die Sperre der Fahrspur zu durchbrechen – die Geschwindigkeit erhöhte (ON 94 S 30). Solcherart zeigt aber die Beschwerde keine, der Lösung der Schuldfrage entgegenstehenden Beweisergebnisse auf (RIS Justiz RS0098646 [T8]).

[8] Die Angaben der * S*, wonach der Angeklagte zuvor eine Straßenbahn „einfach auf gut Glück“ überholt habe und er „nicht viel gesehen haben“ kann, „weswegen er dann vermutlich mit dem Funkwagen vom 1. Bezirk kollidierte“ (ON 94 S 25), musste der Schöffensenat – als bloße Einschätzung eines Zeugen – nicht berücksichtigen (vgl RIS Justiz RS0097540).

[9] Die zum Schuldspruch F./ erhobene Mängelrüge bekämpft mit dem Hinweis darauf, dass der Angeklagte erst kurz vor der Tathandlung das Bewusstsein wiedererlangt hatte, bloß die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[10] Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet gegen die rechtliche Beurteilung der Tat laut A./ des Schuldspruchs das Fehlen der Herbeiführung einer Gefahr für eine größere Anzahl von Menschen ein, ohne ihre Argumentation daran auszurichten, dass das Erstgericht ohnedies bloß von Versuchsstrafbarkeit (vgl dazu RIS Justiz RS0089971 [T1]; Murschetz in WK 2 StGB § 176 Rz 7; Flora , SbgK § 176 Rz 16, 30) ausgegangen ist.

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO). Auf das weiters verfasste – als Vorbemerkungen zur Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnete – Schreiben war zufolge des Grundsatzes der Einmaligkeit der Rechtsmittelausführung nicht einzugehen (RIS Justiz RS0100175 [insb T10]).

[12] Bleibt anzumerken, dass (auch einzelne) Einsatzfahrzeuge wesentliche Bestandteile der kritischen Infrastruktur sind (vgl Rebisant in WK 2 StGB § 126 Rz 41 mwN; Fabrizy , StGB 13 § 126 Rz 6) und damit die zum Schuldspruch F./ abgeurteilte Tat zusätzlich § 126 Abs 1 Z 5 StGB zu unterstellen gewesen wäre. Dieser Subsumtionsfehler (Z 10) wirkte sich nicht zum Nachteil des Angeklagten aus.

[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.