JudikaturJustiz12Os101/19y

12Os101/19y – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. September 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Ruckendorfer in der Strafsache gegen Ruslan M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB, AZ 613 Hv 4/18i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über dessen Beschwerde gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom 18. Juli 2019 (ON 145) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 21. Mai 2019 (ON 135) sowie über seine Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 21. Mai 2019, GZ 613 Hv 4/18i-135, wurde Ruslan M***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Mit zugleich ergangenem Beschluss wurde vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 22. April 2016, AZ 19 U 74/16i, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung meldete der Angeklagte nach Rücksprache mit seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt Mag. K***** (vgl ON 114, ON 134 S 2) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 134 S 23).

Mit Eingabe vom 24. Mai 2019 (ON 138) gab Rechtsanwalt Dr. S***** bekannt, von Ruslan M***** mit dessen Verteidigung beauftragt worden zu sein, und ersuchte um Übermittlung einer Urteilsausfertigung samt Protokoll der Hauptverhandlung.

Die Vorsitzende des Schwurgerichtshofs veranlasste daraufhin am 7. Juni 2019 im Wege der Gerichtskanzlei die telefonische Abklärung, ob das Vollmachtverhältnis zu Rechtsanwalt Mag. K***** noch aufrecht sei, und verfügte ferner die Zustellung des Urteils und des Protokolls vom 21. Mai 2019 an Rechtsanwalt Dr. S***** unter Hinweis auf die am 21. Mai 2019 erfolgte Rechtsmittelanmeldung (ON 1 S 59).

Die Ausfertigungen des Urteils und des Protokolls wurden Rechtsanwalt Dr. S***** am 12. Juni 2019 zugestellt (vgl ERV-Zustellnachweis bei ON 1 S 60).

Laut Kanzleivermerken vom 11. Juni, 17. Juni und 24. Juli 2019 über mit Mitarbeitern der Rechtsanwaltskanzlei Mag. K***** geführte Telefonate (ON 1 S 59 f, ON 146) wurde seitens dieser Rechtsanwaltskanzlei am 11. Juni 2019 zunächst angegeben, dass Ruslan M***** nicht mehr vertreten werde und eine diesbezügliche schriftliche Mitteilung der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses angekündigt, am 17. Juni 2019 jedoch erklärt, dass die Vollmacht aufrecht bleibe. Daraufhin verfügte die Vorsitzende des Schwurgerichtshofs die Zustellung des Urteils samt Protokoll (auch) an Rechtsanwalt Mag. K***** unter Hinweis auf die am 12. Juni 2019 erfolgte Übermittlung des Urteils an Rechtsanwalt Dr. S***** zur Rechtsmittelausführung (ON 1 S 60). Diese Zustellung an Mag. K***** wurde am 18. Juni 2019 vorgenommen (vgl ERV-Zustellnachweis bei ON 1 S 60).

Am 21. Juni 2019 gab Rechtsanwalt Mag. K***** die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt (ON 140). Rechtsanwalt Dr. S***** gab am 22. Juni 2019 bekannt, dass er dem Angeklagten die Vollmacht kündige (ON 141).

Seitens der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs wurde daraufhin der Angeklagte aufgefordert, binnen fünf Tagen entweder einen Verteidiger namhaft zu machen oder einen „Antrag auf Verfahrenshilfe“ zu stellen (ON 1 S 61).

Mit Eingabe vom 28. Juni 2019 teilte Rechtsanwalt Mag. K***** mit, dass er von Ruslan M***** mit der weiteren Vertretung beauftragt worden sei (ON 142), woraufhin neuerlich eine Zustellung des Urteils samt Protokoll veranlasst wurde (ON 1 S 63).

Am 15. Juli 2019 brachte Rechtsanwalt Mag. K***** die Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel ein (ON 144).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Juli 2019, GZ 613 Hv 4/18i-145, wies die Vorsitzende des Schwurgerichtshofs die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 2 StPO (zu ergänzen) iVm § 344 StPO zurück, weil die Rechtsmittelausführung erst nach Ablauf der mit 10. Juli 2019 endenden Ausführungsfrist eingebracht worden sei und auch bei der Anmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichteten rechtzeitigen (gleichfalls als ON 145 erfassten) Beschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Nach Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer (außer im gegenständlich nicht vorliegenden Fall des § 285 Abs 2 StPO) das Recht, binnen vier Wochen (hier) nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 erster Satz iVm § 344 StPO).

Hat ein Angeklagter – wie fallbezogen im Zeitraum vom 24. Mai bis zum 21. Juni 2019 – mehrere Verteidiger bevollmächtigt, so gelten gemäß § 58 Abs 3 letzter Satz StPO Zustellungen an ihn als bewirkt, sobald auch nur einem der Verteidiger zugestellt wurde.

Die weder durch die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses zu den beiden Wahlverteidigern noch durch die erneute Bevollmächtigung des Mag. K***** und die neuerliche Urteilszustellung an diesen beeinflusste vierwöchige Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 63 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0125686) wurde demnach mit Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger Dr. S***** am 12. Juni 2019 ausgelöst und endete daher (§ 84 Abs 1 StPO) mit Ablauf des 10. Juli 2019.

Die erst am 15. Juli 2019 eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war somit verspätet. Das Erstgericht hat daher die Nichtigkeitsbeschwerde – weil in der Rechtsmittelanmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden und auf die in der verspäteten Ausführung geltend gemachten Gründe nicht Bedacht zu nehmen ist (§ 285 Abs 1 StPO; RIS Justiz RS0100168) – zu Recht zurückgewiesen (§ 285a Z 2 iVm § 344 StPO).

Über die Berufung und die Beschwerde gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i iVm § 344 StPO, § 498 Abs 3 StPO; RIS Justiz RS0100545).