JudikaturJustiz12Os102/93

12Os102/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. August 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.August 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Markel, Dr.Mayrhofer und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hatvagner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Leopold S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, zweiter Fall, StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 9.Dezember 1992, GZ 15 E Vr 941/91-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr.Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 9.Dezember 1992, GZ 15 E Vr 941/91-22, mit dem das vom Bewährungshelfer des Verurteilten Leopold S***** eingebrachte Gnadengesuch gemäß § 411 Abs. 4 StPO zurückgewiesen wurde, obwohl mit Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 7.Oktober 1992, GZ 92802/4-IV 4/92, die Begutachtung des Gnadengesuches und die Vorlage der Akten bis spätestens 10.Jänner 1993 an das Oberlandesgericht Wien angeordnet war, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 411 Abs. 2 StPO in der zur Zeit der Entscheidung geltenden Fassung.

Dieser Beschluß wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Leopold S***** wurde am 1.Oktober 1992 zum Strafantritt der über ihn mit Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 26.November 1991, GZ 15 E Vr 941/91-11, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, zweiter Fall, StGB verhängten Freiheitsstrafe von vier Monaten vorgeführt und in Strafhaft übernommen (ON 16).

Bereits am 3.September 1992 hatte der für den Verurteilten im Verfahren 12 E Vr 460/91 des Landesgerichtes Krems an der Donau bestellte Bewährungshelfer beim Bundesministerium für Justiz die gnadenweise bedingte Nachsicht dieser Freiheitsstrafe beantragt (S 73 f). Diese Gnadenbitte wurde vom Bundesministerium für Justiz mit Erlaß vom 7.Oktober 1992, GZ 92802/4-IV 4/92, dem Landesgericht St.Pölten mit dem Auftrag übermittelt, das Gesuch zu begutachten und die Akten bis spätestens 10.Jänner 1993 dem Oberlandesgericht Wien vorzulegen. Zugleich wurde (in Übereinstimmung mit dem Bundespräsidenten) gemäß § 411 Abs. 2 StPO die vorläufige Hemmung des Strafvollzuges angeordnet (S 71).

Nach Durchführung von Gnadenerhebungen wies das Landesgericht St.Pölten dieses Gnadengesuch mit Beschluß vom 9.Dezember 1992 gemäß § 411 Abs. 4 StPO mangels berücksichtigungswürdiger Gründe zurück und sprach aus, daß gegen diese Entscheidung gemäß § 411 Abs. 5 StPO kein Rechtsmittel zulässig ist (ON 22).

Leopold S***** wurde in der Folge aus Anlaß der Weihnachtsamnestie 1992 mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 17.Dezember 1992 "bedingt begnadigt" und an diesem Tag auf freien Fuß gesetzt (S 97; Vermerk des kreisgerichtlichen Gefangenenhauses Krems an der Donau vom 18.Dezember 1992, unjournalisiert nach ON 24).

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 411 StPO (in der derzeit noch geltenden Fassung, siehe unten) ist über Gnadengesuche nur wenn im Einzelfall keine besonderen Aufträge seitens des Bundesministeriums für Justiz ergangen sind (§ 411 Abs. 2, letzter Satz) von den Gerichten zu entscheiden.

Gnadensachen sind Justizverwaltungssachen. In diesen kann das Bundesministerium für Justiz den mitwirkenden Gerichten (mit Ausnahme der im § 411 Abs. 3 und 4 vorgesehenen gutächtlichen Äußerungen) bindende Aufträge erteilen (Foregger-Kodek, StPO5, Erl. III zu § 411). Eine solche Weisung kann sich nicht nur auf die Durchführung bestimmter Erhebungen und die Vorlage an das Bundesministerium für Justiz selbst bei negativer Beurteilung durch das Gericht, sondern auch auf den Strafvollzug beziehen. Das Bundesministerium für Justiz hat somit die (seit der Neuregelung des Abs. 2 durch das StRÄG 1987, BGBl. 1987/605, ausdrückliche) Befugnis, in Übereinstimmung mit dem Bundespräsidenten den Gerichten zur Vornahme der erforderlichen Ermittlungen und zur Einholung von Stellungnahmen der Gerichte und der staatsanwaltschaftlichen Behörden für die Dauer von höchstens sechs Monaten den Aufschub (nicht jedoch auch die Unterbrechung, siehe Foregger-Kodek, aaO) des Vollzuges auftragen.

Da vom Bundesministerium für Justiz im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO dem Landesgericht St.Pölten ein Berichtsauftrag erteilt und die vorläufige Hemmung des Strafvollzuges angeordnet worden war, hätte das Gnadengesuch nicht schon von diesem Gericht zurückgewiesen werden dürfen, sondern vielmehr mit gutächtlicher Äußerung dem Gerichtshof zweiter Instanz vorgelegt werden müssen.

Die Behandlung des Gnadengesuches durch den Einzelrichter des Landesgerichtes St.Pölten widerspricht, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, unbeschadet des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 2.Dezember 1992, G 339-341/91-15, G 78/92-14, G 141/92-5 (womit § 411 Abs. 2, zweiter bis letzter Satz, bis Abs. 6 StPO als gegen Art. 18 Abs. 1 iVm Art. 83 Abs. 2, und 94 sowie gegen Art. 65 Abs. 2 lit. c iVm Art. 67 Abs. 1, B-VG verstoßend mit Wirkung vom 1.Dezember 1993 aufgehoben wurde; siehe auch BGBl. 1993/192) der Anordnung des § 411 Abs. 2 StPO.

Der vom Bundesministerium für Justiz am 7.Oktober 1992 aufgetragenen Hemmung des Vollzuges stand allerdings der Umstand entgegen, daß der Verurteilte die Strafe bereits zuvor angetreten hatte. Die Nichtbefolgung dieses Hemmungsauftrages bewirkte daher nach Lage des Falles keinen Gesetzesverstoß.

Mit Rücksicht darauf, daß Leopold S***** bereits am 17.Dezember 1992 (also vor der im Erlaß des Bundesministeriums für Justiz zur Vorlage des Gnadengesuches an das Oberlandesgericht Wien bis 10.Jänner 1993 eingeräumten Frist) auf freiem Fuß gesetzt worden ist, hat sich aber auch die gesetzwidrige Zurückweisung des Gnadengesuches nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt, weil auch im Falle der gesetzmäßigen Behandlung des Gnadengesuches die Möglichkeit einer bescheidmäßigen Erledigung im Hinblick auf das Datum der gesetzesverletzenden Entscheidung vor dem Zeitpunkt der Entlassung nicht zu erwarten war.

Demgemäß war wie im Spruch zu erkennen.