JudikaturJustiz12Os10/10b

12Os10/10b – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jauk als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ivelin Y***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ivelin Y***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 12. November 2009, GZ 151 Hv 83/09x-69, sowie über die Beschwerde gegen den Beschluss nach §§ 50, 52 StGB nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Högler, des Angeklagten, seiner gesetzlichen Vertreterin und seines Verteidigers Mag. Salzborn, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ismail Ya*****, Ivelin Y***** und Dian T***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben Ismail Ya*****, Ivelin Y***** und Dian T***** am 27. Februar 2009 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) versucht, mit Gewalt gegen eine Person einem anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem Ismail Ya***** nach der Aufforderung durch Ivelin Y*****, das Opfer zu schlagen, sein Geld zu nehmen und damit zu „den Frauen in den Prater zu gehen“, dem Erwin B***** mit der Faust ins Gesicht schlug, worauf dieser zu Boden fiel, Ismail Ya*****, Ivelin Y***** und Dian T***** auf Erwin B***** eintraten und einschlugen, wodurch dieser Prellungen der Wirbelsäule und der Brust sowie Hämatome am linken Auge erlitt, somit eine Körperverletzung, die eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte, wobei die Vollendung unterblieb, weil Erwin B***** während des Durchsuchens nach Wertgegenständen um Hilfe rief und die Angeklagten aufgrund nahender Passanten von ihrem Opfer ablassen mussten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen dieses Urteil gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit c StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ivelin Y***** kommt keine Berechtigung zu.

Die Mängelrüge (Z 5) moniert eine fehlende Auseinandersetzung mit der den Beschwerdeführer entlastenden Aussage des Dian T***** vor der Polizei, übergeht aber insoweit die ausdrückliche Erörterung dieser ursprünglich entlastenden Angaben samt der zu Grunde liegenden Motivation durch die Tatrichter (US 14).

Ismail Ya***** wiederum gab bei seiner Vernehmung vor der Polizei an, dass jedenfalls nach seiner Erinnerung Ivelin Y***** nicht zugeschlagen bzw „glaublich überhaupt nichts getan habe“, bestätigte aber gleichzeitig dessen Anwesenheit bei den inkriminierten Gewalttätigkeiten und das gemeinsame Weglaufen (S 151 in ON 2). Die über diese Aussage im Ermittlungsverfahren hinausgehenden neuen und den Rechtsmittelwerber belastenden Angaben dieses Mitangeklagten zu in der Polizeivernehmung nicht relevierten Bestimmungshandlungen des Beschwerdeführers und zu einer ihm von Dian T***** erst in der Untersuchungshaft mitgeteilten Beteiligung des Nichtigkeitswerbers an den Gewalttätigkeiten wurden vom erkennenden Gericht der Beschwerde zuwider als Relativierung der (ursprünglichen) Aussage gleichwohl bedacht und entsprechend gewürdigt (vgl US 13 mit dem Verweis auf einen entsprechenden Vorhalt der Einlassung vor der Polizei in der Hauptverhandlung).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholt im Wesentlichen die Argumentation zur Mängelrüge, ohne damit erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Sachverhalts aufzeigen zu können. Dies gilt auch für die darüber hinaus reklamierte (von den Tatrichtern erwogene; vgl US 15) eingeschränkte Wiedergabefähigkeit des Zeugen Erwin B*****, der aufgrund der Verletzungsfolgen und des Umstands, dass er sein Gesicht mit den Händen vor weiteren Schlägen schützen musste, nicht mehr wiedergeben konnte, wer auf ihn konkret eingeschlagen hatte.

In der Rechtsrüge (Z 9 lit c, inhaltlich Z 9 lit b; vgl RIS-Justiz RS0099702) macht der Angeklagte geltend, dass die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 12. November 2009 auf einen Schlussvortrag verzichtet hatte (S 45 in ON 68). Darauf gestützt, geht der Beschwerdeführer von einem Rücktritt von der Anklage aus. Dies leitet der Rechtsmittelwerber aus § 255 Abs 1 StPO ab, nach dessen Wortlaut dem Ankläger nach Schluss des Beweisverfahrens das Wort zu erteilen ist, um Anträge sowohl wegen der Schuld des Angeklagten als auch wegen der gegen ihn anzuwendenden Strafbestimmungen zu stellen und zu begründen. Diese sei nach der Beschwerdeauffassung so zu verstehen, dass der Staatsanwalt zumindestens auszuführen habe, dass er die Anklage aufrecht halte. Ein Verzicht auf den Schlussvortrag sei daher als Rücktritt von der Anklage zu werten.

Die Unterlassung eines Schlussvortrags durch den Privatankläger begründet gemäß § 71 Abs 6 StPO die gesetzliche Vermutung des Anklagerücktritts. Dies gilt gemäß § 72 Abs 4 erster Satz StPO auch für den Subsidiarankläger. Nach § 72 Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 dritter Satz StPO gilt dies auch, wenn der Privatbeteiligte im Fall des Anklagerücktritts durch die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anträge zur Aufrechterhaltung der Anklage (iS einer Subsidiaranklage) unterlässt. Diese auf ein Untätigbleiben gestützte Vermutung eines Rücktritts von der Verfolgung gilt gemäß § 200 Abs 3 FinStrG aber nicht für die als Anklägerin auftretende Finanzstrafbehörde. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber das Unterlassen eines Schlussvortrages durch einen berechtigten Ankläger nicht in jedem Fall als Rücktritt von der Verfolgung wertet. Der Verzicht auf einen Schlussvortrag durch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in einem schöffen- oder geschworenengerichtlichen Verfahren widerspricht zwar den durch § 255 Abs 1 StPO vorgezeichneten Dienstpflichten einer öffentlichen Anklägerin, weil allein schon die Laienbeteiligung im kollegialgerichtlichen Verfahren eine Erörterung der Verfahrensergebnisse gebietet, um dem kontradiktorischen Charakter des Strafverfahrens zu genügen. Aus dem Unterlassen des Schlussplädoyers der Staatsanwältin kann aber nicht eo ipso auf einen solcherart zum Ausdruck gebrachten Rücktritt von der Anklage geschlossen werden. Dazu bedürfte es eines unmissverständlichen Aktes der Vertreterin der Staatsanwaltschaft, also einer ausdrücklichen oder wenigstens sinngemäßen, aber nach dem Erklärungsinhalt eindeutigen Bekundung. Bloßes Schweigen oder der Verzicht auf ein Plädoyer beinhalten allerdings keine schlüssige Erklärung iS eines Verfolgungsverzichts nach § 259 Z 2 StPO (vgl Danek , WK-StPO § 255 Rz 4; Lendl , WK-StPO § 259 Rz 32; 16 Os 7/92, EvBl 1993/8).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten unter Vorhaftanrechnung und unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, welche gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dabei wertete das Erstgericht als erschwerend keinen, als mildernd jedoch den Umstand, dass es beim Versuch geblieben war, das tadellose Vorleben und die ungünstigen Erziehungsverhältnisse sowie eine zumindest teilweise geständige Verantwortung.

Der Berufung zuwider sind spekulative Überlegungen, wie lange die Gesundheitsschädigung ohne die beim Raubopfer vorhandene gesundheitliche Vorbelastung gedauert hätte, ohne Einfluss auf die Strafbemessung, zumal die eine Qualifikation nach § 143 dritter Fall StGB auslösende Dauer der Gesundheitsschädigung bloß fahrlässig - demzufolge aber jedenfalls objektiv zurechenbar - herbeigeführt werden muss. Dass sich die drei Täter ein „betrunken wirkendes“ (S 129 in ON 2), solcherart leichter einschüchterbares, tatsächlich aber wegen einer Wirbelverletzung in Frühpension befindliches Tatopfer aussuchten, welches aufgrund dieser Vorschädigung durch die Gewaltakte eine längere Gesundheitsschädigung davon trug, kann daher keinesfalls mildernd ins Gewicht fallen.

Die Einlassung des Berufungswerbers, mit welcher er die beiden Mitangeklagten belastete, wurde vom Schöffengericht als „teilweise geständige Verantwortung“ gewürdigt; damit stellte es den reklamierten Milderungsgrund eines wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung nach § 34 Abs 1 Z 17 StGB hinreichend in Rechnung.

Die bloße Bereitschaft zur Schadensgutmachung begründet entgegen dem Berufungsvorbringen keinen Milderungsumstand (vgl Fabrizy StGB 9 § 34 Rz 12; RIS-Justiz RS0091354, RS0091325 und RS0091364).

Mit Blick auf die allgemeinen Strafzumessungskriterien des § 32 StGB bestand somit kein Anlass für die begehrte Reduktion der in erster Instanz ausgemessenen Freiheitsstrafe.

Angesichts des problematischen sozialen Umfelds des Angeklagten war auch die vom Erstgericht vorgenommene Anordnung zur Bewährungshilfe geboten.

Der Berufung und der implizierten Beschwerde war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.